Vatikan: „Religionsfreiheit ist Schlüssel-Grundrecht"
Mit dem Thema Religionsfreiheit
hat sie die eben im Vatikan zu Ende gegangene Vollversammlung der Päpstlichen Akademie
der Sozialwissenschaften beschäftigt. Eine ganze Palette von Erscheinungen tut sich
da auf: Von diversen Kruzifix-Urteilen in Europa bis zum Blasphemiegesetz in Pakistan,
von der Verfolgung der Bahai bis zur gezielten Ermordung von Christen mit dem Ziel
der Einschüchterung anderer. Religionsfreiheit hat sich gerade in den letzten Jahren
als zentrales Menschenrecht gezeigt, erklärte uns der Münchner Sozialrechtler Hans
F. Zacher, der seit langen Jahren Mitglied der Päpstlichen Akademie der Sozialwissenschaften
ist. Deshalb habe sich das prominente vatikanische Debattenforum des Themas angenommen.
„Bei der Religionsfreiheit nimmt man auf das Transzendente Bezug – es geht
um den Respekt vor der Teilhabe am Transzendenten. Das ist das, was die Religionsfreiheit
zu einem Sondergrundrecht macht, aber auch besondere Anfeindungen gegen die Religionsfreiheit
auslöst. Dabei bekämpfen nicht nur die Feinde der Religion überhaupt, die tun es auch,
die Religionsfreiheit, sondern auch die Religionen gegenseitig schließen sich aus.“
Das
habe die Katholische Kirche früher auch getan, „indem sie Protestanten vertrieb und
jeden einzelnen mit der Inquisition verfolgte, wenn er auch nur in Spuren eine andere
Religion gehabt habe“, so Zacher.
„Jetzt tun das die Muslime, und auch
in Indien haben wir ähnliche Phänomene. Von der Religionsfreiheit hängen aber alle
anderen Menschenrechte ab: Wenn ich vertrieben, vernichtet, eingekerkert werde, habe
ich von den anderen Menschenrechten auch nichts mehr, und infolgedessen ist Religionsfreiheit
wirklich ein Schlüsselgrundrecht geworden.“
Gerade aus der historischen
Perspektive heraus glaubt Zacher nicht, dass die Religionsfreiheit heute mehr als
der Vergangenheit bedroht ist. Religions-Unfreiheit sei in früheren Jahrhunderten
selbstverständlich gewesen. Allerdings sei in den letzten Jahren im militanten Säkularismus
eine neue Form der Unterdrückung von Religionsfreiheit entstanden, und zwar im entwickelten
demokratischen Westen.
„Was also an Säkularismus schädlich und böse ist,
ist, dass die Leute, die nun entdecken, dass man auch ohne Religion leben kann, sagen,
jetzt sollen die anderen auch keine Religion mehr haben, jedenfalls soll man es überhaupt
nicht mehr merken, das soll ganz ihre Privatsache sein. Der Satz „Religion soll Privatsache
sein“ hat eine ganz neue Bedeutung gewonnen, es wird tatsächlich in den Bereich des
Privatlebens verdrängt, und alles Öffentliche an Religion wird vom Säkularismus angefeindet.“
Von
der Ermordung des Terroristenführers Bin Laden in der Nacht auf Montag und der nun
befürchteten Verschärfung der Christenverfolgung in einigen Ländern sei in der Vollversammlung
nicht die Rede gewesen, erzählte Zacher. Er gibt zu bedenken, dass demgegenüber der
aggressive Säkularismus ein „komfortables Problem“ des Westens sei.
„Mir
liegt daran, dass die Akademie leider eines nicht erreicht hat: sich neben diesen
relativ kleinen Auseinandersetzungen, die sich in Europa abspielen, und die im Vergleich
etwa zu Saudi-Arabien und solchen Ländern ja wahnsinnig „schöne“ Probleme sind, dass
man sich neben diesem Feinputz auch mehr den Fragen gewidmet hätte, wie kommen wir
denn mit den Riesenblöcken von Gottesstaaten zurecht, die dann ja nicht nur sagen,
die Herrschaft ist Gottes und wir sind Gottes Stellvertreter, sondern auch sagen,
die Scharia ist das Recht Gottes, und du hast keinen Ausweg, wenn du die Scharia nicht
befolgst, gehörst du unschädlich gemacht, bestenfalls vertrieben; das spielt sich
auch beim Hinduismus ab. Da hat niemand ein Rezept vorgetragen, und man hat den Eindruck
gehabt, weil dieses Problem einfach so gewaltig ist, herrscht eine gewisse Fassungslosigkeit.“