„Vorhof der Völker“ in Paris gegründet – „Eigentlich geht es um den Menschen“
Mit einem Festakt
in Paris hat das Gespräch zwischen Katholiken und Nichtglaubenden neue Fahrt aufgenommen:
Am Donnerstag Abend hob der Päpstliche Kulturrat am Sitz der UNESCO die Stiftung „Vorhof
der Völker“ aus der Taufe. Kirchenleute, Politiker und Intellektuelle standen dabei
Pate. Der „Vorhof der Völker“ soll in den nächsten Jahren vor allem in den westlichen
Gesellschaften neu die Gottesfrage aufwerfen. Stefan Kempis war in Paris dabei.
„Auch
wenn ich die Prüfung mehrmals wiederholen musste, bis ich sie bestand – ich habe ein
Diplom in wissenschaftlichem Atheismus.“ Das erzählte der tschechische Diplomat
Pavel Fischer seinen Zuhörern bei der UNESCO. Damit hatte er zwar die Lacher auf seiner
Seite, aber sein Thema war eigentlich ernst: Fischer berichtete, wie er als gläubiger
Mensch die Schikanen eines atheistischen Regimes erlebte, damals in der Tschechoslowakei.
So war etwa sein Fortkommen in der Schule gefährdet, weil er als Einziger seiner Klasse
nicht bei den Jungen Kommunisten eingeschrieben war.
„In gewisser Weise
haben wir damals ohne Tempel gelebt – wir waren aus dem Tempel Vertriebene. Wir wohnten
im Vorhof der Völker und mussten uns mit den so genannten Heiden dort arrangieren.
Wir hatten keinen Bischof an der Spitze, sondern einen Parteisekretär, der die Kirche
kontrollierte – aber dieses Vakuum, dieser Verlust des Tempels, zwang uns, zusammen
mit den anderen zu marschieren und sensibel zu bleiben.“
Auch die UNESCO-Generalsekretärin
Irina Bukova erinnerte per Videobotschaft an ihre Vergangenheit hinter dem Eisernen
Vorhang, um zu bekräftigen, wie wichtig das Gespräch zwischen Glaubenden und Nichtglaubenden
auch heute sein kann. Dieser Dialog antworte auf die starke „anthropologische Krise“
der Menschheit in Zeiten der Globalisierung, formulierte der Schriftsteller und Philosoph
Fabrice Hadjadj, ein zum Christentum übergetretener Jude, prägnant wie kein anderer.
„Es
geht um nicht weniger als die Definition des Menschen – und damit auch um seine Zukunft.
Der Mensch als Mängelwesen sucht von Natur aus nach einem Sinn, der jenseits von ihm
liegt, aber wie kann er ihn erreichen? Durch die Kultur und die Offenheit zur Transzendenz,
oder aber durch Technik und Genmanipulation? Durch das Mysterium des Wortes, oder
durch den Willen zur Macht? Durch den Versuch, Probleme zu lösen, oder durch die Erkenntnis,
vor einem Mysterium zu stehen? Liegt die Größe des Menschen in der technischen Vereinfachung
des Lebens, ist er eine Art Super-Tier, das man technisch noch etwas verbessern muss…
oder liegt seine Größe nicht doch in seiner Zerrissenheit, in dieser Offenheit eines
Schreis zum Himmel hinauf?“
Auch die Politik braucht das Gespräch zwischen
Glaubenden und Nichtglaubenden, die ständige Selbstvergewisserung über Werte – das
betonte der frühere italienische Ministerpräsident Giuliano Amato. Er erinnerte an
das berühmte Diktum des früheren deutschen Bundesverfassungsrichters Ernst Böckenförde,
dass die Demokratie von Voraussetzungen lebt, die sie nicht selber schaffen kann:
„Die
Demokratie funktioniert nicht mehr, die Freiheit ist nicht mehr sie selbst, und wer
von außen auf unsere Gesellschaften blickt, hat Recht, wenn er uns für krank einstuft!
Wir müssen erst wieder neu lernen, dass Gut und Böse zwei verschiedene Dinge sind.
Wir müssen erst wieder lernen – erlauben Sie mir diese Bemerkung – dass der Unterschied
zwischen Freiheit und Prostitution ein sichtbarer, spürbarer sein muss! Oder dass
es ein gigantischer Unterschied ist, ob junge Leute sich durch ihre Kompetenz eine
Zukunft aufbauen können oder aber dies durch ihren Körper tun müssen. Wer aus Anatolien
zu uns kommt, hat keinen Grund, eine Gesellschaft zu achten, in der dieser Unterschied
nicht wirklich klar ist!“
Natürlich gab es beim Auftakt des „Vorhofs der
Völker“ auch einige Momente, in denen die größte Gefahr des anvisierten Dialogs aufschien,
nämlich die Beliebigkeit, die Folgenlosigkeit. So war noch keine Stunde vergangen,
da hatte eine Rednerin schon mehr Rechte für Frauen gefordert. Doch eigentlich gewann
das Gespräch zwischen Glaubenden und Nichtglaubenden überraschend schnell an Kontur.
„Fratello ateo, Bruder Atheist“, zitierte Kardinal Gianfranco Ravasi vom Päpstlichen
Kulturrat einen italienischen Dichter: „Du bist auf der Suche nach einem Gott, den
ich Dir nicht geben kann. Gehen wir zusammen!“
„Sprechen wir über das Geheimnis
des Seins – über das Geheimnis all dessen, was uns umgibt und was auch in uns ist!
Wittgenstein schreibt in einem seiner Traktate den Satz: Ich untersuchte die Umrisse
einer Insel – und entdeckte die Grenzen des Ozeans. Das heißt: Wenn jemand am Strand
entlanggeht und nur zu einer Seite schaut, sieht er nur Endliches, Begrenztes – die
Insel. Aber an diesen Strand schlagen die Wellen des Ozeans! Und auch dahin muss ich
schauen…“
An diesem Freitag läuft das Gespräch von Glaubenden und Nichtglaubenden
u.a. an der Pariser Sorbonne-Universität an: „Der Vatikan lädt sich selbst in die
Sorbonne ein“, titelte dazu boshaft der „Figaro“. Schon jetzt sei die Initiative „ein
deutlicher Erfolg“, schätzt die katholische Tageszeitung „La Croix“; die Kirche habe
gezeigt, dass sie zahlreiche Intellektuelle auch von außerhalb des heiligen Bezirks
zu mobilisieren wisse. „Aber“, so die Zeitung weiter, „auf der immensen Esplanade
des Tempels gibt es noch viele schattige Ecken, wo sich all die aufhalten, die sich
gar nicht trauen, die Gottesfrage aufzuwerfen.“ Und „La Croix“ verweist auf eine Umfrage,
nach der 55 Prozent der Franzosen erklären, es sei eigentlich zu schwierig, von Gott
zu sprechen.
Dieselbe Umfrage zeigt, dass die Franzosen ziemlich genau in
der Mitte geteilt sind in der Frage, ob die Dialog-Initiative des Vatikans eine gute
Sache ist: 48 Prozent sagen ja, 49 Prozent sagen nein. Interessant: Von den praktizierenden
Christen sprechen 92 Prozent von einer guten Initiative; bei den Nichtglaubenden sind
es hingegen nur 32 Prozent, die dieses Gespräch für nützlich halten.