2011-02-26 14:03:17

Europäischer Jesuiten-Flüchtlingsdienst: „Das jedenfalls sollte die EU jetzt nicht tun!“


RealAudioMP3 Angesichts der Umbrüche in Nordafrika fordern christliche Hilfswerke und Kirchen humanitäre Lösungen für Flüchtlinge aus der Region. Die EU-Flüchtlingspolitik brauche dringend eine Neuausrichtung, erklärte die Deutsche Kommission „Justitia et Pax“ am Freitag in Bonn. Ihr Vorsitzender, Bischof Stephan Ackermann, konstatierte der EU „Hilflosigkeit“ angesichts der Ereignisse in Libyen – die Situation libyscher Flüchtlinge offenbare „einmal mehr die grundsätzlichen Fehler der EU-Migrationspolitik“, so der Trierer Bischof. Zum Thema haben wir mit dem Sprecher des Jesuitischen Flüchtlingsdienstes in Brüssel, Stefan Keßler, gesprochen. Die Fragen stellte Anne Preckel.

Herr Keßler, derzeit ist ja vor allem Italien unmittelbar vom Flüchtlingsstrom betroffen. Die EU-Innenminister haben den Exodus Richtung Europa am Donnerstagabend in Brüssel zumindest schon als „europäisches Problem“ definiert – darauf hatten ja u.a. Kirchenvertreter wie der sizilianische Bischof Francesco Montenegro gedrängt. Eine gemeinsame Aufnahmeregelung für die Flüchtlinge wurde in Brüssel aber nicht erreicht…

„Die anderen Mitgliedsstaaten der EU sollten schnell ein System in die Welt setzen, das es erlaubt, dass Flüchtlinge übernommen werden aus Italien und dass die Asylverfahren oder eine andere Form von Identifizierung potentieller Schutzsuchender in anderen Ländern der europäischen Union durchgeführt werden.“

Bisher muss sich ja jedes EU-Land, in dem Flüchtlinge ankommen, selbst um Asylverfahren und eine mögliche Aufnahme oder Abschiebung kümmern. Kann dieses Verfahren denn angesichts der drohenden Flüchtlingswelle aus Nordafrika noch aufrecht erhalten werden?
„Die Lösung, die wir fordern, ist, dieses Verfahren auszusetzen, weil die Grenzstaaten der EU damit überlastet sind. Es wäre also möglich, auch das ist durch EU-Recht gedeckt, die Leute zumindest zeitweise auf die verschiedenen Mitgliedsstaaten der EU zu verteilen.“
Die EU will ihr Asyl- und Einwanderungsrecht ja schon lange vereinheitlichen. Bis 2012, so hört man, soll es ein europäisches Asylverfahren geben. Halten Sie das für realistisch? Und könnte eine Neuregelung durch die Situation in Nordafrika gar beschleunigt werden?

„Wir rechnen nicht damit, dass wir im Jahre 2012 tatsächlich ein gemeinsames europäisches Asylsystem haben werden, das den Namen tatsächlich auch verdient. Wir stehen einfach vor dem Problem, dass die Mitgliedsstaaten fortschrittliche Vorschläge der europäischen Kommission zurückweisen und damit das Harmonisierungsverfahren blockieren. Wir stehen auch vor dem Problem, dass viele Mitgliedsstaaten nicht bereit sind, weitere Kompetenzen in diesem Bereich an die Europäische Union abzugeben, so dass wir derzeit noch vor einem Flickenteppich von verschiedenen Regelungen und Zuständigkeiten in den einzelnen Mitgliedsstaaten stehen und noch weit davon entfernt sind, ein wirkliches europäisches System zu entwickeln.“

Schauen wir uns jetzt mal das andere Ende des Flüchtlingsproblems an, nämlich die Ursachen der Flucht. Was kann getan werden, um das Problem an der Wurzel zu packen und die Menschen zum Bleiben in ihren Ländern zu bewegen?
„Die Europäische Union muss jetzt natürlich schnell handeln, um die demokratischen Entwicklungen in Nordafrika zu unterstützen. Dafür gibt es die verschiedenen Methoden finanzieller Unterstützung bis hin zu wirtschaftlichen Erleichterungen etc. Sie muss aber auch und vor allem davon absehen, Diktaturen und autokratische Regimes weiter zu unterstützen. Wenn ich also lese, dass sich eine Wirtschaftsdelegation der Europäischen Union in Syrien befindet und Verhandlungen mit dem dortigen diktatorischen Regime führt, dann ist das genau das Gegenteil von dem, was die EU jetzt tun sollte!“
Herr Keßler, vielen Dank für das Gespräch.



(rv 26.02.2011 pr)







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