Papstpredigt am Gründonnerstag Abend – der Volltext
„Liebe Brüder und Schwestern! „Mit Sehnsucht habe ich danach verlangt, dieses Paschamahl
mit euch zu feiern, ehe ich leide“ (Lk 22, 15): Mit diesen Worten hat Jesus die Feier
seines letzten Mahls und der Einsetzung der heiligen Eucharistie eröffnet. Jesus ist
mit Sehnsucht dieser Stunde entgegengegangen. Er hat von innen her gewartet auf diesen
Augenblick, in dem er sich selbst den Seinigen unter den Gestalten von Brot und Wein
schenken würde. Er hat auf diesen Augenblick gewartet, der so etwas wie die eigentliche
messianische Hochzeit sein sollte: die Verwandlung der Gaben dieser Erde und das Einswerden
mit den Seinigen, um sie zu verwandeln und so die Verwandlung der Welt zu eröffnen.
In der Sehnsucht Jesu dürfen wir die Sehnsucht Gottes selbst erkennen – seine wartende
Liebe für die Menschen, für seine Schöpfung. Die Liebe, die auf den Augenblick der
Vereinigung wartet, die Menschen an sich ziehen will, um damit auch die Sehnsucht
der Schöpfung selbst zu erfüllen: Sie streckt sich ja aus auf das Erscheinen der Kinder
Gottes hin (Röm 8, 19). Jesus sehnt sich nach uns, er wartet auf uns. Haben wir eigentlich
Sehnsucht nach ihm? Drängt es uns, ihm zu begegnen? Verlangen wir nach seiner Nähe,
nach dem Einswerden mit ihm, das er uns in der heiligen Eucharistie schenkt? Oder
sind wir gleichgültig, zerstreut, mit anderem angefüllt? Aus den Mahlgleichnissen
Jesu wissen wir, daß er die Wirklichkeit der leer bleibenden Plätze kennt, die Absage,
das Desinteresse an ihm und seine Nähe. Die leeren Plätze beim Hochzeitsmahl des Herrn
mit oder ohne Entschuldigung – das ist für uns längst kein Gleichnis mehr, sondern
gegenwärtige Wirklichkeit gerade in den Ländern, denen er seine besondere Nähe gezeigt
hatte. Jesus wußte auch um Gäste, die zwar kommen, aber nicht hochzeitlich bekleidet
sein würden – ohne Freude an seiner Nähe, nur einer Gewohnheit folgend und mit ihrem
Leben ganz anders ausgerichtet. Der heilige Gregor der Große hat in einer seiner Homilien
gefragt: Was sind das für Leute, die ohne hochzeitliches Gewand kommen? Worin besteht
dieses Kleid und wie erwirbt man es? Seine Antwort lautet: Die da herbeigerufen sind
und kommen, haben irgendwie Glauben. Der Glaube ist es, der ihnen die Tür auftut.
Aber ihnen fehlt das hochzeitliche Gewand der Liebe. Wer den Glauben nicht als Liebe
lebt, ist nicht für die Hochzeit bereitet und wird hinausgewiesen. Zur eucharistischen
Gemeinschaft gehört der Glaube, aber zum Glauben gehört die Liebe, sonst ist er auch
als Glaube tot.
Aus allen vier Evangelien wissen wir, daß Jesu letztes Mahl
vor dem Leiden auch ein Ort der Verkündigung war. Jesus hat noch einmal eindringlich
die tragenden Elemente seiner Botschaft vorgelegt. Wort und Sakrament, Botschaft und
Gabe gehören untrennbar zusammen. Jesus hat aber während des letzten Mahles vor allem
auch gebetet. Matthäus, Markus und Lukas gebrauchen zwei Wörter, um das Beten Jesu
am zentralen Punkt des Abendmahls zu beschreiben: eucharistesas – eulogesas: danken
und segnen. Die aufsteigende Bewegung des Dankens und die absteigende des Segnens
gehören zusammen. Die Worte der Verwandlung sind Teil dieses Betens Jesu. Sie sind
Gebetsworte. Jesus wandelt seine Passion in Gebet um, in Hingabe an den Vater für
die Menschen. Diese Verwandlung seines Leidens in Liebe hat verwandelnde Kraft für
die Gaben, in denen er nun sich selber gibt. Er gibt sie uns, damit wir und die Welt
verwandelt werden. Das letzte und eigentliche Ziel der eucharistischen Verwandlung
ist unsere eigene Verwandlung in die Gemeinschaft mit Christus hinein. Eucharistie
zielt auf den neuen Menschen, die neue Welt, wie sie nur von Gott her durch den Dienst
des Gottesknechts entstehen kann.
Von Lukas und vor allem von Johannes wissen
wir, daß Jesus in seinem Beten während des Letzten Abendmahls auch Bitten an den Vater
gerichtet hat – Bitten, die zugleich Anrufe an seine Jünger von damals und für alle
Zeiten enthalten. Ich möchte in dieser Stunde nur eine Bitte herausgreifen, die Jesus
nach Johannes in seinem hohepriesterlichen Gebet viermal wiederholt hat. Wie sehr
muß sie ihn innerlich bedrängt haben! Sie bleibt immerfort seine Bitte an den Vater
für uns: Es ist die Bitte um Einheit. Ausdrücklich sagt Jesus, daß diese Bitte nicht
nur den anwesenden Jüngern gilt, sondern auf alle zielt, die an ihn glauben werden
(Joh 17, 20). Er bittet, daß alle eins werden „wie du, Vater, in mir und ich in dir
…damit die Welt glaube“ (17, 21). Die Einheit der Christen kann nur sein, wenn die
Christen mit ihm, mit Jesus, inwendig geeint sind. Glaube und Liebe zu Jesus, Glaube
an sein Einssein mit dem Vater und Öffnungen in die Einheit mit ihm hinein sind wesentlich.
Demnach ist diese Einheit nichts bloß Innerliches, nichts bloß Mystisches. Sie muß
sichtbar werden, so sichtbar, daß sie für die Welt den Beweis für Jesu Sendung vom
Vater her bildet. Insofern hat die Bitte einen verborgenen eucharistischen Sinn, den
Paulus im ersten Korinther-Brief offen herausgestellt hat: „Ist das Brot, das wir
brechen, nicht Gemeinschaft mit dem Leib Christi? Weil es ein Brot ist, darum
sind wir, die vielen, auch ein Leib. Denn wir haben Anteil an dem einen Brot“
(1 Kor 10, 16f). Mit der Eucharistie entsteht die Kirche. Wir alle essen dasselbe
Brot, empfangen den gleichen Leib des Herrn, und das bedeutet: Er öffnet uns, jeden
über sich selbst hinaus. Er macht uns untereinander eins. Eucharistie ist Geheimnis
innerster Nähe und Gemeinschaft jedes einzelnen mit dem Herrn. Und sie ist zugleich
sichtbare Einigung aller untereinander. Eucharistie ist Sakrament der Einheit. Sie
reicht ins trinitarische Geheimnis hinein, und so stiftet sie zugleich sichtbare Einheit.
Sagen wir es noch einmal: Sie ist persönlichste Begegnung mit dem Herrn und ist doch
nie bloß ein Akt individueller Frömmigkeit. Wir feiern sie notwendig miteinander.
In jeder Gemeinde ist der Herr ganz. Aber in allen Gemeinden ist er nur einer. Deswegen
gehört notwendigerweise zum Hochgebet der Kirche das Wort: „una cum Papa nostro et
cum Episcopo nostro“. Dies ist nicht eine äußerliche Hinzufügung zum inneren Geschehen,
sondern notwendiger Ausdruck der eucharistischen Wirklichkeit selbst. Und wir nennen
Papst und Bischof mit Namen: Die Einheit ist ganz konkret, sie hat Namen. So wird
Einheit sichtbar, wird zum Zeichen für die Welt und richtet für uns selbst einen konkreten
Maßstab auf.
Der heilige Lukas hat uns ein konkretes Element der Bitte Jesu
um die Einheit aufbewahrt: „Simon, Simon, der Satan hat verlangt, daß er euch wie
Weizen sieben darf. Ich aber habe für dich gebetet, daß dein Glaube nicht erlischt.
Und wenn du dich wieder bekehrt hast, dann stärke deine Brüder“ (Lk 22, 31f). Wir
erleben heute wieder schmerzlich, daß dem Satan gestattet ist, die Jünger sichtbar
vor aller Welt zu sieben. Und wir wissen, daß Jesus für den Glauben des Petrus und
seiner Nachfolger betet. Wir wissen, daß Petrus, der über die unruhigen Wasser der
Geschichte dem Herrn entgegengeht und zu versinken droht, immer wieder von der Hand
des Herrn gehalten und über die Wasser geführt wird. Dann aber folgt eine Vorhersage
und ein Auftrag. „Wenn du dich bekehrt hast…“: Alle Menschen, Maria ausgenommen, bedürfen
immer wieder der Bekehrung. Jesus sagt dem Petrus seinen Fall und seine Bekehrung
voraus. Wovon hat Petrus sich bekehren müssen? Am Anfang seiner Berufung hatte Petrus,
erschrocken über die göttliche Macht des Herrn und über seine eigene Armseligkeit,
gesagt: „Geh weg von mir, Herr. Ich bin ein sündiger Mensch“ (Lk 5, 8). Im Licht des
Herrn erkennt er sein Ungenügen. Gerade so, in der Demut dessen, der sich als Sünder
weiß, wird er berufen. Zu dieser Demut muß er immer wieder finden. Bei Caesarea Philippi
hatte er nicht annehmen wollen, daß Jesus leiden und gekreuzigt werden müsse. Das
war mit seinem Bild von Gott und vom Messias nicht zu vereinbaren. Im Abendmahlssaal
hat er nicht annehmen wollen, daß Jesus ihm die Füße waschen würde: Dies paßte nicht
zu seinem Bild von der Hoheit des Meisters. Im Ölgarten hat er mit dem Schwert zugeschlagen.
Er wollte seine Furchtlosigkeit zeigen. Vor der Magd aber hat er behauptet, Jesus
nicht zu kennen. Ihm schien es in diesem Augenblick eine kleine Lüge zu sein, um in
der Nähe Jesu bleiben zu können. Sein Heroismus ist in einem kleinlichen Spiel um
den Ort in der Mitte der Ereignisse zusammengefallen. Wir alle müssen immer wieder
lernen, Gott und Jesus Christus so anzunehmen, wie er ist und nicht so, wie wir ihn
haben wollen. Auch wir wollen nicht recht annehmen, daß er sich an die Armseligkeit
der Kirche und ihrer Diener gebunden hat. Auch wir wollen nicht annehmen, daß er machtlos
ist in dieser Welt. Auch wir verstecken uns hinter Ausreden, wenn die Zugehörigkeit
zu ihm uns zu kostspielig und zu gefährlich wird. Wir alle brauchen Bekehrung, die
Jesus in seinem Gottsein und Menschsein annimmt. Die Demut des Jüngers, der dem Willen
des Meisters folgt. In dieser Stunde wollen wir ihn bitten, daß er auch uns wie Petrus
im rechten Augenblick mit seinen gütigen Augen ansieht und uns bekehrt.
Petrus,
der Bekehrte, ist berufen, seine Brüder zu stärken. Es ist keine Äußerlichkeit, daß
ihm dieser Auftrag im Abendmahlssaal auferlegt wurde. Der Dienst der Einheit hat seinen
sichtbaren Ort in der Feier der heiligen Eucharistie. Liebe Freunde, für den Papst
ist es eine große Stärkung zu wissen, daß in jeder Eucharistiefeier von allen für
ihn gebetet wird. Daß unser Beten sich mit dem Beten des Herrn für Petrus vereinigt.
Nur vom Gebet Jesu und der Kirche her kann der Papst seinem Auftrag genügen, die Brüder
zu stärken – die Herde Jesu zu weiden und für jene Einheit einzustehen, die sichtbares
Zeugnis der Sendung Jesu vom Vater her wird.
„Mit Sehnsucht habe ich darauf
gewartet, dieses Paschamahl mit euch zu feiern.“ Herr, du hast Sehnsucht nach uns,
nach mir. Du hast Sehnsucht danach, dich uns in der heiligen Eucharistie mitzuteilen,
dich mit uns zu vereinigen. Herr, erwecke auch in uns die Sehnsucht nach dir. Stärke
uns in der Einheit mit dir und untereinander. Schenke deiner Kirche die Einheit, damit
die Welt glaube. Amen.“