Arabischer Frühling: „Wer profitiert am Ende davon?“
„Arabischer Frühling“,
„Arabellion“ und „Aufbruch in Nordafrika“ – nach lang ersehnter und lang verdienter
Veränderung klingen die Namen, die die Vorgänge in der arabischen Welt derzeit in
westlichen Medien bekommen. Allerdings ist die Realität in diesen umbrechenden Ländern
unübersichtlich, ihre Zukunft alles andere als klar. Daran erinnert der Lateinische
Erzbischof von Baghdad, Monsignor Jean-Benjamin Sleiman, im Gespräch mit Radio Vatikan.
Mit Blick auf den Irak, der acht Jahre nach dem Sturz Saddam Husseins immer noch im
Chaos versinkt, rät er, vor lauter Enthusiasmus über diese „erwachenden Völker“ die
für eine Demokratie wesentlichen Fragen nicht aus den Augen zu verlieren:
„Das
vielleicht Wichtigste, das uns der Irak lehrt, ist: Man muss sehr vorsichtig sein,
wenn man vom „arabischen Frühling“ spricht. (…) Das Regime im Irak ist gefallen, aber
das „Danach“ hat noch keine wirkliche Hoffnung geben können. Ich sage ja nicht, dass
es nicht schon wichtige Fortschritte gab, aber der Irak konfrontiert noch nicht seine
wirklichen Probleme – wie etwa die Frage seiner Einheit, die Ausbeutung seiner Ressourcen,
die Verfassung, die Frage der Versöhnung… Das ist eine Lehre! Was die Vorgänge in
der arabischen Welt betrifft: Natürlich sind wir froh, wenn sich Völker von ihren
Diktaturen und von Machthabern befreien, die sie demütigen und ausnutzen. Aber wer
profitiert am Ende davon? Was bedeutet eine Revolution der Jugend, bei der am Ende
das Militär die Macht ergreift? Was meint eine Revolution, die am Ende zu einem Bürgerkrieg
wird?“
Einen ähnlichen, zur Vorsicht mahnenden Tonfall schlug in diesen
Tagen auch der italienische Jesuit Paolo Dall’Oglio aus Syrien an: Er warnte das Ausland
davor, die syrische Führung zu sehr unter Druck zu setzen. Die Regierung werde schon
selbst begreifen, dass Reformen unumgänglich seien. Und bei einem Sturz des Regimes
könnten Chaos und Bürgerkrieg die Folge sein, vor allem Gewalt gegen Christen. Diese
traurige Rechnung ist für den Irak in der Tat aufgegangen: Mit dem offiziellen Kriegsende
ging der Krieg gegen Christen dort erst richtig los; sie fliehen bis heute scharenweise
aus dem Irak. Erst in diesen Tagen sorgte in der christlichen Gemeinschaft von Kirkuk
die Enthauptung eines Christen noch für Entsetzen. Dazu Erzbischof Sleiman:
„Die
Situation hat sich bis heute nicht sehr verändert. Es verändern sich nur die Formen
der Gewalt. Es gab in der letzten Zeit zum Beispiel viel Gewalt gegen Sicherheitskräfte,
auch wenn nicht allzu viel darüber gesprochen wurde - aber das tut wirklich weh!“
Dass
die jeweiligen innenpolitischen Gemengelagen im Irak, in Ägypten, in Tunesien und
in Syrien nicht alle über einen Kamm zu scheren sind, weiß Erzbischof Sleiman freilich
auch. Bei all diesen schnellen Veränderungen dürfe aber eines nie aus dem Blick verloren
werden: das Gemeinwohl nicht nur in den einzelnen Ländern, sondern auch das der ganzen
Region.
„Ich weiß nicht, ob ich das sagen darf: Man sollte die Staatsräson
einmal beiseite lassen. Alle sollten gemeinsam mit anpacken, ausgehend vom Gemeinwohl
des gesamten Mittelmeerraumes. Natürlich muss jeder Staat sein eigenes Interesse verfolgen,
aber vielleicht macht man es besser – das ist wohl ein evangelisches Paradoxon – wenn
man die Interesse des gerade anderen berücksichtigt.“
Unser Schnappschuss
vom arabischen Frühling entstand am Sonntag bei einer Demonstration in der ägyptischen
Hauptstadt Kairo. (rv 20.05.2011 pr)