Reisemarschall Pater Tucci: Erinnerungen an die Reisen mit Johannes Paul II.
Einer der ständigen Begleiter auf den Reisen von Johannes Paul II. war Kardinal Roberto
Tucci, der letzte Woche sein 90. Lebensjahr vollendet hat. Der Jesuitenpater und ehemalige
Direktor von Radio Vatikan war als Päpstlicher Reisemarschall für die Organisation
und den Ablauf aller Apostolischen Auslandsreisen des Papstes verantwortlich. Kardinal
Tucci kann sich an einige herausragende Erfahrungen mit Johannes Paul II. erinnern:
„In
erster Linie hat es sich um einen Mann des Glaubens gehandelt, der seinen Glauben
auf die Kraft des Gebets gebaut hat. Man kann sagen, dass er ständig gebetet hat.
Ich habe gesehen, wie er im Auto den Rosenkranz oder einfach nur ein Stoßgebet gebetet
hat, im Hubschrauber, im Zug, im Flugzeug. Es war ein ständiges Gebet, auch wenn wir
in eine Kirche kamen und in Verspätung waren. Er ging vor zur Sakristei und stand
dort zehn, zwanzig Minuten lang. Prinzipiell, wenn er eine Kirche betrat, in der bereits
viele Menschen waren, war schon zu Beginn wegen des Applauses und der begeisterten
Zwischenrufe ein großer Lärm. Als sie dann aber sahen, dass dieser Mann still und
ohne Bewegung vor dem Altar steht, als ob er den ganzen Lärm gar nicht hörte und es
fast schien, als sei er gar nicht anwesend, legte sich der Lärm und die Menschen waren
still. Eine Kirche voll begeisterter Menschen, die still waren und der Papst, der
mit großer Intensität betete. Manchmal, wenn ich ihn dann nach einer Weile darauf
hinwies, dass wir in Verspätung sind, sagte er mir: „Pater, das Gebet ist wichtiger
als die Pünktlichkeit.“ Damit hatte ich verstanden, dass ich falsch lag, und zog mich
wieder zurück.“
Für Kardinal Tucci steht zweifellos fest, dass der Glaube
an Gott Johannes Paul II. die Kraft gab, um vor Hindernissen nicht stehen zu bleiben
und sie zu überwinden.
„Mich hat oft seine Fähigkeit beeindruckt, in den
verschiedensten Situationen zum Gebet zu finden. Zum Beispiel damals, als wir von
Bombay, Indien, zurück nach Rom geflogen sind. Die Piloten konnten das Flugzeug nicht
landen, weil es geschneit hatte, und wir landeten schließlich um ein Uhr Nachts in
Neapel. Ich ging also hin zu ihm, um ihm zu sagen, dass es leider keine andere Möglichkeit
gibt, als mit dem Zug nach Rom zu fahren, denn auch der Hubschrauber konnte nicht
fliegen. Er hat sich daraufhin in aller Ruhe in sein Gebet zurück gezogen, eine Stunde
lang, bis alles bereit zur Abfahrt war. Er beschwerte sich nicht, er war gefasst in
seinem Gebet und alles ging gut.“
Die Fähigkeit Johannes Pauls II. in den
unterschiedlichsten Momenten zu beten, zeigt sich auch in der Erinnerung des Kardinals
an eine Reise ins Heilige Land:
„Vor allem eine Situation hat mich beeindruckt,
weil sie etwas ganz besonderes war: Damals in Israel, als wir im Hubschrauber am Weg
von Jerusalem nach Nazareth waren. Es war der Tag von Maria Verkündigung, und ich
saß neben ihm im Hubschrauber. Einer jener seltenen Fälle, als ich im Päpstlichen
Hubschrauber neben dem Papst mitgeflogen bin – und er saß am Fenster, sah sich aber
nicht die Landschaft an, die unter uns vorbeizog. Ich sah, dass er ein paar bedruckte
Zettelchen in der Hand hielt, die von einem Faden zusammen gehalten waren. Er las
eine dieser Seiten, dann machte er das Kreuzzeichen und blieb ganz im Gebet versunken.
Dann blätterte er die Seite um, machte wieder ein Kreuzzeichen, und betete weiter.
Ich wurde also neugierig und warf einen Blick auf die Zettelchen, um zu sehen, was
denn da zu lesen war. Es war die Via Crucis, der Kreuzweg. Es war Freitag, und er
betete jeden Freitag den Kreuzweg, und da er an jenem Tag ein sehr enges Programm
hatte, wusste er nicht, ob dafür am Abend Zeit bleiben würde. Also betete er ihn im
Hubschrauber, in großer Einfachheit. Er allein, in sich selbst versunken, vor dem
Herrn.“
Für Kardinal Tucci war Johannes Paul II. ein Freund, der nicht
selten auch für Scherze zu haben war.
„Ich kann mich noch an sehr sympathische
Anekdoten erinnern, wie er scherzte und mich manchmal auf den Arm nahm. Er kümmerte
sich ja nicht viel um organisatorische Probleme. Einmal jedoch, während einer Sitzung
beim Mittagessen, begann er, mir lauter Fragen zu stellen, wie man dies und das organisiere.
Dann gingen wir raus in die Kapelle – man ging zehn Minuten vor und zehn Minuten nach
dem Mittagessen in die Kapelle, um zu beten – und er griff meinen Arm und sagte: „Armer
Pater Tucci, wie tief ist er von der Theologie abgefallen!“ Dies deshalb, weil ich
ihn während des Zweiten Vatikanischen Konzils kennen gelernt hatte, ich als Theologe
und er als Bischof. Er machte lauter Scherze wie diesen! Oder, an meinem Namenstag,
das Fest des Heiligen Robert Bellarmin im September, machte der Papst immer eine kleine
Feier für mich. In der Früh, noch vor Arbeitsbeginn, rief er mich zu sich, dann kam
die Gefolgschaft des Papstes, und sie beglückwünschten mich. Einmal, um mich auf den
Arm zu nehmen, sagte er vor allen Anwesenden: „Glaubt ihr nicht auch, dass Pater Tucci
die Reisen immer so plant, dass sie auf seinen Namenstag fallen?“ Ich war dann etwas
vorlaut weil ich sagte: Heiliger Vater, sie wissen besser als ich, dass sie es sind,
der die Zeiträume der Reisen festlegt. Dann hat er mich umarmt und alle haben herzlich
gelacht. Denn er wusste auch den Humor zu schätzen.“