Weißrussland: Heilung nach „spirituellem Tschernobyl“
Die katholische Kirche
in Weißrussland hofft darauf, bald einen Grundlagenvertrag mit dem Staat abzuschließen
zu können. Das unterstreicht der Erzbischof von Minsk-Mohilew, Tadeusz Kondrusiewicz,
im Interview mit kathpress. Zwar sei ein solcher Vertrag eine Stufe tiefer als ein
Konkordat angesiedelt. Für Weißrusslands katholische Kirche wäre er aber dennoch schon
eine große Erleichterung, so Kondrusiewicz, der vor allem an die bisher eingeschränkten
Möglichkeiten der Seelsorge denkt.
„Wir haben bis jetzt zum Beispiel keine
Möglichkeit, unsere Priester zu den Streitkräften zu schicken. Weiter haben wir Angst,
Seelsorge im Krankenhaus zu betreiben. Es ist mit einigen Ausnahmen nahezu unmöglich,
in Krankenhäusern Kapellen einzurichten. Nur manchmal können wir kommen, und manchmal
laden sie uns auch ein, um dort die Messe zu halten.“
Ein anderes Problem
sei der fehlende Religionsunterricht in den Schulen, so der Erzbischof. Religiöse
Erziehung und Bildung finde derzeit in den Pfarreien statt; die orthodoxe und katholische
Kirche bemühten sich beide darum, sie auch in der Schule einzuführen. Allerdings fehle
es noch an entsprechenden Lehrern. Deshalb biete die Kirche in Minsk seit einem Jahr
einen entsprechenden Lehrgang über drei Jahre an, der derzeit von 57 jungen Männer
und Frauen besucht würde. Mit Blick auf die Vergangenheit spricht Kondrusiewicz von
einem „spirituellen Tschernobyl“ in der Ex-Sowjetrepublik:
„Wir haben hier
auch Tschernobyl erlebt – das „spirituelle Tschernobyl“ in Weißrussland und in der
Sowjetunion, 74 Jahre lang, also über drei Generationen. Diese Katastrophe zerstörte
die Religion, die Gesellschaft, eigentlich alles. Deshalb helfen heute die Kirchen,
viele davon aus Europa, die Wunden der Opfer dieses „spirituellen Tschernobyls“ zu
heilen. Wir brauchen das, um eine neue demokratische Gesellschaft aufzubauen, eine
Gesellschaft der Gerechtigkeit und des Friedens und des gegenseitigen Verständnisses,
eine Gesellschaft der Kooperation zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Kräften.“
Die
karitative Arbeit der Kirchen und Caritas in Weißrussland sei heute von den staatlichen
Stellen gern gesehen, erzählt der Erzbischof. Dazu brauche es aber auch mehr Mittel,
so der Erzbischof. Ein großes Hindernis sei etwa, dass in Weißrussland Spenden nicht
von der Steuer absetzbar seien. Die Kirche bemühe sich in diesem Punkt um gesetzliche
Änderungen und sei mit der Regierung im Gespräch. Auch im Gespräch sei man über
die Frage der Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis für ausländische Priester, die in
der Regel auf ein Jahr befristet sei. Man sei um heimischen Priesternachwuchs sehr
bemüht, sei aber noch stark auf ausländische Priester angewiesen:
„Es gibt
bei uns um die 460 Priester, zwei Drittel von ihnen sind Weißrussen, die anderen sind
Ausländer, hauptsächlich Polen, einige Deutsche. Vor 20 Jahren gab es nur 50 weißrussische
Priester, nun haben wir 290 weißrussische Priester, ihre Zahl steigt also. Und das
ist wichtig für uns, denn – wie jeder weiß – können wir die Probleme unseres Landes
nur lösen, wenn wir eigene Priester haben. Für die ausländischen Priester brauchen
wir normalerweise Visa. Vor ein Paar Jahren gab es Probleme mit dem Visa, einige Priester
wurden aus Weißrussland abgeschoben. Aber heute versuchen wir, mit der offiziellen
Seite einen Dialog zu führen. So wird im Moment niemand des Landes verwiesen, und
auch im letzten Jahr wurde kein Visa abgelehnt.“
Um einen Grundlagenvertrag
zwischen dem Heiligen Stuhl und Weißrussland bemüht sich Weißrusslands katholische
Kirche schon seit 2007. Staatspräsident Alexander Lukaschenko hatte dazu im Juni 2008
mit Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone in Minsk Verhandlungen vereinbart. – Die
römisch-katholische Kirche hat in Weißrussland seit dem Ende der Sowjetunion 1991
einen starken Aufschwung erlebt. Nach der ebenfalls wiedererstarkten weißrussisch-orthodoxen
Kirche, die zum Patriarchat von Moskau gehört, ist sie die zweitgrößte Konfession
in der Ex-Sowjetrepublik. Erzbischof Kondrusiewicz wirkte nach der Wende von 1991
bis zur Rückkehr in seine Heimat Weißrussland als Erzbischof in Moskau. Dort organisierte
er den Wiederaufbau der katholischen Kirche - wie bereits von 1989 bis 1991 als Apostolischer
Administrator in Minsk.