Europäischer Jesuiten-Flüchtlingsdienst: „Das jedenfalls sollte die EU jetzt nicht
tun!“
Angesichts der Umbrüche
in Nordafrika fordern christliche Hilfswerke und Kirchen humanitäre Lösungen für Flüchtlinge
aus der Region. Die EU-Flüchtlingspolitik brauche dringend eine Neuausrichtung, erklärte
die Deutsche Kommission „Justitia et Pax“ am Freitag in Bonn. Ihr Vorsitzender, Bischof
Stephan Ackermann, konstatierte der EU „Hilflosigkeit“ angesichts der Ereignisse in
Libyen – die Situation libyscher Flüchtlinge offenbare „einmal mehr die grundsätzlichen
Fehler der EU-Migrationspolitik“, so der Trierer Bischof. Zum Thema haben wir mit
dem Sprecher des Jesuitischen Flüchtlingsdienstes in Brüssel, Stefan Keßler, gesprochen.
Die Fragen stellte Anne Preckel.
Herr Keßler, derzeit ist ja vor allem Italien
unmittelbar vom Flüchtlingsstrom betroffen. Die EU-Innenminister haben den Exodus
Richtung Europa am Donnerstagabend in Brüssel zumindest schon als „europäisches Problem“
definiert – darauf hatten ja u.a. Kirchenvertreter wie der sizilianische Bischof Francesco
Montenegro gedrängt. Eine gemeinsame Aufnahmeregelung für die Flüchtlinge wurde in
Brüssel aber nicht erreicht…
„Die anderen Mitgliedsstaaten der EU sollten
schnell ein System in die Welt setzen, das es erlaubt, dass Flüchtlinge übernommen
werden aus Italien und dass die Asylverfahren oder eine andere Form von Identifizierung
potentieller Schutzsuchender in anderen Ländern der europäischen Union durchgeführt
werden.“
Bisher muss sich ja jedes EU-Land, in dem Flüchtlinge ankommen,
selbst um Asylverfahren und eine mögliche Aufnahme oder Abschiebung kümmern. Kann
dieses Verfahren denn angesichts der drohenden Flüchtlingswelle aus Nordafrika noch
aufrecht erhalten werden? „Die Lösung, die wir fordern, ist, dieses Verfahren
auszusetzen, weil die Grenzstaaten der EU damit überlastet sind. Es wäre also möglich,
auch das ist durch EU-Recht gedeckt, die Leute zumindest zeitweise auf die verschiedenen
Mitgliedsstaaten der EU zu verteilen.“ Die EU will ihr Asyl- und Einwanderungsrecht
ja schon lange vereinheitlichen. Bis 2012, so hört man, soll es ein europäisches Asylverfahren
geben. Halten Sie das für realistisch? Und könnte eine Neuregelung durch die Situation
in Nordafrika gar beschleunigt werden?
„Wir rechnen nicht damit, dass wir
im Jahre 2012 tatsächlich ein gemeinsames europäisches Asylsystem haben werden, das
den Namen tatsächlich auch verdient. Wir stehen einfach vor dem Problem, dass die
Mitgliedsstaaten fortschrittliche Vorschläge der europäischen Kommission zurückweisen
und damit das Harmonisierungsverfahren blockieren. Wir stehen auch vor dem Problem,
dass viele Mitgliedsstaaten nicht bereit sind, weitere Kompetenzen in diesem Bereich
an die Europäische Union abzugeben, so dass wir derzeit noch vor einem Flickenteppich
von verschiedenen Regelungen und Zuständigkeiten in den einzelnen Mitgliedsstaaten
stehen und noch weit davon entfernt sind, ein wirkliches europäisches System zu entwickeln.“
Schauen
wir uns jetzt mal das andere Ende des Flüchtlingsproblems an, nämlich die Ursachen
der Flucht. Was kann getan werden, um das Problem an der Wurzel zu packen und die
Menschen zum Bleiben in ihren Ländern zu bewegen? „Die Europäische Union muss
jetzt natürlich schnell handeln, um die demokratischen Entwicklungen in Nordafrika
zu unterstützen. Dafür gibt es die verschiedenen Methoden finanzieller Unterstützung
bis hin zu wirtschaftlichen Erleichterungen etc. Sie muss aber auch und vor allem
davon absehen, Diktaturen und autokratische Regimes weiter zu unterstützen. Wenn ich
also lese, dass sich eine Wirtschaftsdelegation der Europäischen Union in Syrien befindet
und Verhandlungen mit dem dortigen diktatorischen Regime führt, dann ist das genau
das Gegenteil von dem, was die EU jetzt tun sollte!“ Herr Keßler, vielen Dank
für das Gespräch.