Sehr geehrter Herr Präsident, meine Herrn Kardinäle, verehrte Mitbrüder, sehr
geehrte Damen und Herren, liebe Brüder und Schwestern! Es freut mich sehr,
daß ich zum Auftakt meines Besuchs Ihnen begegne, die Sie herausragende Kreise der
kroatischen Gesellschaft und das Diplomatische Korps vertreten. Mein herzlicher Gruß
gilt jedem einzelnen persönlich wie auch den wichtigen Einrichtungen, denen Sie angehören:
den Ordensgemeinschaften, den politischen, wissenschaftlichen und kulturellen Einrichtungen,
dem künstlerischen, wirtschaftlichen und sportlichen Bereich. Aufrichtig danke ich
Erzbischof Puljić und Prof. Zurak für die freundlichen Worte, die sie an mich gerichtet
haben, sowie den Musikern, die mich mit der universalen Sprache der Musik empfangen
haben. Die für Kunst und Kultur typische Dimension der Universalität ist dem Christentum
und der Katholischen Kirche besonders wesensnah. Christus ist ganz Mensch, und alles
Menschliche findet in ihm und in seinem Wort eine Fülle an Leben und an Sinn. Dieses
prachtvolle Theater ist ein symbolischer Ort, der Ihre nationale und kulturelle Identität
zum Ausdruck bringt. Sie hier gemeinsam versammelt treffen zu können, ist ein weiterer
Grund geistiger Freude, denn die Kirche ist ein Geheimnis der Gemeinschaft und freut
sich stets über die Gemeinschaft im Reichtum der Verschiedenheiten. Die Teilnahme
der Vertreter der anderen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften wie auch der jüdischen
und islamischen Religionsgemeinschaft trägt dazu bei, daran zu erinnern, daß die Religion
nicht eine von der Gesellschaft getrennte Wirklichkeit ist: Sie ist vielmehr eine
ihr wesenseigene Komponente, die ständig an die vertikale Dimension gemahnt, an das
Hören auf Gott als Voraussetzung für die Suche nach dem Gemeinwohl, nach der Gerechtigkeit
und der Versöhnung in der Wahrheit. Die Religion bringt den Menschen in Beziehung
zu Gott, dem Schöpfer und Vater aller, und muß daher eine Kraft des Friedens sein.
Die Religionen müssen sich stets gemäß diesem ihren wahren Wesen reinigen, um ihrer
echten Sendung zu entsprechen. Und hier möchte ich das zentrale Thema meiner kurzen
Überlegung einführen: das Gewissen. Es ist transversal im Verhältnis zu den verschiedenen
Bereichen, in denen Sie tätig sind, und ist grundlegend für eine freie und gerechte
Gesellschaft, sowohl auf nationaler wie übernationaler Ebene. Ich denke natürlich
an Europa, zu dem Kroatien auf historisch-kultureller Ebene von jeher gehört, während
es auf politisch-institutioneller Ebene vor dem Beitritt zur Europäischen Union steht.
Nun, die großen Errungenschaften der Neuzeit, d. h. die Anerkennung und die Gewährleistung
der Gewissensfreiheit, der Menschenrechte, der Freiheit der Wissenschaft und damit
einer freien Gesellschaft sind zu bestätigen und zu entfalten. Dabei sind jedoch die
Rationalität und die Freiheit auf ihr transzendentes Fundament hin offen zu halten,
um zu vermeiden, daß diese Errungenschaften sich selbst aufheben, wie wir es leider
in nicht wenigen Fällen feststellen müssen. Die Qualität des gesellschaftlichen und
öffentlichen Lebens, die Qualität der Demokratie hängen zum Gutteil von diesem „kritischen“
Punkt ab, der das Gewissen ist, davon, was man darunter versteht und wieviel man für
seine Bildung tut. Wenn man das Gewissen entsprechend dem vorherrschenden modernen
Denken auf den Bereich des Subjektiven reduziert, in den die Religion und die Moral
verbannt werden, dann gibt es für die Krise des Westens kein Heilmittel und Europa
ist zum Rückschritt verurteilt. Wenn dagegen das Gewissen wiederentdeckt wird als
Ort des Hörens auf die Wahrheit und das Gute, als Ort der Verantwortung gegenüber
Gott und den Mitmenschen – welche die Kraft gegen jede Diktatur ist –, dann besteht
Hoffnung für die Zukunft. Ich bin Prof. Zurak dankbar, daß er an die christlichen
Wurzeln zahlreicher kultureller und wissenschaftlicher Einrichtungen dieses Landes
erinnert hat, was im übrigen für den gesamten europäischen Kontinent gilt. An diese
Ursprünge zu erinnern ist notwendig, auch um der historischen Wahrheit willen, und
es ist wichtig, diese Wurzeln in ihrer Tiefe zu verstehen, damit sie auch das Heute
beleben können. Das heißt, es ist entscheidend, die Dynamik zu begreifen, die dem
Ereignis, zum Beispiel der Gründung einer Universität, einer künstlerischen Bewegung
oder eines Krankenhauses, zugrunde liegt. Man muß das Warum und das Wie des Geschehens
verstehen, um im Heute diese Dynamik auszuwerten, die eine geistige Wirklichkeit ist,
welche zu einer kulturellen und dann gesellschaftlichen Wirklichkeit wird. Am Ausgangspunkt
von allem stehen Männer und Frauen, stehen Menschen, Gewissen, die von der Kraft der
Wahrheit und des Guten bewegt sind. Einige von ihnen wurden unter den berühmten Söhnen
dieses Landes zitiert. Ich möchte bei Pater Ruđer Josip Bošković stehenbleiben, einem
Jesuiten, der vor dreihundert Jahren, am 18. Mai 1711, in Dubrovnik geboren wurde.
Er verkörpert sehr gut die glückliche Verbindung von Glaube und Wissenschaft, die
sich gegenseitig anregen für eine Forschung, die zugleich offen, differenziert und
zur Synthese fähig ist. Sein Hauptwerk, die Mitte des 18. Jahrhunderts in Wien und
dann in Venedig veröffentlichte Theoria philosophiae naturalis, trägt einen sehr bedeutsamen
Untertitel: redacta ad unicam legem virium in natura existentium, d. h. „nach dem
einzigen Gesetz der in der Natur existierenden Kräfte“. Bei Bošković gibt es die Analyse,
gibt es das Studium der mannigfaltigen Wissenszweige, aber es gibt auch die Leidenschaft
für die Einheit. Und das ist typisch für die katholische Kultur. Darum ist die Gründung
einer Katholischen Universität in Kroatien ein Zeichen der Hoffnung. Ich wünsche mir,
daß sie dazu beisteuern möge, eine Einheit zu schaffen zwischen den verschiedenen
Bereichen der zeitgenössischen Kultur, den Werten und der Identität Ihres Volkes und
so dem fruchtbaren kirchlichen Beitrag zur Geschichte der edlen kroatischen Nation
Kontinuität verleihe. Um zu Pater Bošković zurückzukehren: Die Fachleute behaupten,
seine sowohl in den Naturwissenschaften als auch in der Geometrie gültige Theorie
der „Kontinuität“ sei in hervorragender Weise vereinbar mit einigen der großen Entdeckungen
der modernen Physik. Was soll man dazu sagen? Erweisen wir dem berühmten Kroaten,
aber auch dem echten Jesuiten unsere Ehrehrbietung; geben wir dem Freund der Wahrheit
die Ehre, der wohl weiß, wie weit sie ihn überragt, der aber im Licht der Wahrheit
auch die Ressourcen der Vernunft, die Gott selbst ihm gegeben hat, bis zum Grunde
einzusetzen weiß. Neben der Anerkennung muß man aber auch die Methode, die geistige
Offenheit dieser großen Männer beherzigen. Kehren wir also zum Gewissen als dem Schlußstein
für den kulturellen Aufbau und für die Schaffung des Gemeinwohls zurück. In der Gewissensbildung
bietet die Kirche der Gesellschaft ihren eigentlichsten und kostbarsten Beitrag. Ein
Beitrag, der in der Familie beginnt und in der Pfarrei eine bedeutende Stärkung erfährt,
wo von klein auf die Kinder und dann die Jugendlichen lernen, die Heilige Schrift
zu vertiefen, die der „große Codex“ der europäischen Kultur ist; und zugleich lernen
sie den Sinn für die Gemeinschaft, die auf der Gabe basiert, nicht auf wirtschaftlichem
oder ideologischem Interesse, sondern auf der Liebe, die „der hauptsächliche Antrieb
für die wirkliche Entwicklung eines jeden Menschen und der gesamten Menschheit“ ist
(Caritas in veritate, 1). Wenn diese Logik der Vorleistungsfreiheit in der Kindheit
und Jugend gelernt wird, praktiziert man sie dann in jedem Bereich: im Spiel und im
Sport, in den zwischenmenschlichen Beziehungen, in der Kunst, im freiwilligen Dienst
an den Armen und Leidenden. Und wenn man sie erst einmal sich angeeignet hat, kann
man sie in den kompliziertesten Bereichen der Politik und der Wirtschaft anwenden
und so einen Beitrag leisten zu einer Polis, die ansprechend und gastfreundlich ist,
zugleich aber nicht leer, nicht neutral im falschen Sinne, sondern reich an menschlichen
Inhalten mit starker ethischer Bedeutung. Hier sind die christgläubigen Laien berufen,
von den Grundsätzen der Soziallehre der Kirche geleitet, großherzig ihre Bildung und
Prägung einzubringen für eine echte Laizität, für die soziale Gerechtigkeit, für den
Schutz des Lebens und der Familie und für die Religions- und Erziehungsfreiheit. Verehrte
Freunde, Ihre Anwesenheit und die kulturelle Tradition Kroatiens haben mich zu diesen
kurzen Überlegungen angeregt. Ich überlasse sie Ihnen als Zeichen meiner Wertschätzung
und vor allem als Zeichen für den Willen der Kirche, mit dem Licht des Evangeliums
inmitten dieses Volkes voranzuschreiten. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und
segne von Herzen Sie und Ihre Tätigkeiten sowie alle, die Ihnen verbunden sind.