„Das wird ein Tag
großer Zufriedenheit sein, ein Tag des Bewussteins, dass die mir anvertraute Sendung
ans Ziel gekommen ist“. Der Mann, der das sagt, ist in diesen Wochen einer der gefragtesten
Interviewpartner Roms: Slawomir Oder, ein polnischer Priester und Kirchenrechtler,
der als Postulator im Seligsprechungsprozess für seinen Landsmann Karol Wojtyla wirkte.
Am 1. Mai findet die große Feier in Rom statt – Benedikt XVI. schreibt seinen Vorgänger
Johannes Paul II. ins Buch der Seligen.
„Eine große Freude wird das sein,
ein Volksfest, da bin ich sicher. Denn das ist ein Heiliger des Volkes, geliebt von
so vielen.“
Das drückte sich schon damals vor sechs Jahren aus, als die
ersten Gläubigen den Satz „Santo subito“ auf Transparente kritzelten. Der Satz und
seine Forderung verbreiteten sich in Windeseile. Dieser „Ruf der Heiligkeit“, wie
es in der Fachsprache heißt, ist die Voraussetzung für die Aufnahme eines jeden Seligsprechungsprozesses.
Das Verfahren für Johannes Paul war kurz, aber arbeitsam. 114 Zeugen wurden einvernommen.
Was Oder am meisten an dem überraschte, was da zutage trat, war, wie er sagt, die
Kohärenz der Person Karol Wojtylas.
„Johannes Paul, so wie wir ihn von
den Medien her kannten, ist ein und derselbe wie der Privatmensch Karol Wojtyla. Es
existierten nicht zwei Persönlichkeiten. Er war ein freier, transparenter Mann und
hatte keine Angst zu verkündigen, ob es gelegen oder ungelegen kam, ob er körperlich
stark war oder schwach, ob er mit lauter Stimme sprechen oder am Ende seines Lebens
nur noch schweigend kommunizieren konnte. Er war ein kohärenter Mann. Wer also die
Sensation sucht, wird vielleicht enttäuscht. Was aber im Prozess auftauchte, ist der
letzte Grund dieser Kohärenz: die Tiefe seines spirituellen Lebens. Die Beziehung
mit Gott war Johannes Pauls geistliche Nahrung, das Gebet, die Eucharistie, das Nachdenken
über das Leben der Heiligen. Er faszinierte aufgrund seiner spirituellen Tiefe. Die
konnte man nicht übersehen, wenn er sprach.“
„Warum er heilig ist“, heißt
das Buch, das Slawomir Oder über Johannes Paul geschrieben hat. Eines der Details,
die dort über den neuen Seligen verbreitet werden, ist, dass er sich gelegentlich
selbst geißelte, mit einem Ledergürtel, der in seinem Schrank hing. Eine alte christliche
Praxis der Abtötung, nicht leicht zu verstehen für viele heutige Katholiken.
„Das
Problem betrifft generell eine Gesinnung, eine Gesellschaft, die aus dem Körper und
der Schönheit praktisch eine neue Religion gemacht hat. Johannes Paul aber hatte keine
Angst vor dem Kreuz, auch wenn es schon ganz evident war in seiner Krankheit. Er wusste,
dass persönliche Abtötung einen Wert vor dem Herrn hat. Er verstand es auch zu fasten.
Indem er sein Kreuz aufnahm, ist der Papst zum Kern der Christusnachfolge vorgedrungen.“
Zu
den Aufgaben des Postulators im Seligsprechungsverfahren gehörte es, die Liste der
vorzuladenden Zeugen zu erstellen. Das war eine der größten Herausforderungen des
Prozesses, erzählt Slawomir Oder.
„Denn die Personen, die Johannes Paul
kannten, waren nicht hunderte, sondern Tausende. Es galt auszusieben und jene zu finden,
die im Namen einer ganzen Kategorie von Personen sprechen konnten. Johannes Paul war
ja nicht nur ein Papst, sondern auch ein Protagonist der Zeitgeschichte. Und drittens
war das Menschliche wichtig. Wir haben also Leute gewählt, die auf diesen drei Ebenen
im Alltag mit ihm Kontakt hatten. Kardinäle, Bischöfe, Staatschefs, Politiker, und
direkte Mitarbeiter: Ordensleute, aber auch viele Laien. Das Mosaik der Zeugen ist
sehr komplex.“
Namentlich darf der Postulator die Zeugen im Interview
nicht benennen: Sie sind gedeckt vom Prozessgeheimnis. Allerdings ist bekannt, dass
für den Seligsprechungsprozess u.a. General Wojciech Jaruzelski aussagte, der letzte
kommunistische Präsident Polens. Als Staatschef war er insgesamt achtmal mit Johannes
Paul II. zusammengetroffen, und auch nach der Wende traf der seinen Landsmann, den
Papst, mehrfach. Ist Slawomir Oder, der alle Zeugenaussagen genauestens kennt, mit
dieser Innensicht - so wie viele andere Beobachter - der Meinung, es sei Johannes
Paul gewesen, der den Kommunismus besiegte und die Mauer zum Einsturz brachte?
„Der
Papst selbst hat da einen Interpretationsansatz geliefert. Ihm gefiel dieses Bild
vom Mauer-Niederreißer nicht, das viele von ihm hatten. Die erste Aufgabe eines Papstes
ist es, für die Kirche zu beten, sagte er immer. Wenn Sie wollen, bestand seine Revolution
in der spirituellen Kraft, mit der er Christus verkündete. Er verkündete die Frohe
Botschaft und pochte dabei auf die Würde der Person, sprach zu den Herzen der Menschen,
öffnete jenen die Augen, die in einer Lage der Unterdrückung lebten. Er lenkte den
Blick auf den großen weiten Horizont, auf Christus: Das war seine Art, Politik zu
machen. Johannes Paul bezeichnete sich immer als Instrument in den Händen Gottes.
Sicher war sein Einfluss auf den Lauf der Geschichte enorm. Aber die Art, wie er das
gemacht hat, war im eigentlichen Sinn evangelisch.“
Ein Verfahren zur
Selig- und später zur Heiligsprechung ist ein kirchenrechtlich minutiös festgelegter
Prozess, ein Gerichtsprozess. Dabei untersucht die Kirche nicht nur, was für den Kandidaten
spricht, sondern auch, was gegen ihn sprechen könnte.
„Der Seligsprechungsprozess
ist langwierig. Alle, die teilnehmen, haben die Pflicht, zur Wahrheit der Fakten vorzudringen.
Der Untersuchungsrichter, der die Zeugen einvernimmt, hat die Pflicht, auch solche
Zeugen vorzuladen und solche Fragen zu stellen, die eine ergänzende Einschätzung liefern
und helfen können, bestimmte Fragen zu klären. Auch in diesem Fall wurden Zeugen einberufen,
die abweichende Meinungen vertraten, Meinungen also, die nicht im Einklang stehen
mit dem Chor, der rief: Santo subito.“
Unterstützte Johannes Paul die polnische
Gewerkschaft Solidarnosc finanziell? Handelte er nicht entschieden genug im Fall des
Gründers der Legionäre Christi, der ein Doppelleben führte? Welche Streitpunkte genau
der Prozess untersuchte, kann man nur vermuten, denn auch darüber muss Slawomir Oder,
dem Kirchenrecht gehorchend, Stillschweigen wahren. In einem aber ist er sich sicher:
Unanfechtbar wird diese Seligsprechung auch noch in Jahrzehnten sein, wenn der Vatikan
die Akten des Pontifikates Johannes Pauls im Geheimarchiv freigibt.
„Sehen
Sie, die Kirche bewegt sich, was die Heiligen betrifft, immer mit übergroßer Vorsicht.
Auch hier kann ich sagen: Was immer vorgebracht werden konnte an Beobachtungen, Problemen,
Schwierigkeiten, das wurde mit den geeigneten Werkzeugen untersucht. Ich bin da zuversichtlich,
wir haben gute Arbeit geleistet.“
An diesem Samstag jährte sich der Todestag
Johannes Pauls zum 6. Mal. Wo der Priester Slawomir Oder an jenem 2. April 2005 war
und was er machte, wollten wir von ihm wissen.
„ Ich war auf dem Petersplatz
mit Freunden, um gemeinsam zu beten, es war eine Pflicht des Herzens, so wie man einen
Familienangehörigen begleitet. Die göttliche Vorsehung wollte, dass auch ich auf dem
Platz war in dem Moment, als sein Tod verkündet wurde. Wir waren so viele dort, die
beteten …. und was ich in meinem Herzen erinnere, war dann diese Stille. Sie legte
sich über diesen Platz, der ganz gefüllt mit Menschen war. Eine Stille, die betend
war. Ich habe in dieser Stille persönlich dem Herrn gedankt für diesen Menschen, der
Johannes Paul für mich war. Und ich habe im Vertrauen zu ihm gesagt, jetzt, wo du
zum Vater gehst, erinnere ihn an das und das und das. Ich gab ihm eine Litanei meiner
Intentionen mit auf den Weg! Für mich war es fraglos, dass er ins Paradies ging. Weil
er ein Heiliger war. Und dann, nach dieser betenden Stille, brandete Applaus auf.
Einige Freunde, die eigens aus Polen gekommen waren, fanden das skandalös, denn ein
Applaus beim Tod eines Menschen existiert in unserer Kultur absolut nicht, aber hier
in Italien ist es so. Es war ein befreiender Moment, aber auch ein Moment des Dankes
an Gott. Und es war auch so etwas wie ein Applaus an einen großen Protagonisten, der
von der Bühne abtritt, der gelebt hat und uns ein großes Erbe hinterlassen hat.“