Schweizer Generalvikar zur Kirchensteuer: „Bürger ernst nehmen“
Er stand in den vergangen
Wochen in der Schweiz in den Schlagzeilen: der Generalvikar des Schweizer Bistums
Chur Martin Grichting. Zuerst ging es um seine mögliche Wahl zum Weihbischof und dann
um seine Aufforderung, in der Schweiz die Kirchensteuer abzuschaffen. Im Gespräch
mit Radio Vatikan erläutert Grichting seine Vorschläge:
„Der Ausgangspunkt
ist, dass wir in der Schweiz eine hohe Zahl von Kirchenaustritten haben, die das bisherige
System in Frage stellen und unterspülen. Die Frage ist: Will man warten, bis es einfach
zusammenbricht und dann die Trennung von Kirche und Staat kommt, sodass nur noch Spenden
für die Kirche übrig bleiben, oder will man einen Kompromiss vorschlagen, etwas, das
sich auch in anderen Ländern schon bewährt hat. Deshalb habe ich die Mandatssteuer
in die Diskussion gebracht, wie sie in Italien seit 20 Jahren erfolgreich praktiziert
wird.“
Es gab kaum einen Zeitungsartikel in der Schweiz über Martin Grichting,
der ohne das Wort „konservativ“ auskam. Er wird gerne als „Buhmann“ dargestellt. Doch
wie hat er selbst die Debatten über seine Person erlebt? Grichting:
„Ich
bin natürlich als einer bekannt, der dieses staatskirchenrechtliche System kritisiert
hat, das ist klar. Aber ich glaube, es ist mit der Lehre der Kirche über sich selbst
nicht vereinbar. Letztendlich hat man, anstatt über theologische Fragen zu diskutieren,
versucht, mich als Person zu eliminieren. Das ist natürlich keine zukunftsweisende
Lösung. Ich habe einen Weg gewählt, um die Sache in den Mittelpunkt der Diskussion
zu rücken – und nicht meine Person.“
Grichtings Idee ist also die Einführung
der Mandatssteuer. Das ist eine Steuer zu Gunsten von Religionsgemeinschaften oder
sozialen Zwecken. Sie existiert bislang in Spanien, Italien und Ungarn als Alternative
zur Kirchensteuer und ähnlichen Konzepten zur Kirchenfinanzierung.
„Die
Frage stößt auf riesiges Interesse, weil auch im Volk zu spüren ist, dass dieses System
nicht mehr wirklich gut abgestützt ist. Ich werde mich diesem Interesse auch künftig
stellen.“
Grichting hält das italienische Modell für auf die Schweiz übertragbar.
„Ich
denke schon, weil es den einzelnen Bürger sehr ernst nimmt. Er kann sich entscheiden.
Damit durchschneidet man auch dieses unselige Band zwischen Kirchenzugehörigkeit und
Zahlen. Das bereitet uns ja gerade große Probleme, dass die Leute entweder dabei sind
oder nicht. Wir wissen heute: Christ zu sein ist ein lebenslanger Prozess. Da gibt
es bei vielen Menschen mal mehr Nähe und mal mehr Distanz. Das ist nicht so einfach
wie ein Lichtschalter: Entweder ‘ein’ oder ‘aus’. Dadurch, dass das Mandatssteuermodell
ermöglicht, auf dem Steuerzettel ein Kreuzchen zu machen oder nicht, ist man nicht
entweder aus der Kirche ausgetreten oder nicht. Das kommt auch dem Menschen sehr entgegen.
Ich glaube schon, dass dieses Modell eine Chance hat in der Schweiz. Aber in der Schweiz
ist es ja bekanntlich so: Da muss etwas erst einmal vom Volk abgelehnt werden, bis
es sich dann mal irgendwann durchsetzt. Es ist mein Versuch, da eine Diskussion in
Gang zu bringen. Nur – heute oder morgen wird sich da noch nichts ändern.“
Auf
seine Ideen habe es sehr unterschiedliche Reaktionen gegeben, so Generalvikar Grichting:
„Bis
jetzt habe ich es als Diskussion unter Gelehrten erlebt. Die Idee ist nicht neu. Ich
selber habe in meiner Dissertation vor 13 Jahren dieses Modell einmal vorgestellt.
Wenn man es den Leuten auf der Straße, den Gläubigen, einmal erklärt, dann bekommt
man sehr viele gute Rückmeldungen, zum Beispiel: ‘O, das ist interessant, das ist
was Neues!’ Aber natürlich – die Funktionäre, die vom jetzigen System profitieren,
die sind alles andere als begeistert.“
Die Mandatssteuer könne die Bindung
der Gläubigen zur Kirche stärken, glaubt Grichting:
„Ich glaube, dass die
Kirche sich viel mehr auch um die Menschen bemühen müsste. Dadurch denke ich an eine
stärkere Bindung, weil man sich auch neben der Mandatssteuer um Spenden bemühen muss.
Das sieht man in Italien. Man müsste mehr tun für die Leute. Dadurch entstünde auch
mehr Nähe zu ihnen. In Italien funktioniert das genauso.“
Vorbild Italien? Bei
der obligatorischen Kirchensteuer in Italien – genannt „otto per mille“, also acht
Prozent bezogen auf die Bruttoeinkommenssteuer – kann der Steuerpflichtige auf der
Steuererklärung angeben, welcher Religionsgemeinschaft die Steuer zugute kommen soll
und ob sie sozialen Zwecken oder dem Staat zufließen soll. Dieses Modell besteht in
Italien seit 1990. Trifft der Steuerpflichtige keine Entscheidung, wird der Steuerbeitrag
in dem Verhältnis aufgeteilt, in dem sich die übrigen Steuerzahler für einen kirchlichen
oder anderen Verwendungszweck entschieden haben. Über die Höhe des Prozentsatzes sollen
Staat und Kirche in Italien alle drei Jahre beraten.