Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, hat
sich zum ersten Mal ausführlich zum Reform-Memorandum von Theologen geäußert. In einem
Beitrag für die „Welt am Sonntag“ antwortet er detailliert auf die Forderungen der
256 Theologieprofessoren, die weitaus meisten von ihnen aus dem deutschsprachigen
Raum.
Vieles an den derzeitigen Debatten sei „nicht einfach neu, manche Problemkreise
werden seit Jahrzehnten erörtert“, schreibt Zollitsch. „Wohl aber hat die Reformdiskussion
in den zurückliegenden Monaten eine neue Intensität erreicht. Diese Diskussionen zu
fürchten, besteht kein Grund.“ Er sehe allerdings „dringenden Anlass für die Frage,
ob in der notwendigen Auseinandersetzung über die künftige Gestalt der Kirche die
zentralen Probleme in ihrer Tiefe begriffen werden und die Grundperspektive für eine
Erneuerung der Kirche ausreichend bedacht wird“. Ähnlich hatte sich vor kurzem schon
der deutsche Kurienkardinal Walter Kasper geäußert. Letztlich müsse es darum gehen,
„wie die Frage nach Gott in unserer Gesellschaft wach gehalten und die christliche
Antwort überzeugend formuliert und vor allem gelebt werden kann“, so Zollitsch, der
Erzbischof von Freiburg ist. „Reformvorschläge ebenso wie das Beharren auf einer bestimmten
Praxis sind danach zu beurteilen, ob sie dieser Perspektive gerecht werden.“ Als
einen Grund für die abnehmende Attraktivität der Kirche sieht Zollitsch die sinkende
Bereitschaft, „religiöse Überzeugungen und Festlegungen einfach für die eigene Lebenspraxis
zu übernehmen“. Außerdem sei die Fähigkeit der Kirchen, den Glauben zu vermitteln,
rückläufig. Die „Tendenzen der Entfremdung“ seien nicht nur nach außen, „sondern auch
unter den Gläubigen selbst wirksam“. Aber eine Erneuerung der Kirche könne „nicht
in einer Anpassung an moderne Lebensverhältnisse und Selbstverständnisse bestehen“.
Dies wäre, so Erzbischof Zollitsch, „am Ende die Reduzierung auf das, was ohnehin
gemeint und geglaubt wird“. Eine „bloße Verweigerung gegenüber der Moderne und ihren
Herausforderungen“ komme aber auch nicht in Frage. Wörtlich schreibt der deutsche
Chef-Bischof: „Alle Reformen der Kirche müssen darauf gerichtet sein, die Kirche als
lebendigen Stein des Anstoßes, in dem das Skandalon Gottes seinen Ausdruck findet,
unverstellt in den Blick zu rücken.“ Dabei müssten aber die „hausgemachten Skandale
in der Kirche aus dem Weg“ geräumt werden, damit „die Sicht auf die eigentliche Herausforderung“
frei werde.
„ Darum setzten die Bischöfe jetzt auf einen innerkirchlichen
Dialog, zu dem alle eingeladen seien. „Der Dialog kann aber nur gelingen, wenn er
zu einem fundamental geistlichen Geschehen wird, in dem die Kirche sich neu ihrer
Mitte vergewissert. Es geht um Gott und seine Offenbarung in dieser Welt.“ Der von
den Bischöfen angestoßene Dialog stehe aber noch ganz am Anfang; da sei es „vielleicht
nicht vermeidbar, gewiss aber nicht hilfreich, dass derzeit in rascher Folge Forderungen
und Postulate auf den Markt geworfen werden – formuliert nach der Art von Mängellisten,
die möglichst rasch abgearbeitet werden müssten“. Damit zielt Zollitsch direkt auf
das Reformpapier der Theologen: „Bei allem Wohlwollen für die Autorinnen und Autoren:
Mag jemand im Ernst glauben, dass die Verwirklichung der hier aufgelisteten Reformforderungen
zur erwünschten Blüte von Glauben und Kirche führt?“ Es sei doch „mehr erforderlich
als ein kirchlicher Reparaturbetrieb, der an einigen Stellschrauben dreht, um so eine
bessere Kirche hervorzubringen“. Mit Blick auf den Zölibat warnt der Vorsitzende
der Deutschen Bischofskonferenz vor „kurzschlüssigem Denken und vermeintlich einfachen
Lösungen“: „Geht die Not der Berufungen nicht viel tiefer – nämlich bis hinunter auf
die Ebene der Suche des modernen Menschen nach Gott und einer Glaubensorientierung,
die ihn zugleich frei macht und ganz und gar fordert? Fällt nicht auf dieser tieferen
Ebene die Entscheidung, das ganze Leben als Priester in den besonderen Dienst Jesu
Christi zu stellen und dies auch durch die Übernahme des Zölibats zum Ausdruck zu
bringen?“ Wer in Sachen Zölibat für eine Änderung im Kirchenrecht eintrete, solle
„über den erhofften praktischen Nutzen hinaus auch theologisch argumentieren“, fordert
Zollitsch. Und weiter: „Er muss dann auch darüber Auskunft geben, ob und wie auch
nach einer Reform das für die kirchliche Identität wesentliche Charisma der Ehelosigkeit
– als ein Zeichen der radikalen Nachfolge und Christus-Zugehörigkeit – erhalten und
gestärkt werden kann.“ Allerdings hielten auch die Bischöfe Änderungen des kirchlichen
Lebens und der Strukturen für „möglich und sehr wohl nötig“. „Wer könnte bezweifeln,
dass sich die Bedingungen verändert haben und weiter verändern, unter denen sich lebendiges
Christsein zu bewähren hat?“ Vor allem der „vielerorts stattfindende Umbau der pastoralen
Strukturen“ lasse „die Gemeinden unübersichtlicher werden und verstärkt das Gefühl
des Unbehaustseins“. „Veränderungen sind also vonnöten, und sie sind in der katholischen
Kirche in Deutschland ja auch nichts Neues. Es hat in der jüngeren Vergangenheit manche
Änderungen gegeben, darunter auch tiefgreifende.“ Wer den deutschen Bischöfen da „generelle
Reformresistenz und Angststarre“ vorhalte, zeichne „eine Karikatur der tatsächlichen
Verhältnisse“. Genauso sei es falsch, den Papst als „großen Verhinderer oder Blockierer“
darzustellen. „Das päpstliche Amt hält über eine Milliarde Katholiken zusammen, ohne
doch eine sterile Uniformität zu verordnen. Die Balance muss immer wieder neu gefunden
werden.“ Auch in den „stürmischen Zeiten“, die die katholische Kirche derzeit
erlebe, sei „Ängstlichkeit ein schlechter Ratgeber“, glaubt Erzbischof Zollitsch:
„Nicht jede Änderungsidee unterläuft schon deshalb die kirchliche Einheit und die
Loyalität zum Papst, weil sie Neues beinhaltet. Nicht jeder Reformvorschlag betrifft
die gesamte Kirche in gleicher Weise. Wohl aber müssen sich Ideen im Ganzen des kirchlichen
Lebens bewähren und Akzeptanz finden.“ Es sei eine „Zeit der Ernsthaftigkeit und Demut
auf allen Seiten“: „Bitte keine falsche Apokalyptik!“ Herzblut dürfe ruhig fließen,
aber „Besserwisser“ seien jetzt „weniger gefragt“. „Ganz am Ende allerdings gilt,
dass nicht Menschen allein – nicht Bischöfe, nicht Theologen und nicht Laien – durch
ihre großen und kleinen Aktivitäten Sturm und Winden trotzen. Es ist Jesus Christus
selbst, der das Schifflein Kirche auf Kurs hält.“ (welt-online 20.02.2011 sk)