Arabien-Bischof: „Es gibt Hoffnungen und Befürchtungen“
Die Christen im arabischen
Raum sind bei den Protesten mehr Beobachter denn Protagonisten. Das sagt uns Bischof
Paul Hinder. Mario Galgano hat den Kapuzinerpater gefragt, wie die Gläubigen im arabischen
Raum die derzeitigen Umbrüche erleben. Hinder leitet das Apostolische Vikariat für
den arabischen Raum.
Die politischen Umstürze in Tunesien und Ägypten sowie
Unruhen in weiteren Staaten haben die Frage in den Vordergrund gerückt, ob nun bald
der ganze arabische Raum von einer Revolutionswelle erfasst wird. Wie erleben Sie
und die Christen in Ihrem Gebiet die sich vollziehenden Umbrüche dieser Tage?
„Das
kommt auf das entsprechende arabische Land an. Im Moment ist es zum Beispiel hier
im Oman recht ruhig. Ich weiß nicht, ob das so bleibt. Wäre ich jetzt in Bahrain,
wo ich auch hingehen muss, würde ich die Situation wohl anders erfahren. Ich habe
allerdings bei einem Telefongespräch mit einem Pfarrer in Bahrain gehört, dass es
sich in erster Linie um die Leute handelt, die Landesbürger sind. Also nicht um die
Christen. Die sind in diesen Prozess nicht mit einbezogen. Die haben ja auch kein
Demonstrationsrecht. Insofern stehen die Christen eigentlich eher als Zuschauer da,
obwohl natürlich die Konsequenzen des Umbruchs auch für die Christen erheblich sein
werden. Wir sollten uns keine Illusionen machen. Es kommt darauf an, wer am Schluss
die Oberhand gewinnt im betreffenden Land.“
Und wie denken Sie, wird es
am Schluss aussehen?
„Ich denke, wir dürfen nicht allzu rasche Resultate
erwarten. Umbrüche gibt es schon, aber dass sich das jetzt schnell stabilisiert, daran
glaube ich eigentlich nicht. Ich denke, dass das ein langfristiger Prozess ist, von
dem niemand weiß, wie er ausgeht.“
Sie sagten, die Christen hätten eher
einen Beobachterstatus...
„Für die Christen und nicht nur sie gilt: Gibt
es Hoffnungen, verbunden mit den aktuellen Entwicklungen vor Ort? Hoffnungen gibt
es sicher. Wenn jetzt die arabische Bevölkerung auf die Menschenrechte pocht, auf
mehr Teilhabe, dann erhoffen sich natürlich auch die Christen mehr Luft in Sachen
Religionsfreiheit. Insofern gibt es Hoffnungen, es gibt aber auch Befürchtungen. Je
nachdem wer die Oberhand gewinnt, kann es dann auch Rückschläge geben, dass die bereits
errungene relative Freiheit in einigen Staaten dann wieder beschränkt werden könnte.
Da leben wir im Moment einfach im Ungewissen.“
Sie leiten ein Bistum, das
den ganzen arabischen Raum abdeckt. Im Moment sind Sie auf Pastoralbesuch. Wen besuchen
Sie und was haben Sie bisher erlebt?
„Ich besuche ja jedes Jahr alle Reihen
im gesamten Bereich, der unter meiner Jurisdiktion ist. Im Moment hab ich den Zyklus
von 2011 hier im Sultanat von Oman begonnen. Ich bin momentan in der nördlichen Pfarrei
des Landes. Wir haben hier im Land vier Pfarreien. Ein solcher Besuch spielt sich
folgendermaßen ab, dass ich die Gottesdienste halte und bei allen Gottesdiensten auch
selbst predige. Auch in den größeren Pfarreien, wo es mehr Gottesdienste gibt am Freitag
oder Sonntag. Meistens ist auch die Firmung damit verbunden in den einzelnen Pfarreien.
Dann treffe ich den Pastoralrat, den Pfarreirat. Natürlich rede ich mit den Priestern,
die im Einsatz sind, dann mit den einzelnen Vertretern der Laien und der Gruppen,
die in den betreffenden Pfarreien existieren. Ich bemühe mich auch, dort wo es möglich
ist, Christen im Landesinneren zu besuchen, damit sie wenigstens ihre Sorgen dem Bischof
unterbreiten können. Oft sind das Christen, die 200 oder 300 Kilometer von der nächsten
Pfarrei entfernt leben. Das kann ich natürlich nicht bei allen machen, aber jedes
Jahr an einem anderen Ort mal eine solche Gruppe zu besuchen, ist sehr wichtig.“
Was
sind denn die größten Herausforderungen, mit denen Sie sich zurzeit auseinandersetzen?
„Wenn
ich auf unsere eigenen Leute schaue, gehört zu den Herausforderungen, wie die Pastoral
organisiert werden kann. Die Situation, dass wir zuwenig Platz haben, oft auch zuwenig
Personal, zuwenig Bewegungsfreiheit. Auch einzelne Personen selbst stecken in Schwierigkeiten.
In meinem Bereich zum Beispiel, wo sich die ökonomische Krise auswirkt mit allen Bedrohungen
für die Leute, die zum Teil ihre Arbeit verlieren oder Einbußen in ihrem Einkommen
erleben müssen. Dann ist eines der großen Themen nach wie vor, dass die Mehrheit unserer
Gläubigen getrennt ist von ihren Familien. Das hat Konsequenzen für ihr persönliches
Leben und ihre moralische Situation. Das beschäftigt uns in unserem pastoralen Alltag:
Wie können wir die Menschen, unsere Gläubigen, motivieren, ihrem Glauben treu zu bleiben?
Die Konkurrenz besteht da auch auf Seite der evangelikalen Kreise, die uns Leute abwerben,
weil wir unter den Muslimen nicht evangelisieren oder missionieren dürfen. Damit wenden
sie sich einer Mehrheitskonfession zu, wo es genügend Grund gibt auf Jagd zu gehen
in einem gewissen Sinn. Wir stoßen oft an die Grenzen, wenn ich die Möglichkeiten
sehe, die uns gegeben sind, von den Räumen her, von den Finanzen, von den Reisemöglichkeiten
usw.“
Diese Herausforderungen betreffen aber nicht nur die Christen im
arabischen Raum. Die Demonstranten protestieren ja vor allem, weil sie hungern oder
die Preise nicht bezahlen können.
„Ja. Es ist ja auch die Frage der Gefährdung.
Man muss sehr aufpassen. Zu Recht hat man in den vergangenen Wochen den Blick auf
die Christenverfolgung gerichtet, aber man muss das auch im weiteren Rahmen sehen.
Es werden ja nicht nur Christen verfolgt. Es wird rein statistisch mehr Blut von eigenen
Leuten vergossen innerhalb der Muslime, die Opfer von Terroranschlägen sind. Also
nicht der eingegrenzte Blick ausschließlich auf die Christen, obwohl das ein sehr
wichtiger Aspekt ist und wir das unmittelbarer spüren. Aber ich denke, es gehört auch
zur christlichen Wahrnehmung, dass wir nicht nur auf unsere eigene Gefährdung und
unsere eigenen Probleme schauen, sondern das Gesamte im Blick haben. Die Frage nach
Sicherheit und Frieden, die betrifft alle.“
Ist in einem solchen Kontext
der interreligiöse Dialog möglich? Ich nehme an, Sie unternehmen diesbezüglich Versuche?
„Ja,
sofern es die Möglichkeit gibt. Es besteht aber die Gefahr, dass der Dialog sich auf
einer höheren akademischen Ebene bewegt und dass da zu wenige Initiativen ergriffen
werden können. Es ist so, dass wir von unserer Seite her, von der Belastung der Leute
her oft keine Reserven mehr haben, dort mehr zu investieren, weil wir schon überfordert
sind von den Problemen im eigenen Raum. Das kann dann auch dazu führen, dass wir im
konkreten Alltag wenig Kontakt haben mit dem muslimischen Umfeld, wenn es ums Handeln
geht. Unsere Möglichkeiten sind eingeschränkt, weil wir ja nicht denselben Rechtsstatus
haben wie die Bürger und Bürgerinnen der betroffenen Länder.“
Gibt es etwas,
was Christen im Westen tun können, um Sie zu unterstützen?
„Man darf die
spirituelle, geistliche Unterstützung nicht unterschätzen. Darüber hinaus ist es wichtig,
dass die Leute, die Christen in anderen Teilen der Welt, sich informieren und nicht
nur Schlagwörtern aufsitzen. Sie sollten sich ein umfassendes eigenes Bild verschaffen
und bei aller Dramatik der Vorgänge nicht überreagieren. Es gibt Gebiete, da ist es
ruhig, da kann man auch hinreisen, womit auch Kontakte gepflegt werden, aber immer
mit dem nötigen Respekt vor der Situation im betreffenden Land. Es ist ein Unterschied,
ob man einen Trip in die Vereinigten Arabischen Emirate macht, wo es problemlos und
ruhig zugeht, oder ob jemand abenteuerlustig nach Jemen reisen möchte, wo Sicherheitsprobleme
auftreten. Nicht nur für diejenigen, die reisen, sondern auch für die Leute, die sie
dort kontaktieren. Ich habe konkret einzelnen Leuten abgeraten: Reist nicht unseren
Leuten nach im Land, auch wenn ihr eine gute Absicht habt, ihr gefährdet sie damit.
Also dass da mehr Gespür für die reale Situation der Leute da ist, die in diesen Ländern
leben. Man darf hier nicht nur vom Stillen der eigenen Neugier ausgehen, was natürlich
immer interessant ist für Leute, die gleichsam im sicheren Hafen von Europa sind,
da Informationen zu bekommen, die aber oft die Leute vor Ort in Bedrängnis bringen
können. Da wünsche ich mir Verständnis.“
Und von den Politikern? Was wünschen
Sie sich?
„Von der Politik wünsche ich mir, dass man glaubwürdig stützend
im Hintergrund steht und auch die Menschenrechte, inbegriffen die Religionsfreiheit,
anmahnt und die immer wieder zur Sprache bringt und nicht aus reiner Opportunität
in Schweigen verfällt, wenn es kritisch wird, aus Angst, wirtschaftliche Vorteile
aufs Spiel zu setzen.“
Was lernen wir von der Protestbewegung im arabischen
Raum?
„Ich denke, dass die Vorgänge etwas Positives haben, auch wenn wir
noch nicht wissen, wie es ausgeht. Aber es ist ein Erwachen im Gang und es zeigt,
dass im Untergrund auch in den Diktaturen das Volk nicht völlig untätig gewesen ist,
sondern einiges gelernt hat und nun versucht das zum Tragen zu bringen. Obwohl es
in solchen Ländern schwierig ist, einen revolutionären Prozess auf Anhieb im Gleichgewicht
zu vollziehen. Das war ja früher, im europäischen Umbruch, auch nicht der Fall. Das
macht das Ganze spannend und auch gefährlich. Aber es gibt hier keine Alternative,
als dass die Leute so gut es geht durch diesen Prozess hindurchgehen und ihn selbst
bewältigen müssen. Ich fürchte, dass die Weltmächte hier in einer Weise versucht sind
zu intervenieren, die nicht von Nutzen für die realen Vorgänge in den betreffenden
arabischen Ländern wäre.“