2011-05-06 11:01:20

Pakistan: Nach Bin Ladens Tötung noch mehr Christenverfolgung?


RealAudioMP3 Nach der Tötung des Top-Terroristen Osama Bin Laden befürchten Kirchenvertreter in Ländern mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit Racheaktionen und steigende Christenverfolgung. Gießt die Eliminierung Bin Ladens - von der US-Regierung als Tat für die Gerechtigkeit umschrieben - Öl ins Feuer radikaler Moslems in Pakistan? Über diese Frage hat Radio Vatikan mit Berthold Pelster vom katholischen Hilfswerk Kirche in Not gesprochen. Er ist Autor der aktuellen Dokumentation „Christen in großer Bedrängnis“, die die Entwicklung der Religionsfreiheit unter anderem in Pakistan beschreibt.
„Ich habe die Befürchtung, dass es zu Racheaktionen kommen könnte. Einerseits ist natürlich ein wichtiger Kopf der Terrorbewegung Al Kaida ausgeschaltet, andererseits ist diese Terrorbewegung in den vergangenen Jahren so stark gewachsen, hat sich so stark verzweigt, ist in so vielen verschiedenen Ländern inzwischen aktiv, dass es unabhängige Terrorzellen gibt, die Anschläge verüben könnten. Und es ist eine allgemeine Erfahrung, dass solche Aktionen häufig zu Gegenaktionen führen. Es kann gut sein, dass in der nahen Zukunft Anschläge auf Christen oder westliche Einrichtungen verübt werden.“
Nachdem in Pakistan vor wenigen Monaten der Katholik und pakistanische Minderheitenminister Shabaz Bhatti, der sich für eine Modifizierung des umstrittenen Blasphemie-Gesetzes einsetzte, von einem radikalen Moslem getötet wurde, ertönte von Vatikanseite abermals der Ruf nach mehr Schutz der Religionsfreiheit in dem Land. Papst Benedikt XVI. hatte sich vorher bereits für die Freilassung der zum Tode verurteilten Christin Asia Bibi stark gemacht, die wegen Vorwurf der Blasphemie bis heute im Gefängnis sitzt. Die pakistanische Regierung sitze angesichts fundamentalistischer Gruppen im eigenen Land und dem steigenden Druck des Westens zwischen zwei Stühlen, so Pelster. Wenigstens habe sie das vakante Amt des Minderheitenministers erneut mit einem Christen besetzt, nämlich mit Paul Bhatti, dem Bruder des getöteten Shabaz Bhatti.

„Das was wir wissen ist eben, dass die Regierung in Pakistan durchaus ein gewisses Interesse daran hat, eben für friedliche Verhältnisse in dem Land zu sorgen. Das Militär geht gegen die Taliban-Extremisten vor, die Regierung hat dieses Ministerium für religiöse und andere Minderheiten eingerichtet. Dass die Regierung das Ministerium weiterführt und mit dem Bruder des Getöteten besetzt, ist ein positives Zeichen. Aber das Problem ist, dass die Regierung mit einer starken extremistischen Opposition zu kämpfen hat. Der Einfluss der Taliban ist auch in Pakistan sehr große und weitet sich aus. Fundamentalistisches Gedankengut infiltriert immer mehr Bereiche der pakistanischen Gesellschaft – die Schulen, sogar das Militär sind unterwandert davon. Und die Regierung hat nicht wirklich freie Hand, sie muss immer Rücksicht nehmen auf diese politischen Extremisten, weil andererseits sonst der Bestand dieser Regierung gefährdet ist.“

Zuwendung zum Islam aus Enttäuschung über die Politik
Der Bericht zur weltweiten Christenverfolgung „Christen in großer Bedrängnis“ geht zum großen Teil auf die Situation von Christen in muslimisch geprägten Ländern wie zum Beispiel Ägypten, Algerien, Pakistan und Saudi-Arabien ein, aber auch auf Nigeria, Indonesien und viele asiatische Länder. In den letzten Jahrzehnten sei in der islamischen Welt ein „Wiederaufleben“ der Religion zu beobachten, so Pelster. Das habe damit zu tun, dass die Bürger in diesen Ländern in der letzten Zeit zunehmend enttäuscht sind über die eigenen Regierungen, so der Experte, der dann auch den „arabischen Frühling“ in Nordafrika vor diesem Hintergrund beschreibt.
„Das sind oft autoritäre Regime, die auch zum Teil sehr korrupt agieren und für wenig sozialen Ausgleich und soziale Gerechtigkeit sorgen in ihren Gesellschaften. Der Auslöser der Demonstrationen in der arabischen Welt, in Tunesien und in Ägypten, waren soziale Missstände. Es geht da um soziale Gerechtigkeit, das motiviert die Menschen. Sie sehen, die Regierungen sorgen nicht für soziale Gerechtigkeit, ihre eigene Religion, der Islam, plädiert dagegen sehr wohl für Gerechtigkeit. Es gibt die Armensteuer, es gibt die Vorschrift des Ausgleichs zwischen arm und reich. Die Menschen erhoffen sich jetzt vom Islam eine Verbesserung der Situation. Deshalb ist der Islam auch als politische Bewegung so stark geworden in den vergangenen Jahren.“

Die umbrechenden Länder Nordafrikas befinden sich damit sozusagen „auf Messers Schneide“: Die verstärkte Zuwendung zur Religion könnte entweder in Radikalisierung münden - in Ägypten zum Beispiel in Errichtung eines Gottesstaates, wie es den Muslimbrüdern vorschwebt. Andererseits könnte eine sozial verstandene Religion - sei es das Christentum oder eben auch der Islam - konstruktiv auf die Gesellschaft wirken, wenn soziale Gerechtigkeit und echte Religionsfreiheit etwa in der Verfassung verankert und im Alltag durchgesetzt würden. Damit wäre dann auch der christlichen Minderheit in zum Beispiel Ägypten eine bessere Zukunft garantiert.

„Die Frage ist, wenn es zu politischen Wahlen kommt in diesen Ländern – welche politischen Kräfte setzen sich durch. Es ist zu erwarten, dass sich islamisch geprägte Parteien durchsetzen, aber da gibt es auch moderate Parteien, vergleichbar vielleicht mit den Parteien in der Türkei, wo eben auch moderate Muslime die Regierung bilden. Es gibt aber auch die Möglichkeit, dass sich eher fundamentalistische Parteien durchsetzen, die einen islamischen Gottesstaat errichten wollen, vielleicht wie in Saudi-Arabien oder im Iran – welche Tendenz sich durchsetzen wird, ist im Moment nicht abzusehen.“

(rv 04.05.2011 pr)








All the contents on this site are copyrighted ©.