Französischer Bischof zu Tunesien: „Dadurch gibt Christus uns Zeichen“
Die friedlichen Umwälzungen
in Tunesien werden in diesen Wochen vor allem von den Franzosen, der früheren Kolonialmacht,
sehr aufmerksam verfolgt. Das gilt auch für Jean-Luc Brunin: Der aus Lille stammende
Franzose ist Bischof auf Korsika. Und er lädt in diesen Tagen in einem Aufsatz für
eine Kirchenzeitschrift dazu ein, Tunesien durch eine christliche Brille zu sehen:
„Ich
finde, wir als Christen sollten immer versuchen, hinter dem bloßen Geschehen mehr
zu erkennen und nicht alles immer durch ein soziologisch-geopolitisches Prisma zu
betrachten. Hinter den Ereignissen in Tunesien, denen wir uns nahe fühlen, können
wir Christen doch entziffern, was der Herr uns sagen will… Der Geist wirkt ja in den
Herzen aller Menschen, und was in Tunesien geschieht, geht uns Christen in unserem
Glauben etwas an.“
Brunin ist auf Korsika Bischof von Ajaccio, auch bekannt
als Geburtsort von Napoleon Bonaparte. Einer seiner Bischofs-Vorgänger, André Collini,
ist in Tunis geboren worden; das verbindet Korsika und Tunesien, wie überhaupt die
Zugehörigkeit zum französisch geprägten Mittelmeerraum. Und so liest der Bischof die
Ereignisse auf dem anderen Ufer des Mittelmeers:
„Alles ging ja in Tunesien
vom tragischen Tod eines 26-jährigen Mannes aus: Mohamed (Bouazizi), ein Arbeitsloser,
der als Obst- und Gemüseverkäufer überlebte. Als sein Stand von der Polizei beschlagnahmt
wurde, hat er sich selbst angezündet – eine Wahnsinns-Geste. Man kann es zwar nicht
gutheißen, dass da jemand seinem Leben selbst ein Ende zu setzen versuchte, aber daraus
hervorgegangen ist dann ein Aufstand für das Leben. Für einen Christen gibt es da
Anklänge an das Ostergeheimnis: Sterben, um zu leben. Das Leben geben, damit andere
das Leben haben. Das rührt an das Wesentliche der christlichen Existenz. Das steht
für mich an der Wurzel dieser wunderbaren Bewegung für die Freiheit und für das Leben.
Was das Konzil gelehrt hat, ist also nicht nur Theorie: Wir entdecken, dass der Heilige
Geist diesem Mohamed in der Erfahrung, die er machte, die Möglichkeit gegeben hat,
mit dem Ostergeheimnis Christi assoziiert zu werden!“
Auf Korsika, das
ja zu Frankreich gehört, kommt es immer wieder mal zu Bomben- und Brandanschlägen
von Sezessionisten. Bischof Brunin aus der Napoleon-Stadt findet, die Korsen könnten
etwas von den Tunesiern lernen:
„Was mich frappiert hat, ist diese Weigerung,
auf die Gewalt mit Gegengewalt zu antworten. Unter den Leuten, die für Freiheit und
Recht auf würdiges Leben, für einen Arbeitsplatz und dafür demonstriert haben, dass
sie ihre Familien ernähren können, waren Arbeiter, Studenten, Beamte, Anwälte, Lehrer
– dieses ganze Volk ist auf die Straße gegangen und hat dabei das eigene Leben aufs
Spiel gesetzt, denn man wusste ja, dass die Polizei womöglich schießen würde und dass
es schon Tote gab. Sie aber haben entschieden, sich nicht auf eine Spirale der Gewalt
einzulassen – und als Christ finde ich, dass uns das an die Haltung Christi erinnert.
Auch Christus hat angesichts der entfesselten Gewalt entschieden, nicht mit gleicher
Münze heimzuzahlen, und hat dieser Gewalt vielmehr widerstanden.“
Fazit
von Bischof Brunin mit Blick auf Tunesien:
„Wir sind eine einzige Menschheitsfamilie,
wir haben ein gemeinsames Schicksal. Ich glaube, dass der Geist Christi der Menschheit
durch das, was das tunesische Volk erlebt, Zeichen gibt, um den Weg in die Zukunft
wiederzufinden.“
Bischof Brunin ist nicht der einzige, der sich durch die
Vorgänge in Tunesien an Christus erinnert fühlt. „Ein Blick auf die Ereignisse lässt
im Selbstopferungsakt von Mohamed Bouazizi auf islamischem Boden eine Gegenfigur zum
Selbstopfer des Kamikaze erkennen, die fast Züge des christlichen Erlösungsmodells
trägt“: Das schreibt der in Paris lebende tunesische Schriftsteller Abdelwahab Meddeb.
„Über seine arabische Breitenwirkung und seine afrikanische Schocktiefe hinaus“ habe
die Tat des Mohamed Bouazizi „universale Dimension“.