Papst: „Nie wieder Geringschätzung für Roma und Sinti!“
Eine Begegnung mit
Seltenheitswert im Vatikan: Papst Benedikt XVI. hat an diesem Samstag Roma, Sinti
und Angehörige verwandter Volksgruppen in Audienz empfangen. „Nie wieder soll euer
Volk Objekt von Unterdrückung, Ablehnung und Geringschätzung werden!“, rief der Papst
den Anwesenden zu. Er lud sie dazu ein, durch Bildung und die Suche nach besseren
Lebensbedingungen auch selbst an ihrer Zukunft mit zu bauen und sich ins Gewebe der
europäischen Zivilisation einzufügen: „Ich bin überzeugt, dass eure Kinder eine bessere
Zukunft verdient haben“, so der Papst. Weil 2.000 anstelle der angekündigten 1.300
Roma und Sinti zu der Begegnung mit Benedikt drängten, wurde die Audienz kurzfristig
von der Segnungsaula in die Audienzhalle verlegt.
Mit großem Jubel und dem
Schwenken weißer und gelber Tücher empfingen die Gäste den Hausherrn. „Eure Geschichte
ist komplex und zu gewissen Zeitpunkten auch schmerzvoll“, wandte sich der Papst an
die Roma und Sinti.
„Ihr seid ein Volk, das im Lauf der vergangenen Jahrhunderte
keine nationalistischen Ideologien entwickelt hat, das keinen Landbesitz anstrebte
und nicht versuchte, andere Völker zu beherrschen…. Leider habt ihr im Lauf der Jahrhunderte
den bitteren Geschmack der Abweisung und mitunter der Verfolgung kennen gelernt, wie
etwa im Zweiten Weltkrieg: Tausende Frauen, Männer und Kinder sind in den Vernichtungslagern
barbarisch ermordet worden. Es war, wie ihr sagt, das „große Zerfleischen“, ein Drama,
das immer noch wenig bekannt ist, das eure Familien aber im Herzen tragen.“
Der
Papst erinnerte an seinen Besuch im KZ Auschwitz-Birkenau am 28. Mai 2006, wo er für
die Opfer der Verfolgung betete und vor einem Gedenkstein in Romanes niederkniete,
der an die ermordeten Roma und Sinti erinnert.
„Das europäische Gewissen
kann so viel Schmerz nicht vergessen! Nie wieder soll euer Volk Objekt von Unterdrückung,
Ablehnung und Geringschätzung werden! Eurerseits sucht immer die Gerechtigkeit, die
Legalität, die Versöhnung, und versucht, niemals der Grund für das Leiden anderer
zu sein!“
Heute ändere sich die Lage glücklicherweise, fuhr der Papst fort.
Er erinnerte an die reichen Ausdrucksformen der Roma- und Sinti-Kultur in Musik und
Gesang; Kostproben davon waren während der gesamten Begegnung in der Audienzhalle
zu hören. Viele Ethnien seien heutzutage nicht mehr Nomaden, sondern auf der Suche
nach Stabilität.
„Auch Europa, das Grenzen abbaut und die Unterschiede
der Völker für einen Reichtum hält, bietet euch neue Möglichkeiten“, so der Papst.
„Ich lade euch dazu ein, liebe Freunde, gemeinsam eine neue Seite in der Geschichte
eures Volkes für Europa zu schreiben! Die Suche nach angemessener Behausung und Arbeit
und nach Bildung für eure Kinder ist die Basis für diese Integration, die für euch
und die gesamte Gesellschaft von Nutzen sein wird. Arbeitet auch ihr tatkräftig daran,
dass eure Familien sich würdig in das Gewebe der europäischen Zivilisation einfügen.
Unter euch sind zahlreiche Kinder und Jugendliche, die etwas lernen wollen, und die
so wie die anderen und mit ihnen leben möchten. Auf sie schaue ich mit besonderer
Zuneigung, denn ich bin überzeugt, dass eure Kinder ein Recht auf ein besseres Leben
haben. Ihr Wohl soll eure größte Sorge sein!“
Die Kirche stehe auf der
Seite der Roma und Sinti, so Benedikt: „Ihr seid ein geliebter Teil des pilgernden
Gottesvolkes.“ Der Selige Zefirino Gimenez Malla, der vor 75 Jahren das Martyrium
erlitt, sei Beispiel für ein Leben mit Christus und der Kirche, sagte der Papst auf
romanes. Er lade seine Landsleute dazu ein, die Gebote zu beachten sowie Ehrlichkeit,
Nächstenliebe und Großzügigkeit gegenüber dem Nächsten zu pflegen. „Der Heilige Geist
möge seine Gaben reich über euch alle ausgießen und euch zu großzügigen Zeugen des
Auferstandenen machen“, sagte der Papst mit Blick auf das Pfingstfest.
Vier
ausgewählte Angehörige der Roma und Sinti berichteten dem Papst über ihre Lebenserfahrungen,
allen voran die 78jährige österreichische Schriftstellerin Ceija Stojka, die als Kind
drei Konzentrationslager überlebt hatte, darunter Auschwitz. Sie beobachtet auch heute
Unterdrückung für Roma und Sinti und fürchtet, dass Auschwitz nur „schlafe“. "Wir
sind die Blumen dieser Erde, und werden zerdrückt, misshandelt, getötet, in Ungarn,
in Tschechien, in ganz Europa. Ich wünsche mir eines, hellhöriger und mit offenen
Augen die Zigeuner aufzunehmen, sie mit mehr Respekt zu behandeln, und nie wieder
Auschwitz... es könnte wieder geschehen, die Menschen gibt es auch dazu", so die Schriftstellerin
in ihrem berührenden Zeugnis.
Aus den Worten eines 18-Jährigen, dessen Eltern
aus Jugoslawien stammten, sprach die tiefe Sehnsucht der jungen Generationen der Roma
und Sinti nach einem besseren Leben. „Ich weiß, dass es Roma gibt, die sich falsch
verhalten, aber die Schuld ist persönlich, nicht die eines ganzen Volkes“, so der
junge Mann. „Wir wünsche uns, zur Schule und zur Arbeit gehen zu können, in Häusern
zu leben, Dokumente zu haben. Das klingt nach banalen Dingen, aber für zu viele Zigeuner
sind sie das nicht. Wenn ich an die Zukunft denke, denke ich an Städte und Länder,
wo auch für uns Platz ist, als Bürger unter anderen, nicht wie ein Volk, das man isolieren
und fürchten muss.“
Ähnlich äußerte sich eine 28-jährige zweifache Mutter,
während eine slowakische Ordensfrau davon erzählte, wie sie während der kommunistischen
Ära ihres Landes in der Unterdrückung zu einem christlichen Leben fand; „in der Gemeinde
machte es niemandem etwas aus, dass ich Zigeunerin war“.