Pakistan: Nach Bin Ladens Tötung noch mehr Christenverfolgung?
Nach der Tötung des
Top-Terroristen Osama Bin Laden befürchten Kirchenvertreter in Ländern mit muslimischer
Bevölkerungsmehrheit Racheaktionen und steigende Christenverfolgung. Gießt die Eliminierung
Bin Ladens - von der US-Regierung als Tat für die Gerechtigkeit umschrieben - Öl ins
Feuer radikaler Moslems in Pakistan? Über diese Frage hat Radio Vatikan mit Berthold
Pelster vom katholischen Hilfswerk Kirche in Not gesprochen. Er ist Autor der aktuellen
Dokumentation „Christen in großer Bedrängnis“, die die Entwicklung der Religionsfreiheit
unter anderem in Pakistan beschreibt. „Ich habe die Befürchtung, dass es zu
Racheaktionen kommen könnte. Einerseits ist natürlich ein wichtiger Kopf der Terrorbewegung
Al Kaida ausgeschaltet, andererseits ist diese Terrorbewegung in den vergangenen Jahren
so stark gewachsen, hat sich so stark verzweigt, ist in so vielen verschiedenen Ländern
inzwischen aktiv, dass es unabhängige Terrorzellen gibt, die Anschläge verüben könnten.
Und es ist eine allgemeine Erfahrung, dass solche Aktionen häufig zu Gegenaktionen
führen. Es kann gut sein, dass in der nahen Zukunft Anschläge auf Christen oder westliche
Einrichtungen verübt werden.“ Nachdem in Pakistan vor wenigen Monaten der Katholik
und pakistanische Minderheitenminister Shabaz Bhatti, der sich für eine Modifizierung
des umstrittenen Blasphemie-Gesetzes einsetzte, von einem radikalen Moslem getötet
wurde, ertönte von Vatikanseite abermals der Ruf nach mehr Schutz der Religionsfreiheit
in dem Land. Papst Benedikt XVI. hatte sich vorher bereits für die Freilassung der
zum Tode verurteilten Christin Asia Bibi stark gemacht, die wegen Vorwurf der Blasphemie
bis heute im Gefängnis sitzt. Die pakistanische Regierung sitze angesichts fundamentalistischer
Gruppen im eigenen Land und dem steigenden Druck des Westens zwischen zwei Stühlen,
so Pelster. Wenigstens habe sie das vakante Amt des Minderheitenministers erneut mit
einem Christen besetzt, nämlich mit Paul Bhatti, dem Bruder des getöteten Shabaz Bhatti.
„Das
was wir wissen ist eben, dass die Regierung in Pakistan durchaus ein gewisses Interesse
daran hat, eben für friedliche Verhältnisse in dem Land zu sorgen. Das Militär geht
gegen die Taliban-Extremisten vor, die Regierung hat dieses Ministerium für religiöse
und andere Minderheiten eingerichtet. Dass die Regierung das Ministerium weiterführt
und mit dem Bruder des Getöteten besetzt, ist ein positives Zeichen. Aber das Problem
ist, dass die Regierung mit einer starken extremistischen Opposition zu kämpfen hat.
Der Einfluss der Taliban ist auch in Pakistan sehr große und weitet sich aus. Fundamentalistisches
Gedankengut infiltriert immer mehr Bereiche der pakistanischen Gesellschaft – die
Schulen, sogar das Militär sind unterwandert davon. Und die Regierung hat nicht wirklich
freie Hand, sie muss immer Rücksicht nehmen auf diese politischen Extremisten, weil
andererseits sonst der Bestand dieser Regierung gefährdet ist.“
Zuwendung
zum Islam aus Enttäuschung über die Politik Der Bericht zur weltweiten Christenverfolgung
„Christen in großer Bedrängnis“ geht zum großen Teil auf die Situation von Christen
in muslimisch geprägten Ländern wie zum Beispiel Ägypten, Algerien, Pakistan und Saudi-Arabien
ein, aber auch auf Nigeria, Indonesien und viele asiatische Länder. In den letzten
Jahrzehnten sei in der islamischen Welt ein „Wiederaufleben“ der Religion zu beobachten,
so Pelster. Das habe damit zu tun, dass die Bürger in diesen Ländern in der letzten
Zeit zunehmend enttäuscht sind über die eigenen Regierungen, so der Experte, der dann
auch den „arabischen Frühling“ in Nordafrika vor diesem Hintergrund beschreibt. „Das
sind oft autoritäre Regime, die auch zum Teil sehr korrupt agieren und für wenig sozialen
Ausgleich und soziale Gerechtigkeit sorgen in ihren Gesellschaften. Der Auslöser der
Demonstrationen in der arabischen Welt, in Tunesien und in Ägypten, waren soziale
Missstände. Es geht da um soziale Gerechtigkeit, das motiviert die Menschen. Sie sehen,
die Regierungen sorgen nicht für soziale Gerechtigkeit, ihre eigene Religion, der
Islam, plädiert dagegen sehr wohl für Gerechtigkeit. Es gibt die Armensteuer, es gibt
die Vorschrift des Ausgleichs zwischen arm und reich. Die Menschen erhoffen sich jetzt
vom Islam eine Verbesserung der Situation. Deshalb ist der Islam auch als politische
Bewegung so stark geworden in den vergangenen Jahren.“
Die umbrechenden
Länder Nordafrikas befinden sich damit sozusagen „auf Messers Schneide“: Die verstärkte
Zuwendung zur Religion könnte entweder in Radikalisierung münden - in Ägypten zum
Beispiel in Errichtung eines Gottesstaates, wie es den Muslimbrüdern vorschwebt. Andererseits
könnte eine sozial verstandene Religion - sei es das Christentum oder eben auch der
Islam - konstruktiv auf die Gesellschaft wirken, wenn soziale Gerechtigkeit und echte
Religionsfreiheit etwa in der Verfassung verankert und im Alltag durchgesetzt würden.
Damit wäre dann auch der christlichen Minderheit in zum Beispiel Ägypten eine bessere
Zukunft garantiert.
„Die Frage ist, wenn es zu politischen Wahlen kommt
in diesen Ländern – welche politischen Kräfte setzen sich durch. Es ist zu erwarten,
dass sich islamisch geprägte Parteien durchsetzen, aber da gibt es auch moderate Parteien,
vergleichbar vielleicht mit den Parteien in der Türkei, wo eben auch moderate Muslime
die Regierung bilden. Es gibt aber auch die Möglichkeit, dass sich eher fundamentalistische
Parteien durchsetzen, die einen islamischen Gottesstaat errichten wollen, vielleicht
wie in Saudi-Arabien oder im Iran – welche Tendenz sich durchsetzen wird, ist im Moment
nicht abzusehen.“