Von Pater Eberhard
von Gemmingen, dem ehemaligen Leiter der deutschsprachigen Redaktion von Radio Vatikan.
Wir
wollen heute das Leiden unseres Herrn Jesus Christus betrachten. Mir fällt auf,
dass die Karfreitagsliturgie sehr nüchtern ist. Die Christen werden dabei nicht aufgefordert
zu großer emotionaler Teilnahme. Wenn man sich an Kreuzesprozessionen in Spanien erinnert,
bei denen man mit Augen und Ohren an das Leiden Christi herangeführt wird, so muss
man sagen: die offizielle Liturgie der katholischen Kirche ist sehr zurückhaltend
und nüchtern. Das finde ich gut, denn: im eigentlichen, wesentlichen Sinn kann man
das Leiden Jesu gar nicht mitvollziehen: seine Geißelung, Dornenkrönung, das Kreuztragen
und die Kreuzigung. Es ist ein Leid, das man sich als Mensch gar nicht vorstellen
kann. Jeder Versuch, in Jesus hineinzublicken, sein Leiden zu ahnen oder zu verstehen,
muss scheitern. Die Nüchternheit der Karfreitagsliturgie macht deutlich, dass man
Jesus letztlich sehr ferne ist und bleiben muss. Man kann nicht miterleben, was er
erlebt hat. Mir persönlich scheint es aber, als komme man dem Leiden Jesu ein
wenig näher, wenn man auf das Verhalten seiner Jünger schaut. Dies Verhalten muss
für Jesus eine ungeheure Enttäuschung gewesen sein. Bitte stellen Sie sich mit mir
vor: Pilatus fragt die Menge: wen soll ich freilassen: diesen Jesus oder Barabbas,
den Räuber und Mörder? Die Menge brüllt Barabbas freilassen. Vielleicht waren die
Jünger Jesu ja weit weg. Aber warum waren sie nicht unter Menge? Warum haben sie nicht
gebrüllt: Jesus freilassen, der ist unschuldig. Vorher waren sie doch öfter so vorlaut,
so selbstsicher. Freilich, es hätte Mut gekostet, zu brüllen: Jesus freilassen, denn
die Mehrheit war ja gegen Jesus. Hier erlebte Jesus, dass sein Kämpfen um seine Freunde
gescheitert war, dass sie ihn verlassen und verraten hatten. Eine ungeheure Enttäuschung
für Jesus. Und dann schleppt Jesus sein Kreuz. Er ist am Ende, es geht nicht mehr.
Das merken auch die römischen Soldaten, die ihn abführen. Sie fordern einen fremden
Mann, Simon von Cyrene auf, Jesus das Kreuz abzunehmen. Man hätte doch denken können,
dass Petrus oder einer von den anderen Jüngern in der Nähe Jesu mitgegangen sind und
dass einer sich angeboten hätte, Jesus das Kreuz zu tragen. Offenbar nicht. Ein Fremder
trug Jesus das Kreuz, keiner von den Freunden. Und in der Nähe des Kreuzes standen
dann – wie es heißt – Maria und der Apostel Johannes. Einer! Von den anderen ist nicht
die Rede. Wo sind sie. Ja – wir wissen: Sie sind geflohen, in Sicherheit. Es geht
mir nicht darum, böse auf die Apostel zu schauen. Es geht mir um uns, um mich und
um Dich. Wären wir bei Jesus geblieben - auch in Gefahr, auch in Lebensgefahr, auch
wenn andere uns ausgelacht und ausgebuht hätten. Hätten wir für ihn die Stimme erhoben
vor Pilatus, hätten wir ihm das Kreuz abgenommen, ihn begleitet und so getröstet? Es
geht nicht um große Emotionen unter dem Kreuz und beim Kreuz, es geht um Treue, um
Zuverlässigkeit, um Mut. Haben wir den Mut, zu Menschen zu stehen, denen öffentlich
Unrecht angetan wird, hätten wir den Mut, gegen den Strom zu schwimmen, nicht mitzuschimpfen,
wenn alle schimpfen – auf Kirchenleute, auf Politiker, auf Nonkonformisten. Singen
wir das Lied der Mehrheit oder das Lied Christi? Singen wir es nicht nur am Karfreitag,
sondern auch nach den Osterfeiertagen? Erinnern wir uns einfach an das Jesuswort:
was ihr einem dieser Kleinen getan habt, das habt ihr mir angetan. Das gilt nicht
nur für Almosen und Krankenbesuche, das gilt auch für das öffentliche Votum, die öffentliche
Stellungnahme. Das gilt, wenn wir jemanden verteidigen, den alle anklagen, wenn wir
jemanden mit unseren Worten verstehen, den alle missverstehen. Und ein Letztes:
Gottlob sind Christen heute meist der Ansicht, dass auch Nichtchristen anständige
und gute Menschen sind, dass Gott sie mindestens ebenso liebt wie uns Christen. Das
ist sicher gut und richtig. Aber verschließen wir nicht auch manchmal die Augen davor,
dass es einen wirklichen Kampf gegen Gott gibt? Es gibt vielleicht nicht böse Menschen,
aber böse Gedanken, böse Absichten, böse Meinungen. Wir müssen als Freunde Christi
wachsam sein und bleiben gegen das Böse selbst, das sich mitunter in Menschen äußert.
Wenn das so ist, dann dürfen wir uns kein Urteil über diese Menschen anmaßen, aber
ein Urteil über böse Gedanken, Worte und Taten. Es gibt auch heute Gedanken des Verrats,
der Verachtung, der Verächtlichmachung, der Bosheit. Christen dürfen nicht schwarz-weiß
malen, aber sie dürfen auch nicht blind sein gegen das Böse und Gottwidrige in der
Welt. Wenn heute Christus lächerlich gemacht wird, wenn er verlacht, geschlagen, gekreuzigt
wird, dürfen wir nicht wegsehen und nicht zusehen, sondern müssten dagegen auftreten
und eintreten. Wenn wir heute die Rechte Gottes verteidigen, helfen und trösten wir
Jesus Christus am Kreuz.