Die Theologie Joseph Ratzingers zur Einheit der Liturgie
Bereits als Kardinal
hat der jetzige Papst eindeutig Stellung bezogen zu den Fragen, die sich in der Debatte
um die „alte Messe“ und die Liturgie insgesamt zeigen. In einem Beitrag für eine Tagung
zur Liturgie 2001 hat der damalige Kardinal Joseph Ratzinger zum Beispiel bereits
die Gedanken vorgelegt, die sich später in seinem Motu Proprio finden:
„Ich
persönlich war von Anfang an für die Freiheit, das alte Missale weiter benutzen zu
dürfen, aus einem sehr einfachen Grund; man begann schon damals von einem Bruch mit
der vorkonziliaren Kirche zu sprechen und von der der Herausbildung unterschiedlicher
Kirchenmodelle: eine überholte vorkonziliare Kirche und eine neue konziliare Kirche.
Das ist übrigens jetzt das Schlagwort der Lefebvristen, zu behaupten, dass es zwei
Kirchen gibt (...) . Es ist meines Erachtens von wesentlicher und fundamentaler Bedeutung,
anzuerkennen, dass die beiden Messbücher Messbücher der Kirche sind, und zwar der
Kirche, die immer dieselbe bleibt.“ (Gesammelte Schriften, Bd 11, S. 667f.) Der
Gebrauch des alten Missale sei somit der Ausdruck der fortdauernden Identität der
einen Kirche. Das entstehende Problem zweier verwendeter Formen des einen Ritus
benennt Kardinal Ratzinger ebenfalls: Die Beliebigkeit. Anstatt zu einer Ortskirche
zu gehören, könne man sich diese nun aussuchen. Das Subjekt wählt sich einen Teil
aus, der Ritus hänge nicht mehr an der universalen Kirche, wo er eigentlich verankert
sei, sondern an der Entscheidung des Einzelnen. Und das schade der Einheit. Es brauche
also ein nicht-subjektives Kriterium, um die Möglichkeit des Gebrauchs des alten Missale
zu öffnen, so Kardinal Ratzinger.
Im gleichen Artikel spricht er auch von der
„Reform der Reform“, die später ein Schlagwort werden soll: Ziel müsse die „liturgische
Versöhnung“ sein, man müsse sich gegen die „Chaotik“ wenden und das Zerbrechen der
Einheit der Liturgie, „und in diesem Sinn auch für die Einheit in der Befolgung des
Missale Pauls VI.“ Ratzinger kommt zum gleichen Gedanken wie bei der Erwägung der
Zulassung der „alten Messe“: Der Ritus muss einer sein, wie auch die Kirche eine ist,
und er dürfe nicht der Beliebigkeit der Ortsgemeinden oder der Experten überlassen
werden.
2003 fasst Kardinal Ratzinger seinen Blick auf die Liturgiereform des
Zweiten Vatikanischen Konzils so zusammen, dass es sich an die Gedanken zu Einheit
und Reform anschließt: „In der Tat kann kein Konzil einfach Neues schaffen: Es
kann nur dem endgültige Gestalt und Verbindlichkeit geben, was zuvor im Glaubensleben
der Kirche gereift ist.“ Nicht das Hervorbringen von vorher Unbekanntem sei seine
Aufgabe, sondern „es hat aus den Strömungen seiner Zeit das Gültige, wirklich aus
dem Glauben der Kirche Herausgewachsene herauszufiltern, auf diese Weise Gemeinsamkeit
zu schaffen und die Richtung des weiteren Weges zu bestimmen.“ (S. 695f.) Angewendet
auf die Liturgiekonstitution des Konzils, Sacrosamctum Concilium, bedeutet
das, dass Liturgie etwas Lebendiges ist: Es wächst und erneuert sich, wahrt aber auch
seine eigene Identität. Ins Gegenteil gewendet heißt der Satz laut Ratzinger: Liturgie
nach dem Willen des Konzils ist keine „Werkstatt unseres Machens“, denn das würde
das Eigentliche vergessen machen: Gott. „Denn in der Liturgie geht es nicht um uns,
sondern um Gott.“ (S. 718)
Diese Gedanken und Sätze des Theologen Ratzinger
finden sich in den päpstlichen Dokumenten zur Liturgie wieder. Und auch seine Ansprachen
drücken das aus. So sei Liturgie nicht so sehr ein Objekt der Reform als ein Subjekt,
das dazu in der Lage ist, das christliche Leben zu erneuern. Das betonte Papst Benedikt
XVI. erst neulich, am 6. Mai 2011, vor Teilnehmern an einem Liturgiekongress, veranstaltet
vom päpstlichen liturgischen Institut Sant´Anselmo anlässlich dessen 50. Geburtstages.
Von Beginn des Institutes an, so der Papst, habe sich die Notwendigkeit gezeigt, die
theologischen Grundlagen der Liturgie genau zu studieren, um nicht in die Fallen des
Ritualismus oder des Subjektivismus zu fallen und um sicher zu stellen, dass jede
Reform im Licht der Offenbarung und der Tradition der Kirche erfolge. Das Institut
sei aufs engste mit den liturgischen Erneuerungen des Zweiten Vatikanischen Konzils
verbunden gewesen, so der Papst in seiner Ansprache. Die Kirche habe hier nicht zuerst
Texte und Rituale verändern als vielmehr die Mentalität erneuern wollen, die dieses
Geheimnis Christi im Zentrum der Pastoral und des kirchlichen Lebens sehe. Nicht selten
spiele man heute auf ungeschickte Weise Tradition und Fortschritt gegeneinander aus.
In Wirklichkeit aber seien Tradition und Fortschritt zwei sich ergänzende Begriffe,
wie das Konzil betont habe. „Die Tradition ist eine lebendige Wirklichkeit und schließt
in sich das Prinzip der Entwicklung ein, des Fortscheitens. Man könnte sagen, der
Fluss der Tradition führt seine Quelle mit sich und läuft auf eine Mündung zu.“
Der
Band der gesammelten Schriften Joseph Ratzingers, aus dem hier zitiert ist, ist der
elfte Band, „Theologie der Liturgie“, erschienen bei Herder Freiburg Basel Wien 2008.