2011-05-25 18:06:53

Vatikan: Papst Benedikt spricht mit dem Himmel


RealAudioMP3 Eine nicht alltägliche Unterhaltung: Vergangenen Samstag telefonierte Papst Benedikt XVI. mit den Astronauten auf der Internationalen Raumstation ISS. Der Pontifex saß in seiner Privatbibliothek, vor sich einen großen Monitor, auf dem er die Raumfahrer sehen konnte; die Astronauten ihrerseits konnten den Papst bloß hören. Zudem mussten sie sich in den 20 Minuten der Konversation mit dem Papst leicht an ihren Sitzen festhalten, um im schwerelosen Raum nicht einfach nach oben wegzuschweben. Ungewöhnlich war nicht nur die ganze Anordnung, sondern auch die Tatsache, dass man den Papst einmal Fragen stellen – und nicht welche beantworten hörte.

Samstag, 21. Mai 2011. Punkt 13:11 Uhr; die Leitung zwischen Himmel und Erde wird aufgebaut. Beim Papst in der Bibliothek stehen drei Herren in dunklen Anzügen, einer von ihnen ist ein Landsmann Benedikts, der frühere deutsche Astronaut Thomas Reiter, der früher selbst auf der ISS wirkte; er führt den technischen Check der Leitung ins Weltall durch, die Linie steht sofort, kaum ein Rauschen ist da zu hören. Auf dem Bildschirm erscheinen dicht nebeneinander sitzend bzw. stehend zwölf Besatzungsmitglieder der Raumstation, darunter eine Frau, deren halblanges Haar in der Schwerelosigkeit zu Berge steht. Der Präsident der Italienischen Raumagentur Enrico Saggese, er steht neben dem Papst, grüßt nun den Pontifex im Namen der Astronauten und wohl auch für sie, die sie Benedikt nicht sehen können. Daraufhin stellt der Kommandant der ISS, der Russe Dmitri Kondratjew, dem Papst die Raumfahrer namentlich vor.

„Ich freue mich sehr über diese außergewöhnliche Gelegenheit, während Ihrer Mission mit Ihnen zu sprechen“, sagte Benedikt den Kosmonauten in seiner kurzen verlesenen Ansprache. „Die Menschheit erlebt eine Zeit extrem schnellen Fortschritts in der Wissenschaft und Technik. In gewisser Weise sind Sie unsere Stellvertreter – weil Sie die menschliche Erforschung neuer Räume und Möglichkeiten für unsere Zukunft anführen und die Begrenzungen unserer Alltagsexistenz überschreiten. Wir sind überzeugt, dass Sie sich von edlen Idealen leiten lassen und ihre Forschungsergebnisse und Mühen der gesamten Menschheit zur Verfügung stellen“. Und dann das Bekenntnis des Papstes: er selbst empfinde Bewunderung und Wertschätzung für die Astronauten und alle, die ihre Mission möglich machen.

Aber, so fährt er lesend fort, das ist ja hier schließlich ein Gespräch, ich bin sehr neugierig, Sie über Ihre Erfahrungen und Reflektionen berichten zu hören. Erste Frage: Sie fliegen da oben mehrmals täglich über alle Kontinente, es muss Ihnen absurd scheinen, dass da unten die Menschen einander bekämpfen und töten. Der Papst spricht namentlich den US-Astronauten Mark Kelly an, dessen Frau, eine Politikerin, im Januar mit einem Kopfschuss schwer verletzt wurde, „ich hoffe, sie ist weiterhin auf dem Weg der Besserung“, fügt der Papst hinzu. Fragen Sie sich jemals von Ihrer Warte da oben, in welcher Weise Wissenschaft zum Frieden beitragen kann?

Mark Kelly bedankt sich für die Anteilnahme des Papstes und beantwortet seine Frage mit dem Hinweis, dass es bei einigen Kriegen und Konflikten um Demokratie gehe, aber bei den meisten um Ressourcen. „Auf der Erde kämpfen die Leute oft für Energie. Im Weltraum nutzen wir Sonnenkraft und Brennstoffzellen. Das gibt uns eine praktisch unbegrenzte Menge an Energie. Wenn diese Technologien mehr auf die Erde angepasst werden können, könnten wir vielleicht mehr Gewalt verhindern.“

Zweite Frage des Papstes: Schöpfungsverantwortung, Umwelt, das Leben der kommenden Generationen. „Ernüchternd“ nennt es der US-Astronaut Ron Garan, dass die Erdatmosphäre, vom Weltall aus betrachtet, dünn wie Papier und dabei das einzige ist, was alle Menschen vor dem Vakuum des Alls schützt. Aber die ISS, diese unglaubliche, von vielen Nationen getragene Raumstation, beweise doch, dass Zusammenarbeit viele Probleme unseres Planeten lösen könne.

Wenn Sie Ihre Mission vollenden und auf die Erde zurückkehren, werden Sie wie Helden behandelt werden und mit Autorität auftreten, fährt der Papst fort und will wissen: was ist die Botschaft, die Sie dann wirklich weitergeben möchten? „Die jungen Leute sollen wissen“, antwortet ein weiterer US-Astronaut, Mike Finchke, „dass da draußen ein ganzes Universum darauf wartet, entdeckt zu werden. Und wenn wir es zusammen tun, gibt es nichts, was wir nicht erreichen können“ – möglicherweise eine Antwort, bei der Benedikt unter normalen Umständen nachgehakt hätte.

„Glaubende schauen oft auf zum grenzenlosen Himmel und wenn sie an den Schöpfer denken, werden sie erfasst vom Geheimnis seiner Größe“, beginnt er seine nächste Frage. „Deshalb zeigt das Medaillon, das ich Roberto Vittori [einem der anwesenden Astronauten] gab, die Schöpfung, wie Michelangelo sie in der Sixtinischen Kapelle malte. Halten Sie manchmal inne in Ihrer intensiven Arbeit und sagen ein Gebet zum Schöpfer? Oder ist es einfacher für Sie, das auf den Zeitpunkt zu verschieben, wenn Sie zurück auf der Erde sind?“

„Wenn die Nacht kommt, hat jeder von uns die Gelegenheit, auf den Planeten zu schauen, und seine Schönheit nimmt unser Herz ein, nimmt mein Herz ein“, antwortet Vittori. „Und, ja, ich bete, für mich, für unsere Familien, für unsere Zukunft.“ Darauf nimmt der italienische Astronaut das Medaillon, das er vom Papst erhalten hat, und lässt es los, es schwebt und schillert langsam quer durch die Raumstation zu seinem Freund und Landsmann Paolo Nespoli. „Paolo wird auf dem Raumschiff Souyus zur Erde zurückkehren. Ich habe das Medaillon hierher mitgebracht, und er wird es zur Erde bringen und Ihnen zurückgeben.“

Da lächelt der Papst. Die letzte Frage richtet er an den eben angesprochenen Paolo, es ist eine sehr persönliche Frage, Benedikt stellt sie auf Italienisch, und er duzt den Raumfahrer, was sehr ungewöhnlich ist. „Lieber Paolo, ich weiß, dass in den vergangenen Tagen deine Mutter dich verlassen hat, und wenn du nach Hause zurückkehrst, wirst du sie nicht mehr wartend auf dich vorfinden. Wir waren dir alle nahe, auch ich habe für sie gebetet. Wie hast du diesen Moment des Schmerzes erlebt? Fühlt ihr euch auf eurer Raumstation weit weg und isoliert, oder seid ihr geborgen in einer Gemeinschaft, die euch mit Achtung und Zuneigung begleitet?“

„Heiliger Vater, Ihre Gebete sind bis hier herauf gedrungen“, versichert Paolo Nespoli; der 53-jährige Italiener gehört zur Stammbesatzung der ISS und hält sich jetzt schon seit Mitte Dezember in der Raumstation auf. „Meine Kollegen waren mir nahe in diesem wichtigen Moment, genauso wie meine Brüder, Schwestern, Tanten, Cousins meiner Mutter in ihren letzten Momenten nahe waren.“ Dankbar sei er für diese Erfahrung, sagt der Kosmonaut. Und auch für das Verständnis der Raumagentur, die es ihm ermöglich habe, mit seiner Mutter in ihren letzten Zügen noch zu sprechen.

Der Papst bedankt sich, immer noch lesend, für den Dialog zwischen Himmel und Erde, am Ende liest er vor, er erteile jetzt den Apostolischen Segen, lässt es aber bleiben, vielleicht aus Respekt für vermutete interkonfessionelle Befindlichkeiten, wer kann denn schon mit letzter Gewissheit sagen, ob etwa die Russen unter den Raumfahrern sich über einen Papstsegen freuen würden. Wie auch immer, die Atmosphäre, die ein wenig steif war, belebt sich jetzt. Alle winken: die zwölf Astronauten, die den Papst nur hören können, und der Papst, der seinerseits die zwölf vor sich auf dem Bildschirm sieht. Einer von ihnen löst sich nun von seinem Sitz und entschwebt zum Abschied nach oben, das amüsiert den Papst. Im Himmel sind die Gegebenheiten eben anders als man es von der Erde aus vermuten würde.
(rv 25.05.2011 gs)







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