Der „arabische Frühling“ richtet sich vordergründig gegen die alten Regime in den
umbrechenden Ländern, doch er enthält auch eine anti-westliche Komponente. Darauf
verweist William Hanna Shomali, Weihbischof im lateinischen Patriarchat in Jerusalem.
Was die Entwicklung des Gemeinwohls betrifft, seien die Proteste in Tunesien, Ägypten,
im Jemen, in Bahrain und auch in Syrien positiv motiviert, so der Weihbischof im Gespräch
mit Radio Vatikan:
„In der arabischen Welt gibt es die Korruption, diese
Machthaber, die Milliarden Dollar hatten. Man weiß nicht, woher, sie haben geklaut
– anders kann man das wohl nicht erklären. Die Jugend hat wirklich diese Regierungen
destabilisiert, das ist ein erster positiver Punkt: die Revolte der Jugend gegen Korruption.“
Andererseits kämen durch die Umbrüche auch neue politische Kräfteverhältnisse
zutage, die eine anti-westliche Politik mit sich bringen könnten, befürchtet Shomali.
Er denkt an die Muslim-Bruderschaft, die zum Beispiel in Ägypten derzeit gute Chancen
hat, mit ihrer Partei „Gerechtigkeit und Freiheit“ ins neue Parlament gewählt zu werden.
Mubaraks Allianz mit dem Westen ist, ebenso wie die Ghaddafis mit dem Westen, durch
die Proteste zerbrochen.
„Jetzt ist wahrscheinlich, dass die Muslimbrüder
bei den nächsten Wahlen in Ägypten die Mehrheit der Wählerstimmen bekommen, nämlich
70 Prozent, ebenso in Syrien, wenn der der Umsturz gegen die Machthaber, also die
Familie Assad und die Partei Baath gelingt. Es gibt also eine sehr starke islamische
Bewegung gegen die Diktaturen, aber auch gegen den Westen, denn der hat nach Ansicht
der Araber das Problem in Palästina geschaffen. Wenn der Westen weiter den israelischen
Staat, wird er Feind der arabischen Völker bleiben. Das ist eine einfache Beschreibung,
die aber wahr ist. Als das Militär in Ägypten zum Beispiel die Regierung übernahm,
haben sie die Passage zwischen Ägypten und Gaza geöffnet, die Amerikaner hatten den
Korridor ja geschlossen. Es gibt also eine anti-amerikanische, anti-westliche Reaktion
in diesen Revolutionen, auf Basis der islamischen Ideologie.“
In Ägypten
soll im September gewählt werden. Nach Angaben des römischen Pressedienstes fallen
die Muslimbrüder im Wahlkampf mit einer ausgefeilten Medienkampagne auf; sie seien
fast als einzige Partei im Fernsehen, Radio und in Zeitungen präsent. Die ägyptische
Wahlkommission hatte die Partei der Vereinigung zu den Wahlen zugelassen; es ist das
erste Mal seit 60 Jahren, dass eine islamische Partei sich wieder zur Wahl stellt.