Die Angst vor der Atomkraft und der Schlingerkurs der Bundesregierung in der Außenpolitik
machten es möglich: Nach fast sechs Jahrzehnten wurde die CDU am vergangenen Sonntag
bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg abgewählt. Mann der Stunde ist Winfried
Kretschmann, Spitzenkandidat der Grünen, der am 12. Mai vom Landtag zum ersten grünen
Ministerpräsidenten gewählt werden soll. Er sieht den Wahlsieg als Einschnitt in der
politischen Geschichte des Landes:„Es hat uns richtig herausgefordert, wir wurden
herausgefordert und wir haben herausgefordert. Und jetzt haben wir die historische
Wende in diesem Land erreicht. Wir werden in diesem Land einen Politikwechsel einleiten,
und wir werden den versprochenen Weg in die Bürgergesellschaft gehen, und wir werden
den versprochenen Politikwechsel mit der Bevölkerung von Baden-Württemberg zusammen
einleiten.“ Mit 24,2 Prozent der Wählerstimmen erreichten die Grünen die knappe
Mehrheit für eine rot-grüne Landesführung. Koalitionsgespräche haben bereits begonnen;
uneinig sind die beiden Parteien noch über das unterirdische Bahnprojekt Stuttgart
21. Der praktizierende Katholik Kretschmann ist Mitglied im Zentralkomitee der deutschen
Katholiken. Zentralrat-Generalsekretär Stephan Vesper freut sich über den Wahlsieg
seines Kollegen. Er sagte im Domradio-Interview: „Er ist ein überzeugender Wertkonservativer.
Ich kenne ihn gut aus vielen Gesprächen. Er hat eine sehr abgewogene Haltung, er ist
ein sehr fairer Mensch und ich glaube, dass er die Sache gut machen wird. Ich glaube,
dass er sich auch weiter im Zentralkomitee gut engagieren wird, ich hoffe, dass das
den zeitlichen Möglichkeiten entspricht. Aber ich glaube, dass er in diesem Land verantwortungsvoll
regieren wird und wünsche ihm dazu natürlich eine gute Hand.“ Verantwortungsvolle
Politik meint für viele Wähler in diesen Tagen vor allem Umweltpolitik. Die meisten
Bürger plädieren - wie viele Kirchenvertreter - für eine Abschaffung der Atomkraft.
In Umweltfragen treffen sich heute grüne mit katholischen Überzeugungen, meint Vesper.
Überhaupt lasse sich die Trennlinie zwischen Konfession und Partei längst nicht mehr
so genau ziehen, beobachtet der ZdK-Sekretär und nennt Beispiele aus der Geschichte
des Zentralkomitees: „In der Anfangszeit hatten wir eine Gegenüberstellung,
das hat dann wohl auch mit der handelnden Person zu tun, auch mit historischen Entwicklungen.
Aber spätestens seit den 90er Jahren sind im Zentralkomitee alle politischen Parteien
vertreten. Früher hatte es immer einen Sozialdemokraten gegeben, einen aus der FDP.
Aber seit Mitte der 90er Jahre haben wir Christdemokraten, Sozialdemokraten und Grüne
und auch Freie Demokraten. Weil sich das Engagement der Katholiken in der Gesellschaft
eben heute auf verschiedene Parteien erstreckt. Uns ist sehr wichtig, dass wir als
katholische Christen nicht Zuschauer sind, sondern dass wir aktiv auf dem Spielfeld
Politik und Gesellschaft mitspielen und damit unsere Welt mitgestalten.“ Wie
aber ist die politische Kehrtwende in Baden-Württemberg zu bewerten? Ist die Entscheidung
für Rot-Grün nur eine Kurzschlußreaktion aus Angst vor dem Atomgau oder ein wohlüberlegter
Richtungswechsel? Dazu Vesper: „Was sich jetzt abgespielt hat an diesem Wahlsonntag,
ist natürlich ein Indikator für die aktuellen Entwicklungen in Japan und die Angst
vor einer atomaren Kathastrophe. Aber es ist auch Zeichen dafür, dass die Menschen
eine langfristig verantwortbare Politik wollen. Und wer früher geglaubt hat, wir könnten
Risiken beherrschen und wer entsprechend gehandelt hat, der musste sich nach der Japan-Krise
neu aufstellen – das hat ja auch die CDU in weiten Teilen getan. Aber die Wählerinnen
und Wähler haben das eben in weiten Teilen anders gesehen und den Grünen eine starke
Unterstützung gegeben. So oder so – Ziel muss doch sein, dass wir eine Politik machen
in den nächsten Jahren, Jahrzehnten und Jahrhunderten, die verantwortlich ist!“ (domradio/rv
01.04.2011 pr)