Vatikan: Lorenzo Lotto - Der "Borderline-Künstler"
Der Renaissance-Künstler
Lorenzo Lotto ist noch nicht vielen Kunstfreunden ein Begriff. Doch das könnte sich
bald ändern: in Rom werden momentan nicht nur Lottos Hauptwerke ausgestellt. Der Direktor
der Vatikanischen Museen, Antonio Paolucci, hat auch eine sehenswerte DVD zu Lotto
veröffentlicht.
Es ist ein typisches Thema der religiösen Malerei des 16. Jahrhunderts:
Auf der „Presentazione al tempio“ erblickt man in einem hohen, lichten Raum eine Gruppe
von Frauen mit einem Säugling, die sich um einen Propheten scharen. So wird die "Darstellung
Jesu im Tempel" fast immer auf die Leinwand gebracht. Doch bei einem genaueren Blick
auf dem Altar fällt auf: anstatt vier Holzbeinen lugen unter dem Tuch vier Menschenfüße
hervor. Und die Gesichter der Frauen um die Gottesmutter lösen sich in verschiedene
Farbflächen auf. Paolucci:
„Tatsächlich meint man, sich in einem surrealistischen
Bild von Magritte oder Dali zu befinden, doch es ist ein Gemälde von Lorenzo Lotto,
aus seinem Todesjahr 1556.“
Antonio Paolucci, Kunsthistoriker und Direktor
der Vatikanischen Museen muss es wissen: er beschäftigt sich seit vielen Jahren mit
dem Werk des Renaissance-Künstler Lotto. Letzte Woche hat er im Vatikan die DVD „Lorenzo
Lotto“ präsentiert, auf der er alle bedeutenden Werke des Künstlers vorstellt. Dafür
ist er mit seinem Team einmal quer durch Europa gereist, vom Museo di Capodimonte
zur Berliner Gemäldegalerie. Paolucci fasziniert besonders die schwierige stilistische
Einordnung des Venezianers.
„Sehen Sie, das wahre Problem beim Werk Lottos
ist, dass man nicht weiß, von welchen Künstlern er sich auf seiner Reise durch fast
ganz Italien inspirieren ließ. Dokumentiert ist sein Besuch der Werkstatt Raffaels
im Vatikan, vielleicht ist er auch Michelangelo über den Weg gelaufen. Sicherlich
hat er die Werke aller großen Venezianer gesehen und auch jene von Albrecht Dürer.
Wir wissen jedoch nicht, ob er ihn getroffen hat. Aber als sich Lotto nachweislich
in Venedig aufhielt, wohnte dort auch Dürer.“
Der Einfluss Dürers ist vor
allem in den Bildkompositionen bemerkbar. Sie sind nicht so idealisiert und ausgewogen
wie bei Raffael, sondern haben eine geradezu barocke Dynamik. Ist Lorenzo Lotto ein
Maler des stilistischen Übergangs?
„Ja das stimmt, er ist ein „Borderline-Maler“,
ein Maler, der sich nicht an akademische Regeln hält, aber seiner psychologischen
und religiösen Unruhe im Laufe seines Lebens immer stärkeren Ausdruck verleiht. Jemand
hat sogar gesagt, dass Lorenzo Lotto von seinen Bildern her eigentlich Protestant
sein müsste, aber das stimmt nicht, er war vollkommen katholisch, das beweist sein
Lebensabend im Loreto-Kloster. Er war sogar wirklich gläubig und hat seine Glaubenskonflikte
gewissermaßen in seinen Bildern abgearbeitet.“
Diese Gläubigkeit Lottos
haben Paolucci und den Regisseur Luca Criscenti dazu veranlasst, als Hintergrundmusik
für die Bildbetrachtungen, Werke von Johann Sebastian Bach zu wählen. Die DVD bietet
also nicht nur die gut verständlichen Bilderklärungen des Spezialisten. Mit der Kamera
reist man außerdem an die Orte, an denen der Künstler gewohnt und gewirkt hat, von
Bergamo bis nach Rom und Loreto. Es ist also ein einstündiger Genuss aus Bild und
Ton, der die Vielseitigkeit der italienischen Renaissance erahnen lässt.