2011-03-27 08:10:48

Kiefer: „Keine allgemein gültige Antwort“


RealAudioMP3 Die drohende Atomkatastrophe in Japan hat überall für Betroffenheit gesorgt. Mit einem „Rat der Weisen“ will Bundeskanzlerin Angela Merkel die Frage lösen, was man von Atomenergie halten soll. In dem Rat dabei ist u.a. auch der Münchner Erzbischof, Kardinal Reinhard Marx. Er hat sich bereits eindeutig positioniert: Kardinal Marx warnt davor, die Gefahren der Atomenergie zu vergessen und plädiert für einen raschen Ausstieg. Die Kirche müsse deshalb immer wieder ihre Position deutlich machen. Mario Galgano hat den Umweltbeauftragen der Erzdiözese München und Freising, Mattias Kiefer gefragt, ob Atomenergie moralisch vertretbar sei.

Diese scheinbar einfache Frage erfordert Differenziertheit. Ich glaube, dass es vor allem in diesem Bereich keine allgemein gültige Antwort gegeben werden kann. Wenn man auf die letzten 30 Jahre zurückblickt, und so weit reicht auch die Bundesdeutsche Diskussion, dann stellt man fest, dass bereits 1980 Kardinal Höffner eine sehr kritische Sicht auf die Atomenergie geäußert hat. Heute ist man über den „Referenzpunkt Kardinal Höffner“ froh. Man muss auch sagen, dass in den Folgejahren vom Episkopat relativ wenig kam. Das was jedoch geäußert wurde, waren meist befürwortende Stimmen. Die Position vieler Räte und Verbände zwischen Mitte 1980 und Mitte 1990 war dagegen anders. Zu dieser Zeit gab es viele gesellschaftliche Großkonflikte, wie etwa die langjährige Auseinandersetzung über die geplante Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf. Es meldeten sich viele kirchliche Räte und Verbände zu Wort und äußerten sich überwiegend atomkraftkritisch. Insgesamt flaute der Diskurs dann etwas ab. In den letzten fünf Jahren kam das Thema dann innerkirchlich wieder hoch und es gab einige interessante Neuakzentuierungen, auch von Seiten des deutschen Episkopats. In der Schrift zum Klimawandel aus dem Jahr 2006 findet sich ein vorsichtig kritisch verfasster Abschnitt gegenüber der friedlichen Nutzung von Atomkraft. Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken hat 2008 ein umfangreiches Papier zur Schöpfungsverantwortung, im Bezug auf den Klimaschutz vorgelegt, wo man ebenfalls eine kritische Position gegenüber der Kernkraft finden kann. Erzbischof Zollitsch hat sich im Herbst letzten Jahres, als das geplante Energiekonzept der Bundesregierung in der Diskussion stand, kritisch gezeigt. Nach den Vorfälle in Japan im Atomkraftwerk von Fukushima hat sich der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Alois Glück, als Erster sehr pronunziert zu Wort gemeldet und im Verlauf der Woche dann auch Kardinal Marx, als Vorsitzender in der Kommission der Bischofskonferenz die für die gesellschaftlichen und sozialen Fragen zuständig ist, ebenso Erzbischof Zollitsch zum Abschluss der Bischofsfrühversammlung in Paderborn. Es ist eine deutliche Dynamik in die innerkirchliche Diskussion gekommen und das nicht erst in Folge der Vorfälle von Fukushima, sondern bereits vorher durch die innerkirchliche Thematisierung und die Herausforderungen durch den Klimawandel. Wenn man nun einen Blick auf die Einstellungen in der Weltkirche wirft, hat sich Papst Benedikt XVI. in seiner Sozialenzyklika „Caritas in veritate“ ausführlich zum Thema internationale Energieversorgung zu Wort gemeldet. Er hat nicht direkt zum Thema Atomkraft Stellung genommen, aber es gibt eine Passage, die man durchaus als kernkraftkritisch deuten kann Hier wird gesagt, dass unser heutiges Handeln nicht zu Lasten zukünftiger Generationen geschehen darf. Diese Aussage kann man trefflich auf die ethische Diskussion über Atomkraft anwenden, denn das Problem der Endlagerung ist weltweit noch nicht gelöst. Der anfallende Abfall hat massive Beeinträchtigungen der Lebenschancen zukünftiger Generationen zur Folge. Ist Kernkraft amoralisch? Dazu lässt sich sagen, dass die Technik an sich nicht amoralisch ist, der Nutzen dieser Technik möglicherweise aber schon. Die Argumente, die von Atomkraftgegnern immer wieder vorgebracht werden sind zum einen, dass die Technik technisch niemals vollständig beherrschbar sein wird, was Fukushima jetzt auch zeigt. Zum anderen gibt es das noch ungelöste Problem der Endlagerung radioaktiver Abfälle und hier ist eine Lösung noch lange nicht in Sicht. Das wäre damit ein eklatanter Verstoß gegen die Generationengerechtigkeit. Das Festhalten an der Atomenergie zeigt in der neueren Diskussion auch, dass das vor allem das aus Klimaschutzgründen nötige Umstrukturieren verzögert und erschwert. Die damit zusammenhängenden Verstöße an den Gerechtigkeitsprinzipien kann mal also durchaus als amoralisch qualifizieren.

Die Kirche spricht immer von der Wichtigkeit der Bewahrung der Schöpfung. Kann man diese mit Atomkraft noch bewahren?

Bei diesem Topos, der Bewahrung der Schöpfung muss man sagen, dass damit nicht gemeint ist den Naturzustand unverändert bis in Ewigkeit zu konservieren. Die Dynamik ist mit einbezogen. Dennoch gebietet dieser Leitsatz, der eine biblische Grundlage im berühmten Vers Genesis 2.15 hat, die Überlegung welche Handlungen menschliches Handeln mit sich bringt. Insofern ist, wie in den letzten Jahrzehnten auch immer wieder gezeigt und jetzt auch wieder in Japan bewiesen wurde, ein Verstoß gegen diesen Auftrag festzustellen.

Von den Bischöfen wurde jetzt klare Stellung bezogen. Ist das eine Art von Zurechtrücken der Position?

Natürlich reagieren die Bischöfe auf aktuelle gesellschaftliche und politische Diskussionen. Bischöfe können sich dem Eindruck der Ereignisse nicht entziehen. Ob es nun ein Zurechtrücken der eigenen Position ist, ist aus meiner Hinsicht schwer einzuschätzen, da über viele Jahrzehnte hinweg keine Äußerungen des deutschen Episkopats zu vernehmen waren. Doch ich glaube schon, dass in den letzten Jahren eine erhöhte Sensibilität kirchlicher Verantwortung für die Bewahrung der Schöpfung auszumachen war. Kirche meldet sich nun deutlich und vernehmbar im Diskurs um die Zukunft der deutschen Energieversorgung.

Gibt es ökologische Alternativen zur Kernenergie?

Ja sicher. Mittlerweile sind diese auch hinreichen bestätigt und das nicht nur von bekannter Seite der Umwelt- und Naturschützer und deren Verbände. Es gibt viele Gremien der Bundesregierung, die alle zu dem Ergebnis kommen, dass eine Versorgung der deutschen Bevölkerung mit Strom aus regenerativen Energien bis ins Jahr 2050 vollständig machbar ist. Mir ist es an dieser Stelle wichtig festzuhalten, dass an erster Stelle die Frage nach dem Maßhalten steht. Die Frage nach dem „was brauchen wir wirklich?“. Diese Frage wird von anderen aktuellen Diskussionen häufig nicht gestellt, denn die Frage nach dem Maßhalten schmälert oft die eigenen Interessen der Politiker. Doch diese Frage steht an vorderster Stelle. Ohne eine Absenkung des Energieverbrauchs funktionieren sämtliche Energieszenarien die in Richtung der erneuerbaren Energien gehen nicht. Zudem ist eine massive Effizienzsteigerung zu nennen, was bedeutet, dass eingesetzte Energie effizienter und mit einem höheren Wirkungsgrad zu nutzen ist. Als letzter Punkt ist wichtig, dass die verbleibende Restenergie möglichst vollständig durch Träger der erneuerbaren Energien zu decken ist. Das ist machbar, aber es setzt ein massives Umstellen voraus und ebenso ein massives Umdenken. Das Ganze wird, sowohl im Bereich der Finanzen, als auch im Bezug auf unser Leben, nicht umsonst sein.. Es wird für die Umstrukturierung infrastrukturelle Änderungen geben, da man Netzführungen und auch Speicherkapazitäten neu ausbauen muss. Das birgt erheblichen gesellschaftlichen „Sprengstoff“ und Diskussionsbedarf. Politik kann hier auch nur insofern agieren, wie das Volk es zulässt. Jede Einzelne und jeder Einzelne ist hier gefordert, als Bürger und Bürgerinnen dieses Landes. Sowohl bei den Wahlen, als auch in der Praxis.

Wer ist nun gefragt? Konsument, Industrie, Politik?

Der Umbau in Richtung dauerhaft funktionierendes Energiesystem ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die alle fordert. Da ist die Politik gefordert, die rechtliche Rahmenbedingungen setzt, da ist die Wirtschaft gefordert, die in den letzt Jahren bereits sehr viel zur Effizienzsteigerung beigetragen hat und natürlich ist auch jeder Einzelne gefordert. Ich sehe keinen Widerspruch zwischen der Forderung die Atomkraftwerke abzuschalten und dem damit für die Bevölkerung zusammenhängenden Verzicht. Es geht um eine maßvolle und intelligente Nutzung von Energie und der bereits vorhandenen Technik, die in Zukunft sicher weiter entwickelt werden wird.

Inwieweit ist man im Bezug auf Elektromobilität auf Atomkraftwerke angewiesen?

Die Frage der Mobilität ist sehr interessant. Der Mobilitätssektor ist, ähnlich wie auch der Sektor Ernährung und Landwirtschaft, in den Klimaschutzdiskussionen weitgehend tabuisiert, obwohl aus beiden Sektoren massive Wirkungen auf das Klima erzeugt werden. Bei der Mobilität ist es, denke ich, zu kurzsichtig, lediglich auf die Mobilität zu setzen. Erklärtes politisches Ziel der Bundesregierung ist bis 2020 1 Millionen elektrisch betriebene Automobile auf Deutschlands Straßen zu haben. Das ist nicht einmal 1/40stel des Gesamtbestandes an PKW in Deutschland. Daran sieht man, dass allein durch eine Umstellung auf die E - Mobilität, die Herausforderungen nicht zu meistern sein werden. Doch hier kann man anschaulich sehen, dass eine Politik und ein Leben nach dem Prinzip „weiter so“, sofern nur die atomar fossilen Energieträger durch die erneuerbaren ersetzt werden, schlichtweg nicht funktionieren wird, da die benötigten Mengeneffekte nicht generierbar sind. Im Bezug auf den Mobilitätssektor müssen letztendlich Wege vermindert werden. Das wird auf die global arbeitsteilig organisierte Weltwirtschaft Auswirkungen haben. Hier zeigen sich die Transportkosten und die damit einher gehenden Umweltwirkungen, die sich noch zu wenig in den realen Preisen widerspiegeln. Das hat auch Auswirkungen auf unsere landeseigene Raumplanung, wo die bisher getrennten Lebensbereiche Wohnen, Leben, Arbeiten, Freizeit usw. getrennt waren, müssen sie nun räumlich enger vernetzt und entgrenzt werden. Am Mobilitätssektor zeigt sich sehr deutlich, dass ein radikales Umdenken gefordert ist. Die in den erst letzten zwei Generationen eingeschliffenen Verhaltensmuster müssen wieder geändert und neu angepasst werden.

Nach Tschernobyl 1986 war der Aufschrei gegen Atomenergie groß. Doch mit den Jahren wurde das Thema Atomenergie wieder in den Hintergrund gerückt. Denken Sie nach Fukushima wird das wieder der Fall sein?

Man müsste jetzt wohl analysieren was in den letzten 25 Jahren zu diesem Vergessen beigetragen hat. Es muss auch gesagt werden, dass viele in unserem Land Tschernobyl nie vergessen haben und werden und sich die letzten 25 Jahre extrem engagiert haben, sodass wir heute diese Debatte um eine zukunftsfähige Energieversorgung in Deutschland auf einem hohen Niveau führen können. Das haben wir auch diesen Menschen zu verdanken, die gesellschaftlich und auch binnenkirchlich in den letzten Jahren häufig eher an den Rand gedrängt wurden. Es ist außerdem nicht so, dass die ökologischen Krisen, die einzigen Krisen sind, mit denen wir uns konfrontiert sehen. Die globale Finanz- und Wirtschaftkrise scheint im Moment beinahe wieder vergessen, obwohl sämtliche Bemühungen der Rettung des Euro letztendlich darauf zurückzuführen sind. Insofern zeigt sich auch, und darauf hat auch Kardinal Marx bei der Frühjahrsversammlung der bayerischen Bischöfe hingewiesen, dass unser gesamtes derzeitiges Lebens- und Wirtschaftsmodell massiv in Frage gestellt wird. Das war zu Beginn des Jahrtausends etwas anders und ich glaube auch, dass aus diesem Grund die jetzigen Ereignisse nicht so schnell in Vergessenheit geraten werden. Anders als von Tschernobyl gibt es von Fukushima auch Bilder und diese Bilder haben sich global und unlöschbar ins kollektive Gedächtnis eingebrannt. Auch diese Bilder werden verhindern, dass es ein Zurückfallen in die Zeit vor Fukushima gibt. Kurzfristig wird sich nun zeigen, ob das von der Bundesregierung verkündete Moratorium wirklich ernst gemeint war, oder ob es Wahlkampftaktik der Bundesländer Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz war. Außerdem werden wir sehen, was die beiden eingesetzten Kommissionen für Ergebnisse bringen werden. In der so Ethikkommission sind auch prominente Kirchenvertreter vertreten, wie etwa Alois Glück, als Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken und Erzbischof Marx für die deutschen Bischöfe. Mittelfristig muss nun ein breiter gesellschaftlicher Diskurs geführt werden in welche Richtung wir gehen wollen. Die Politik muss demokratisch legitimiert werden und die Bevölkerung muss auf diesem Weg mitgenommen werden. Dieser Weg wird nicht umsonst zu haben sein. Es müssen entsprechende Anreize gegeben werden und Ansatzpunkte gibt es genug. Ansonsten ist zu sagen: Umwelt und Energiepolitik stehen erstaunlicherweise immer unter einem besonderen Rechtfertigungsdruck. Zudem sind die betroffenen Industrielobbys auch relativ stark. Man kann nur hoffen, dass die Welt es dieses Mal besser macht und tatsächlich jetzt aus den Ereignissen in Fukushima lernt.

(rv/muenchner kirchenradio 27.03.2011 mg)







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