Viel Aufmerksamkeit
hatte im ersten Band die Methode der Bibelauslegung erregt, derer sich der Papst bedient.
Da er sie auch im zweiten Band wieder benutzt, wollen wir noch einmal nachfragen,
was diese ‚Kanonische Exegese’ genau meint und kann. Pater Ansgar Wucherpfennig ist
Professor für Neues Testament in Frankfurt.
„Kanonische Exegese ist ein
Ausdruck, der etwa zwanzig bis dreißig Jahre alt ist und eine Schriftauslegung meint,
die die Schrift als Ganzes respektiert, im Unterschied dazu, dass ich einzelne Bücher
auslege. Das Alte Testament besteht ja aus 39 Büchern, das Neue Testament aus 27,
die alle einzelne Schriften sind und auch für sich ein Konzept haben. Ich könnte sie
lesen wie ein einzelnes Buch, wie ich Moby Dick lesen würde und auslegen könnte. Aber
ich kann sie eben auch als Gesamtes nehmen, d.h. die Schriften, die zusammen stehen
und dann eine Ordnung in der Bibel ergeben. Das meint Kanonische Exegese.“
Im
strengen Sinn gehe der Begriff der ‚Kanonischen Exegese’ sogar noch ein Stück weiter:
die Reihenfolge der Bücher - etwas, auf das die Autoren also keinen Einfluss hatten
- wird zum Ansatz für ihr theologisches Verständnis:
„Am Anfang stehen im
Neuen Testament die vier Evangelien, dann kommen die Apostelgeschichte und die paulinischen
Briefe, und am Ende kommt die Johannesoffenbarung, die ebenfalls die Form eines Briefes
hat. Diese Anordnung hat für sich schon einen Sinn. Am Anfang steht die Geschichte
Jesu, seine Botschaft vom Vater, ‚Kehrt um, bekehrt euch, denn das Reich Gottes ist
nahe!’. Das wird in den Briefen erklärt und bekommt dann noch einmal in dem letzten
Brief der Johannesoffenbarung einen Ausblick in die Zukunft. Durch diese Anordnung
dessen, was Jesus lehrt und was er getan hat, wird das gesamte Neue Testament und
sogar die gesamte Bibel zu einem Brief an jeden Leser, der sie heute liest.“