2011-01-28 08:59:08

Französischer Bischof zu Tunesien: „Dadurch gibt Christus uns Zeichen“


RealAudioMP3 Die friedlichen Umwälzungen in Tunesien werden in diesen Wochen vor allem von den Franzosen, der früheren Kolonialmacht, sehr aufmerksam verfolgt. Das gilt auch für Jean-Luc Brunin: Der aus Lille stammende Franzose ist Bischof auf Korsika. Und er lädt in diesen Tagen in einem Aufsatz für eine Kirchenzeitschrift dazu ein, Tunesien durch eine christliche Brille zu sehen:

„Ich finde, wir als Christen sollten immer versuchen, hinter dem bloßen Geschehen mehr zu erkennen und nicht alles immer durch ein soziologisch-geopolitisches Prisma zu betrachten. Hinter den Ereignissen in Tunesien, denen wir uns nahe fühlen, können wir Christen doch entziffern, was der Herr uns sagen will… Der Geist wirkt ja in den Herzen aller Menschen, und was in Tunesien geschieht, geht uns Christen in unserem Glauben etwas an.“

Brunin ist auf Korsika Bischof von Ajaccio, auch bekannt als Geburtsort von Napoleon Bonaparte. Einer seiner Bischofs-Vorgänger, André Collini, ist in Tunis geboren worden; das verbindet Korsika und Tunesien, wie überhaupt die Zugehörigkeit zum französisch geprägten Mittelmeerraum. Und so liest der Bischof die Ereignisse auf dem anderen Ufer des Mittelmeers:

„Alles ging ja in Tunesien vom tragischen Tod eines 26-jährigen Mannes aus: Mohamed (Bouazizi), ein Arbeitsloser, der als Obst- und Gemüseverkäufer überlebte. Als sein Stand von der Polizei beschlagnahmt wurde, hat er sich selbst angezündet – eine Wahnsinns-Geste. Man kann es zwar nicht gutheißen, dass da jemand seinem Leben selbst ein Ende zu setzen versuchte, aber daraus hervorgegangen ist dann ein Aufstand für das Leben. Für einen Christen gibt es da Anklänge an das Ostergeheimnis: Sterben, um zu leben. Das Leben geben, damit andere das Leben haben. Das rührt an das Wesentliche der christlichen Existenz. Das steht für mich an der Wurzel dieser wunderbaren Bewegung für die Freiheit und für das Leben. Was das Konzil gelehrt hat, ist also nicht nur Theorie: Wir entdecken, dass der Heilige Geist diesem Mohamed in der Erfahrung, die er machte, die Möglichkeit gegeben hat, mit dem Ostergeheimnis Christi assoziiert zu werden!“

Auf Korsika, das ja zu Frankreich gehört, kommt es immer wieder mal zu Bomben- und Brandanschlägen von Sezessionisten. Bischof Brunin aus der Napoleon-Stadt findet, die Korsen könnten etwas von den Tunesiern lernen:

„Was mich frappiert hat, ist diese Weigerung, auf die Gewalt mit Gegengewalt zu antworten. Unter den Leuten, die für Freiheit und Recht auf würdiges Leben, für einen Arbeitsplatz und dafür demonstriert haben, dass sie ihre Familien ernähren können, waren Arbeiter, Studenten, Beamte, Anwälte, Lehrer – dieses ganze Volk ist auf die Straße gegangen und hat dabei das eigene Leben aufs Spiel gesetzt, denn man wusste ja, dass die Polizei womöglich schießen würde und dass es schon Tote gab. Sie aber haben entschieden, sich nicht auf eine Spirale der Gewalt einzulassen – und als Christ finde ich, dass uns das an die Haltung Christi erinnert. Auch Christus hat angesichts der entfesselten Gewalt entschieden, nicht mit gleicher Münze heimzuzahlen, und hat dieser Gewalt vielmehr widerstanden.“

Fazit von Bischof Brunin mit Blick auf Tunesien:

„Wir sind eine einzige Menschheitsfamilie, wir haben ein gemeinsames Schicksal. Ich glaube, dass der Geist Christi der Menschheit durch das, was das tunesische Volk erlebt, Zeichen gibt, um den Weg in die Zukunft wiederzufinden.“

Bischof Brunin ist nicht der einzige, der sich durch die Vorgänge in Tunesien an Christus erinnert fühlt. „Ein Blick auf die Ereignisse lässt im Selbstopferungsakt von Mohamed Bouazizi auf islamischem Boden eine Gegenfigur zum Selbstopfer des Kamikaze erkennen, die fast Züge des christlichen Erlösungsmodells trägt“: Das schreibt der in Paris lebende tunesische Schriftsteller Abdelwahab Meddeb. „Über seine arabische Breitenwirkung und seine afrikanische Schocktiefe hinaus“ habe die Tat des Mohamed Bouazizi „universale Dimension“.

(rv/faz 28.01.2011 sk)








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