2011-04-03 15:38:17

Seliger Johannes Paul: "Ein Volksfest"


RealAudioMP3 „Das wird ein Tag großer Zufriedenheit sein, ein Tag des Bewussteins, dass die mir anvertraute Sendung ans Ziel gekommen ist“. Der Mann, der das sagt, ist in diesen Wochen einer der gefragtesten Interviewpartner Roms: Slawomir Oder, ein polnischer Priester und Kirchenrechtler, der als Postulator im Seligsprechungsprozess für seinen Landsmann Karol Wojtyla wirkte. Am 1. Mai findet die große Feier in Rom statt – Benedikt XVI. schreibt seinen Vorgänger Johannes Paul II. ins Buch der Seligen.

„Eine große Freude wird das sein, ein Volksfest, da bin ich sicher. Denn das ist ein Heiliger des Volkes, geliebt von so vielen.“

Das drückte sich schon damals vor sechs Jahren aus, als die ersten Gläubigen den Satz „Santo subito“ auf Transparente kritzelten. Der Satz und seine Forderung verbreiteten sich in Windeseile. Dieser „Ruf der Heiligkeit“, wie es in der Fachsprache heißt, ist die Voraussetzung für die Aufnahme eines jeden Seligsprechungsprozesses. Das Verfahren für Johannes Paul war kurz, aber arbeitsam. 114 Zeugen wurden einvernommen. Was Oder am meisten an dem überraschte, was da zutage trat, war, wie er sagt, die Kohärenz der Person Karol Wojtylas.

„Johannes Paul, so wie wir ihn von den Medien her kannten, ist ein und derselbe wie der Privatmensch Karol Wojtyla. Es existierten nicht zwei Persönlichkeiten. Er war ein freier, transparenter Mann und hatte keine Angst zu verkündigen, ob es gelegen oder ungelegen kam, ob er körperlich stark war oder schwach, ob er mit lauter Stimme sprechen oder am Ende seines Lebens nur noch schweigend kommunizieren konnte. Er war ein kohärenter Mann. Wer also die Sensation sucht, wird vielleicht enttäuscht. Was aber im Prozess auftauchte, ist der letzte Grund dieser Kohärenz: die Tiefe seines spirituellen Lebens. Die Beziehung mit Gott war Johannes Pauls geistliche Nahrung, das Gebet, die Eucharistie, das Nachdenken über das Leben der Heiligen. Er faszinierte aufgrund seiner spirituellen Tiefe. Die konnte man nicht übersehen, wenn er sprach.“

„Warum er heilig ist“, heißt das Buch, das Slawomir Oder über Johannes Paul geschrieben hat. Eines der Details, die dort über den neuen Seligen verbreitet werden, ist, dass er sich gelegentlich selbst geißelte, mit einem Ledergürtel, der in seinem Schrank hing. Eine alte christliche Praxis der Abtötung, nicht leicht zu verstehen für viele heutige Katholiken.

„Das Problem betrifft generell eine Gesinnung, eine Gesellschaft, die aus dem Körper und der Schönheit praktisch eine neue Religion gemacht hat. Johannes Paul aber hatte keine Angst vor dem Kreuz, auch wenn es schon ganz evident war in seiner Krankheit. Er wusste, dass persönliche Abtötung einen Wert vor dem Herrn hat. Er verstand es auch zu fasten. Indem er sein Kreuz aufnahm, ist der Papst zum Kern der Christusnachfolge vorgedrungen.“

Zu den Aufgaben des Postulators im Seligsprechungsverfahren gehörte es, die Liste der vorzuladenden Zeugen zu erstellen. Das war eine der größten Herausforderungen des Prozesses, erzählt Slawomir Oder.

„Denn die Personen, die Johannes Paul kannten, waren nicht hunderte, sondern Tausende. Es galt auszusieben und jene zu finden, die im Namen einer ganzen Kategorie von Personen sprechen konnten. Johannes Paul war ja nicht nur ein Papst, sondern auch ein Protagonist der Zeitgeschichte. Und drittens war das Menschliche wichtig. Wir haben also Leute gewählt, die auf diesen drei Ebenen im Alltag mit ihm Kontakt hatten. Kardinäle, Bischöfe, Staatschefs, Politiker, und direkte Mitarbeiter: Ordensleute, aber auch viele Laien. Das Mosaik der Zeugen ist sehr komplex.“

Namentlich darf der Postulator die Zeugen im Interview nicht benennen: Sie sind gedeckt vom Prozessgeheimnis. Allerdings ist bekannt, dass für den Seligsprechungsprozess u.a. General Wojciech Jaruzelski aussagte, der letzte kommunistische Präsident Polens. Als Staatschef war er insgesamt achtmal mit Johannes Paul II. zusammengetroffen, und auch nach der Wende traf der seinen Landsmann, den Papst, mehrfach. Ist Slawomir Oder, der alle Zeugenaussagen genauestens kennt, mit dieser Innensicht - so wie viele andere Beobachter - der Meinung, es sei Johannes Paul gewesen, der den Kommunismus besiegte und die Mauer zum Einsturz brachte?

„Der Papst selbst hat da einen Interpretationsansatz geliefert. Ihm gefiel dieses Bild vom Mauer-Niederreißer nicht, das viele von ihm hatten. Die erste Aufgabe eines Papstes ist es, für die Kirche zu beten, sagte er immer. Wenn Sie wollen, bestand seine Revolution in der spirituellen Kraft, mit der er Christus verkündete. Er verkündete die Frohe Botschaft und pochte dabei auf die Würde der Person, sprach zu den Herzen der Menschen, öffnete jenen die Augen, die in einer Lage der Unterdrückung lebten. Er lenkte den Blick auf den großen weiten Horizont, auf Christus: Das war seine Art, Politik zu machen. Johannes Paul bezeichnete sich immer als Instrument in den Händen Gottes. Sicher war sein Einfluss auf den Lauf der Geschichte enorm. Aber die Art, wie er das gemacht hat, war im eigentlichen Sinn evangelisch.“

Ein Verfahren zur Selig- und später zur Heiligsprechung ist ein kirchenrechtlich minutiös festgelegter Prozess, ein Gerichtsprozess. Dabei untersucht die Kirche nicht nur, was für den Kandidaten spricht, sondern auch, was gegen ihn sprechen könnte.

„Der Seligsprechungsprozess ist langwierig. Alle, die teilnehmen, haben die Pflicht, zur Wahrheit der Fakten vorzudringen. Der Untersuchungsrichter, der die Zeugen einvernimmt, hat die Pflicht, auch solche Zeugen vorzuladen und solche Fragen zu stellen, die eine ergänzende Einschätzung liefern und helfen können, bestimmte Fragen zu klären. Auch in diesem Fall wurden Zeugen einberufen, die abweichende Meinungen vertraten, Meinungen also, die nicht im Einklang stehen mit dem Chor, der rief: Santo subito.“

Unterstützte Johannes Paul die polnische Gewerkschaft Solidarnosc finanziell? Handelte er nicht entschieden genug im Fall des Gründers der Legionäre Christi, der ein Doppelleben führte? Welche Streitpunkte genau der Prozess untersuchte, kann man nur vermuten, denn auch darüber muss Slawomir Oder, dem Kirchenrecht gehorchend, Stillschweigen wahren. In einem aber ist er sich sicher: Unanfechtbar wird diese Seligsprechung auch noch in Jahrzehnten sein, wenn der Vatikan die Akten des Pontifikates Johannes Pauls im Geheimarchiv freigibt.

„Sehen Sie, die Kirche bewegt sich, was die Heiligen betrifft, immer mit übergroßer Vorsicht. Auch hier kann ich sagen: Was immer vorgebracht werden konnte an Beobachtungen, Problemen, Schwierigkeiten, das wurde mit den geeigneten Werkzeugen untersucht. Ich bin da zuversichtlich, wir haben gute Arbeit geleistet.“

An diesem Samstag jährte sich der Todestag Johannes Pauls zum 6. Mal. Wo der Priester Slawomir Oder an jenem 2. April 2005 war und was er machte, wollten wir von ihm wissen.

„ Ich war auf dem Petersplatz mit Freunden, um gemeinsam zu beten, es war eine Pflicht des Herzens, so wie man einen Familienangehörigen begleitet. Die göttliche Vorsehung wollte, dass auch ich auf dem Platz war in dem Moment, als sein Tod verkündet wurde. Wir waren so viele dort, die beteten …. und was ich in meinem Herzen erinnere, war dann diese Stille. Sie legte sich über diesen Platz, der ganz gefüllt mit Menschen war. Eine Stille, die betend war. Ich habe in dieser Stille persönlich dem Herrn gedankt für diesen Menschen, der Johannes Paul für mich war. Und ich habe im Vertrauen zu ihm gesagt, jetzt, wo du zum Vater gehst, erinnere ihn an das und das und das. Ich gab ihm eine Litanei meiner Intentionen mit auf den Weg! Für mich war es fraglos, dass er ins Paradies ging. Weil er ein Heiliger war. Und dann, nach dieser betenden Stille, brandete Applaus auf. Einige Freunde, die eigens aus Polen gekommen waren, fanden das skandalös, denn ein Applaus beim Tod eines Menschen existiert in unserer Kultur absolut nicht, aber hier in Italien ist es so. Es war ein befreiender Moment, aber auch ein Moment des Dankes an Gott. Und es war auch so etwas wie ein Applaus an einen großen Protagonisten, der von der Bühne abtritt, der gelebt hat und uns ein großes Erbe hinterlassen hat.“

(rv 03.04.2011 gs)








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