Die drohende Atomkatastrophe
in Japan hat überall für Betroffenheit gesorgt. Mit einem „Rat der Weisen“ will Bundeskanzlerin
Angela Merkel die Frage lösen, was man von Atomenergie halten soll. In dem Rat dabei
ist u.a. auch der Münchner Erzbischof, Kardinal Reinhard Marx. Er hat sich bereits
eindeutig positioniert: Kardinal Marx warnt davor, die Gefahren der Atomenergie zu
vergessen und plädiert für einen raschen Ausstieg. Die Kirche müsse deshalb immer
wieder ihre Position deutlich machen. Mario Galgano hat den Umweltbeauftragen der
Erzdiözese München und Freising, Mattias Kiefer gefragt, ob Atomenergie moralisch
vertretbar sei.
Diese scheinbar einfache Frage erfordert Differenziertheit.
Ich glaube, dass es vor allem in diesem Bereich keine allgemein gültige Antwort gegeben
werden kann. Wenn man auf die letzten 30 Jahre zurückblickt, und so weit reicht auch
die Bundesdeutsche Diskussion, dann stellt man fest, dass bereits 1980 Kardinal Höffner
eine sehr kritische Sicht auf die Atomenergie geäußert hat. Heute ist man über den
„Referenzpunkt Kardinal Höffner“ froh. Man muss auch sagen, dass in den Folgejahren
vom Episkopat relativ wenig kam. Das was jedoch geäußert wurde, waren meist befürwortende
Stimmen. Die Position vieler Räte und Verbände zwischen Mitte 1980 und Mitte 1990
war dagegen anders. Zu dieser Zeit gab es viele gesellschaftliche Großkonflikte, wie
etwa die langjährige Auseinandersetzung über die geplante Wiederaufbereitungsanlage
in Wackersdorf. Es meldeten sich viele kirchliche Räte und Verbände zu Wort und äußerten
sich überwiegend atomkraftkritisch. Insgesamt flaute der Diskurs dann etwas ab. In
den letzten fünf Jahren kam das Thema dann innerkirchlich wieder hoch und es gab einige
interessante Neuakzentuierungen, auch von Seiten des deutschen Episkopats. In der
Schrift zum Klimawandel aus dem Jahr 2006 findet sich ein vorsichtig kritisch verfasster
Abschnitt gegenüber der friedlichen Nutzung von Atomkraft. Das Zentralkomitee der
deutschen Katholiken hat 2008 ein umfangreiches Papier zur Schöpfungsverantwortung,
im Bezug auf den Klimaschutz vorgelegt, wo man ebenfalls eine kritische Position gegenüber
der Kernkraft finden kann. Erzbischof Zollitsch hat sich im Herbst letzten Jahres,
als das geplante Energiekonzept der Bundesregierung in der Diskussion stand, kritisch
gezeigt. Nach den Vorfälle in Japan im Atomkraftwerk von Fukushima hat sich der Präsident
des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Alois Glück, als Erster sehr pronunziert
zu Wort gemeldet und im Verlauf der Woche dann auch Kardinal Marx, als Vorsitzender
in der Kommission der Bischofskonferenz die für die gesellschaftlichen und sozialen
Fragen zuständig ist, ebenso Erzbischof Zollitsch zum Abschluss der Bischofsfrühversammlung
in Paderborn. Es ist eine deutliche Dynamik in die innerkirchliche Diskussion gekommen
und das nicht erst in Folge der Vorfälle von Fukushima, sondern bereits vorher durch
die innerkirchliche Thematisierung und die Herausforderungen durch den Klimawandel.
Wenn man nun einen Blick auf die Einstellungen in der Weltkirche wirft, hat sich Papst
Benedikt XVI. in seiner Sozialenzyklika „Caritas in veritate“ ausführlich zum Thema
internationale Energieversorgung zu Wort gemeldet. Er hat nicht direkt zum Thema Atomkraft
Stellung genommen, aber es gibt eine Passage, die man durchaus als kernkraftkritisch
deuten kann Hier wird gesagt, dass unser heutiges Handeln nicht zu Lasten zukünftiger
Generationen geschehen darf. Diese Aussage kann man trefflich auf die ethische Diskussion
über Atomkraft anwenden, denn das Problem der Endlagerung ist weltweit noch nicht
gelöst. Der anfallende Abfall hat massive Beeinträchtigungen der Lebenschancen zukünftiger
Generationen zur Folge. Ist Kernkraft amoralisch? Dazu lässt sich sagen, dass die
Technik an sich nicht amoralisch ist, der Nutzen dieser Technik möglicherweise aber
schon. Die Argumente, die von Atomkraftgegnern immer wieder vorgebracht werden sind
zum einen, dass die Technik technisch niemals vollständig beherrschbar sein wird,
was Fukushima jetzt auch zeigt. Zum anderen gibt es das noch ungelöste Problem der
Endlagerung radioaktiver Abfälle und hier ist eine Lösung noch lange nicht in Sicht.
Das wäre damit ein eklatanter Verstoß gegen die Generationengerechtigkeit. Das Festhalten
an der Atomenergie zeigt in der neueren Diskussion auch, dass das vor allem das aus
Klimaschutzgründen nötige Umstrukturieren verzögert und erschwert. Die damit zusammenhängenden
Verstöße an den Gerechtigkeitsprinzipien kann mal also durchaus als amoralisch qualifizieren.
Die
Kirche spricht immer von der Wichtigkeit der Bewahrung der Schöpfung. Kann man diese
mit Atomkraft noch bewahren?
Bei diesem Topos, der Bewahrung der Schöpfung
muss man sagen, dass damit nicht gemeint ist den Naturzustand unverändert bis in Ewigkeit
zu konservieren. Die Dynamik ist mit einbezogen. Dennoch gebietet dieser Leitsatz,
der eine biblische Grundlage im berühmten Vers Genesis 2.15 hat, die Überlegung welche
Handlungen menschliches Handeln mit sich bringt. Insofern ist, wie in den letzten
Jahrzehnten auch immer wieder gezeigt und jetzt auch wieder in Japan bewiesen wurde,
ein Verstoß gegen diesen Auftrag festzustellen.
Von den Bischöfen wurde
jetzt klare Stellung bezogen. Ist das eine Art von Zurechtrücken der Position?
Natürlich
reagieren die Bischöfe auf aktuelle gesellschaftliche und politische Diskussionen.
Bischöfe können sich dem Eindruck der Ereignisse nicht entziehen. Ob es nun ein Zurechtrücken
der eigenen Position ist, ist aus meiner Hinsicht schwer einzuschätzen, da über viele
Jahrzehnte hinweg keine Äußerungen des deutschen Episkopats zu vernehmen waren. Doch
ich glaube schon, dass in den letzten Jahren eine erhöhte Sensibilität kirchlicher
Verantwortung für die Bewahrung der Schöpfung auszumachen war. Kirche meldet sich
nun deutlich und vernehmbar im Diskurs um die Zukunft der deutschen Energieversorgung.
Gibt
es ökologische Alternativen zur Kernenergie?
Ja sicher. Mittlerweile sind
diese auch hinreichen bestätigt und das nicht nur von bekannter Seite der Umwelt-
und Naturschützer und deren Verbände. Es gibt viele Gremien der Bundesregierung, die
alle zu dem Ergebnis kommen, dass eine Versorgung der deutschen Bevölkerung mit Strom
aus regenerativen Energien bis ins Jahr 2050 vollständig machbar ist. Mir ist es an
dieser Stelle wichtig festzuhalten, dass an erster Stelle die Frage nach dem Maßhalten
steht. Die Frage nach dem „was brauchen wir wirklich?“. Diese Frage wird von anderen
aktuellen Diskussionen häufig nicht gestellt, denn die Frage nach dem Maßhalten schmälert
oft die eigenen Interessen der Politiker. Doch diese Frage steht an vorderster Stelle.
Ohne eine Absenkung des Energieverbrauchs funktionieren sämtliche Energieszenarien
die in Richtung der erneuerbaren Energien gehen nicht. Zudem ist eine massive Effizienzsteigerung
zu nennen, was bedeutet, dass eingesetzte Energie effizienter und mit einem höheren
Wirkungsgrad zu nutzen ist. Als letzter Punkt ist wichtig, dass die verbleibende Restenergie
möglichst vollständig durch Träger der erneuerbaren Energien zu decken ist. Das ist
machbar, aber es setzt ein massives Umstellen voraus und ebenso ein massives Umdenken.
Das Ganze wird, sowohl im Bereich der Finanzen, als auch im Bezug auf unser Leben,
nicht umsonst sein.. Es wird für die Umstrukturierung infrastrukturelle Änderungen
geben, da man Netzführungen und auch Speicherkapazitäten neu ausbauen muss. Das birgt
erheblichen gesellschaftlichen „Sprengstoff“ und Diskussionsbedarf. Politik kann hier
auch nur insofern agieren, wie das Volk es zulässt. Jede Einzelne und jeder Einzelne
ist hier gefordert, als Bürger und Bürgerinnen dieses Landes. Sowohl bei den Wahlen,
als auch in der Praxis.
Wer ist nun gefragt? Konsument, Industrie, Politik?
Der
Umbau in Richtung dauerhaft funktionierendes Energiesystem ist eine gesamtgesellschaftliche
Aufgabe, die alle fordert. Da ist die Politik gefordert, die rechtliche Rahmenbedingungen
setzt, da ist die Wirtschaft gefordert, die in den letzt Jahren bereits sehr viel
zur Effizienzsteigerung beigetragen hat und natürlich ist auch jeder Einzelne gefordert.
Ich sehe keinen Widerspruch zwischen der Forderung die Atomkraftwerke abzuschalten
und dem damit für die Bevölkerung zusammenhängenden Verzicht. Es geht um eine maßvolle
und intelligente Nutzung von Energie und der bereits vorhandenen Technik, die in Zukunft
sicher weiter entwickelt werden wird.
Inwieweit ist man im Bezug auf Elektromobilität
auf Atomkraftwerke angewiesen?
Die Frage der Mobilität ist sehr interessant.
Der Mobilitätssektor ist, ähnlich wie auch der Sektor Ernährung und Landwirtschaft,
in den Klimaschutzdiskussionen weitgehend tabuisiert, obwohl aus beiden Sektoren massive
Wirkungen auf das Klima erzeugt werden. Bei der Mobilität ist es, denke ich, zu kurzsichtig,
lediglich auf die Mobilität zu setzen. Erklärtes politisches Ziel der Bundesregierung
ist bis 2020 1 Millionen elektrisch betriebene Automobile auf Deutschlands Straßen
zu haben. Das ist nicht einmal 1/40stel des Gesamtbestandes an PKW in Deutschland.
Daran sieht man, dass allein durch eine Umstellung auf die E - Mobilität, die Herausforderungen
nicht zu meistern sein werden. Doch hier kann man anschaulich sehen, dass eine Politik
und ein Leben nach dem Prinzip „weiter so“, sofern nur die atomar fossilen Energieträger
durch die erneuerbaren ersetzt werden, schlichtweg nicht funktionieren wird, da die
benötigten Mengeneffekte nicht generierbar sind. Im Bezug auf den Mobilitätssektor
müssen letztendlich Wege vermindert werden. Das wird auf die global arbeitsteilig
organisierte Weltwirtschaft Auswirkungen haben. Hier zeigen sich die Transportkosten
und die damit einher gehenden Umweltwirkungen, die sich noch zu wenig in den realen
Preisen widerspiegeln. Das hat auch Auswirkungen auf unsere landeseigene Raumplanung,
wo die bisher getrennten Lebensbereiche Wohnen, Leben, Arbeiten, Freizeit usw. getrennt
waren, müssen sie nun räumlich enger vernetzt und entgrenzt werden. Am Mobilitätssektor
zeigt sich sehr deutlich, dass ein radikales Umdenken gefordert ist. Die in den erst
letzten zwei Generationen eingeschliffenen Verhaltensmuster müssen wieder geändert
und neu angepasst werden.
Nach Tschernobyl 1986 war der Aufschrei gegen
Atomenergie groß. Doch mit den Jahren wurde das Thema Atomenergie wieder in den Hintergrund
gerückt. Denken Sie nach Fukushima wird das wieder der Fall sein?
Man müsste
jetzt wohl analysieren was in den letzten 25 Jahren zu diesem Vergessen beigetragen
hat. Es muss auch gesagt werden, dass viele in unserem Land Tschernobyl nie vergessen
haben und werden und sich die letzten 25 Jahre extrem engagiert haben, sodass wir
heute diese Debatte um eine zukunftsfähige Energieversorgung in Deutschland auf einem
hohen Niveau führen können. Das haben wir auch diesen Menschen zu verdanken, die gesellschaftlich
und auch binnenkirchlich in den letzten Jahren häufig eher an den Rand gedrängt wurden.
Es ist außerdem nicht so, dass die ökologischen Krisen, die einzigen Krisen sind,
mit denen wir uns konfrontiert sehen. Die globale Finanz- und Wirtschaftkrise scheint
im Moment beinahe wieder vergessen, obwohl sämtliche Bemühungen der Rettung des Euro
letztendlich darauf zurückzuführen sind. Insofern zeigt sich auch, und darauf hat
auch Kardinal Marx bei der Frühjahrsversammlung der bayerischen Bischöfe hingewiesen,
dass unser gesamtes derzeitiges Lebens- und Wirtschaftsmodell massiv in Frage gestellt
wird. Das war zu Beginn des Jahrtausends etwas anders und ich glaube auch, dass aus
diesem Grund die jetzigen Ereignisse nicht so schnell in Vergessenheit geraten werden.
Anders als von Tschernobyl gibt es von Fukushima auch Bilder und diese Bilder haben
sich global und unlöschbar ins kollektive Gedächtnis eingebrannt. Auch diese Bilder
werden verhindern, dass es ein Zurückfallen in die Zeit vor Fukushima gibt. Kurzfristig
wird sich nun zeigen, ob das von der Bundesregierung verkündete Moratorium wirklich
ernst gemeint war, oder ob es Wahlkampftaktik der Bundesländer Baden-Württemberg und
Rheinland-Pfalz war. Außerdem werden wir sehen, was die beiden eingesetzten Kommissionen
für Ergebnisse bringen werden. In der so Ethikkommission sind auch prominente Kirchenvertreter
vertreten, wie etwa Alois Glück, als Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken
und Erzbischof Marx für die deutschen Bischöfe. Mittelfristig muss nun ein breiter
gesellschaftlicher Diskurs geführt werden in welche Richtung wir gehen wollen. Die
Politik muss demokratisch legitimiert werden und die Bevölkerung muss auf diesem Weg
mitgenommen werden. Dieser Weg wird nicht umsonst zu haben sein. Es müssen entsprechende
Anreize gegeben werden und Ansatzpunkte gibt es genug. Ansonsten ist zu sagen: Umwelt
und Energiepolitik stehen erstaunlicherweise immer unter einem besonderen Rechtfertigungsdruck.
Zudem sind die betroffenen Industrielobbys auch relativ stark. Man kann nur hoffen,
dass die Welt es dieses Mal besser macht und tatsächlich jetzt aus den Ereignissen
in Fukushima lernt.