Bolivien: Wie aus guten Tiroler Ideen lateinamerikanische Hilfe wird
Es ist ein Land der
Gegensätze: Trotz seiner Bodenschätze ist Bolivien das ärmste Land Lateinamerikas.
Von drei Menschen leben zwei in Armut. Rund 80 Prozent aller Bolivianer, also die
überwiegende Mehrheit, leben auf dem sogenannten Altiplano, dem Hochland auf rund
4000 Metern Seehöhe, das aber nur ein Drittel der Landesfläche ausmacht. Zum flächenmäßig
größten Teil zählen dagegen die Llanos, äußerst dünn besiedelte, tropisch heiße Tiefebenen.
Mehr als die Hälfte aller Einwohner zählt zu den so genannten indigenen Völkern, die
hauptsächlich von der Landwirtschaft leben.
Die Solidaritätsaktion „Bruder
und Schwester in Not“ hat sich zum Ziel gesetzt, diesen bitterarmen Menschen zu helfen,
denen vor allem am Land medizinische Versorgung sowie Schulbildung fehlen. Die Stiftung
der Diözese Innsbruck feiert heuer ihr 50-jähriges Bestehen und ist neben Lateinamerika
auch in Ländern Ostafrikas tätig. In den 80er-Jahren hat auf Initiative von Tiroler
Missionaren die Entwicklungshilfe in Bolivien begonnen. Die Referentin für Lateinamerika,
Irmgard Klein, erklärt uns, dass am Anfang immer eine gute Idee steht:
„Die
Ideen werden von Leuten eingereicht, die gute Ideen haben natürlich! Und die dafür
Fördergelder suchen. Das heißt, man kann an uns einen Antrag schicken, der dann von
einem Projektkomitee geprüft wird. Dann wird eine Summe beschlossen und so kommt es
dazu, dass Verbesserung geschehen kann.“
In allen Pfarren der Diözese Innsbruck
wird am dritten Adventsonntag für die Projekte von Bruder und Schwester in Not gesammelt.
Bei der Umsetzung der Hilfsprojekte wird vor allem auf die Eigeninitiative der Menschen
vor Ort gesetzt.
„Eine unserer Visionen ist es, durch Beteiligung der Bevölkerung
die Situation zu verbessern. Da gibt es zum Beispiel ein großes Jugendprogramm in
El Alto. Wenn zum Beispiel die Umweltverschmutzung sehr groß ist, viel Plastik und
Müll herum liegt und die Jugendlichen dies als Problem identifizieren, dann unterstützen
wir sie darin, hier tätig zu werden. Wenn in einem Stadtviertel Gewalt und Alkoholismus
ein großes Problem sind, dann unterstützen wir sie darin, dass sie das laut sagen
und dem Bürgermeister oder zuständigen Oberen zu Gehör bringen können. Wir setzen
sehr stark auf die Eigenkraft der Leute, möchten sie unterstützen und motivieren.“
Viele
der Ideen, die bereits in Bolivien umgesetzt wurden, stammen von ehemaligen Tiroler
Missionaren, die in Südamerika tätig waren. Irmgard Klein war letzten Monat mehr als
zwei Wochen selbst in Bolivien unterwegs, um sich vor Ort zu vergewissern, wie aus
Tiroler Spendengeldern lateinamerikanische Hilfe wird.
„Was mich sehr beeindruckt
hat, war der Erfolg, dass Aguirre II, eine kleine Gemeinde im Hochland von Cochabamba,
jetzt einen eigenen Arzt hat. Den hat sie bekommen, weil sich ein Team eingesetzt
hat, dass er in die Gesundheitsstation hinauf kommt. Das wurde von österreichischen
Spendengeldern finanziert. Das Tolle war, in dieser sehr „basisnahen“ Gesundheitsstation
– ein Klassenzimmer, in dem neben Erdäpfelsäcke Medikamente aufbewahrt werden – mit
dem Arzt und den sehr stolzen Gemeinderäten zu stehen , die quasi ihren Erfolg – den
Arzt – hier präsentieren. Zu sehen, dass die Eigeninitiative Erfolg hat, war sehr
schön.“
Einen Arzt zu haben, ist für ein bolivianisches Dorf etwas ganz
Besonderes. Denn die meisten Menschen in Bolivien, vor allem am Land, haben keinen
Zugang zu ärztlicher Versorgung. Ganz zu schweigen von einer Krankenversicherung.
Schon allein deshalb gibt es neben der Schulmedizin alternative Heilmethoden:
„Die
Menschen haben natürlich ein Jahrhunderte und Jahrtausende altes Wissen, Krankheiten
zu behandeln oder zu heilen. Dieses Wissen wird sehr wohl angewandt. Wir unterstützen
auch Programme, die helfen, dass es zu einem besseren Verständnis kommt. Also dass
das Jahrtausende alte Wissen der indigenen Bevölkerung einen Wert hat. Dieser Arzt
hat neben seinen Kartoffelsäcken auch eine Gemeindeapotheke mit Kräutern, die im Umfeld
der Gemeinde wachsen und bei Durchfall, Bronchitis, Fieber usw. helfen.“
Auch
die katholische Kirche selbst ist in Bolivien in der Entwicklungsarbeit und vor allem
im Gesundheitswesen tätig. Vielfach müssen die Bolivianer erst von den Vorteilen überzeugt
werden, die eine ärztliche Versorgung bieten kann, so Klein:
„Die katholische
Kirche hilft, indem sie Gesundheitsorganisationen der Pfarreien unterstützt und in
den Städten Spitäler betreibt. Oft handelt es sich dabei um private Spitäler, die
natürlich einen größeren Finanzierungsbedarf haben. Ein Beispiel sind die Haller Tertialschwestern
in der Nähe von Innsbruck, die ein Spital im Tiefland Boliviens sowie Gesundheitsstationen
in Yaguarú betreiben. Das Augenmerk der Schwestern liegt besonders auf einem Verständnis,
in diesem Fall des Volkes der Guaraios. Sie erleichtern den Leuten überhaupt den Zugang
zu Gesundheitsstationen, indem sie zu einer Bewusstseinsveränderung beitragen: dass
Kranke, Alte und Schwache Teil einer Gemeinschaft sind.“
Irmgard Klein
hat auf ihrer Reise durch Bolivien auf der Homepage von Bruder und Schwester in Not
(www.zukunft-teilen.at) immer wieder im Internet kurze Anekdoten und Fotos veröffentlicht.
Ein Erlebnis ist ihr dabei in besonderer Erinnerung geblieben:
„Ganz schön
war Aptapi, das ist ein gemeinsames Mahl: la mesa comun – der gemeinsame Tisch. Dabei
breitet die Gruppe ein buntes Tuch auf dem Boden aus. Dort stellt dann jede und jeder
das mitgebrachte Essen zur Verfügung. Nach einer Eröffnungsrede und einem Gebet wird
dann gemeinsam gegessen. Es ist sehr schön, zu sehen, wie aus dem Wenigen, also den
wenigen Erdäpfeln, die sie haben, viele verschiedene Erdäpfelspeisen werden und alle
davon satt werden. Das erinnert mich an biblische Geschichten.“
Dank der
Spenden geht die Arbeit für Irmgard Klein und Bruder und Schwester in Not weiter.
Denn es gibt bereits neue Ideen, wie den Indios in Bolivien geholfen werden kann.
„Eine neue Idee, die mir auf der Reise gekommen ist, ist ein Sonderschulzentrum
von den Haller Tertiarschwestern im Tiefland in der Schule „Nueva Esperanza“ (Neue
Hoffnung), in dem Kinder, die in den anderen Klassen keinen Platz haben, weil sie
irgendeine Beeinträchtigung haben, z.B. Lese- und Rechtschreibschwäche, leichte Formen
von Autismus oder körperliche Beeinträchtigungen, etwas lernen können. Und darauf
sehr stolz sind. Dieses Projekt liegt mir sehr am Herzen und wir hoffen, dass es verwirklicht
wird. Ich bin zuversichtlich!“