Die katholische Kirche in Weißrussland will sich angesichts der angespannten Lage
in dem Land nicht instrumentalisieren lassen; das erklärt möglicherweise ihre Zurückhaltung
im Kontext des harten Vorgehens der Regierung gegen Oppositionelle nach den letzten
Präsidentschaftswahlen. Zu dieser Einschätzung kommt im Gespräch mit Radio Vatikan
Martin Lenz vom katholischen Osteuropahilfswerk Renovabis. Der katholische Erzbischof
von Minsk, Tadeusz Kondrusiewicz, sei mit Präsident Lukaschenko am 28. Dezember zusammengetroffen,
erzählt Lenz, und da gab es ein interessantes Detail:
„Man hat sich dort
gegenseitig relativ freundlich zu Weihnachten Grüße überbracht. Aber ich denke, es
ist auch eine Aussage, dass bei dieser Gelegenheit nicht gratuliert wurde. Die römisch-katholische
Kirche in Weißrussland versucht, sich nicht politisieren zu lassen. Natürlich ist
man als Großinstitution im Lande auf eine Kooperation mit dem Staat angewiesen, aber
gleichzeitig möchte man nicht parteipolitisch irgendwo in die Vorgänge involviert
werden. Gleichwohl ist natürlich schon die Einstellung der Kirche insgesamt, dass
man Bürgerbeteiligung und natürlich die Wahrung der Menschenrechte als unumgänglich
ansehen würde.“
Die römisch-katholische Kirche Weißrusslands verhalte sich
wohl auch deshalb vorsichtig, weil sie ihre in den letzten Jahren mühsam errungene
Stellung nicht gefährden wolle, vermutet Lenz:
„Die katholische Kirche
in Weißrussland wurde über lange, lange Zeit als eine sehr stark polnische Kirche
wahrgenommen, vom Staat, aber auch von einem Großteil der Bevölkerung. Erst nach und
nach ist es auch gelungen zu zeigen: Nein, die katholische Kirche ist hier eine eigene
Institution. Und dieses vorsichtige Vorgehen ist natürlich auch dem geschuldet, dass
man das auf keinen Fall gefährden will, was man bisher erreicht hat. Ein Großteil
der pastoralen Mitarbeiter kommt aus dem Ausland und aus Polen; sie brauchen regelmäßig
ein neues Visum und eine neue Aufenthaltsgenehmigung für ihre Arbeit im Land.“
Gewalttätige
Niederschlagung der Opposition Nach der Bestätigung von Präsident Aleksandr
Lukaschenko im Amt kam es in Minsk zu Demonstrationen der Opposition. Sie wirft dem
Präsidenten Wahlfälschung vor. Die Präsidentschaftswahl sei nicht durchgehend durch
internationale Wahlbeobachter beobachtet worden, so Lenz dazu. Der Staat habe darauf
gedrängt, die Wahl vorzuziehen, was in Weißrussland möglich ist. So hätten viele Wähler
ihre Stimmen schon vor dem Wahltermin am 19. Dezember abgegeben. Lenz:
„Rund
25-30% der Leute haben das so gemacht, zum Teil unter nicht geringem Druck. Also gerade
Soldaten, Studenten, Rentner wurden dazu recht massiv gedrängt, ihre Stimmen abzugeben.
Und diese Stimmabgabe wurde nicht durch die Wahlbeobachter überwacht, die Wahlbeobachtung
durch internationale Kommissionen fand nur am 19.12.2010 statt. Und dazu gab es unterschiedliche
Meinungen. Die OSZE, deren Büro in Weißrussland geschlossen werden soll, meinte, dass
starke Defizite festzustellen waren. Die Wahlbeobachter der GUS haben gesagt, so schlecht
war das Ganze gar nicht. Ich persönlich denke, es waren mit Sicherheit keine demokratischen
Wahlen.“
Trotz Verbot durch die Regierung habe es am Wahltag in Minsk eine
Großdemonstration gegeben. Rund 20.000 Teilnehmer, darunter viele Oppositionelle,
forderten eine Wiederholung der Wahl. Dass es dabei von Seiten der Demonstrierenden
zu Ausschreitungen gekommen sei, wie es die weißrussische Regierung behauptet, konnte
bisher nicht bestätigt werden. Von den Behörden, die mit teilweise massiver Gewalt
vorgingen, seien allerdings bis zu 600 Oppositionelle und Regierungsgegner verhaftet
worden, so Lenz. Darunter befanden sich auch einige Präsidentschaftskandidaten. In
den letzten Tagen gebe es vor allem Probleme mit Zensur der Medien, so Lenz:
„Nach
meinen Informationen ist die Mehrzahl der am 19. verhafteten Personen wieder frei
gelassen worden. Was jetzt in den letzten zwei Tagen ziemlich massiv ist, ist der
Druck der Sicherheitsorgane in Weißrussland auf Berichterstatter. Die wurden relativ
stark bedrängt. Es wurden Durchsuchungen in Privatwohnungen, in Redaktionen vorgenommen,
Telefonanschlüsse und Internetanschlüsse blockiert.“
Lukaschenko hat
vor allem bei Landbevölkerung Rückhalt In Untersuchungshaft sitzen nach Medienangaben
zum Beispiel der Oppositionsführer und Präsidentschaftskandidat Andrej Sannikow sowie
dessen Frau, die Journalistin Irina Chalip. Ihnen wird Anstiftung zum Aufruhr vorgeworfen,
was in Weißrussland mit bis zu 15 Jahren Haft bestraft wird. Lukaschenko habe vor
allem in der ländlichen Bevölkerung und bei den älteren Menschen Rückhalt, so Lenz.
Ihnen vermittle der autoritäre Politiker „Sicherheit“ und Stabilität, so Lenz, zum
Beispiel bezüglich der Verhandlungen mit Russland über Erdgaspreise und Zollbestimmungen.
Ohne Subventionen hätte es das wirtschaftlich schwache Land schwer, so der Beobachter:
„Die sehen auch, wie die Situation z.B. in den umliegenden Ländern ist
in Russland und der Ukraine, dass es dort zu Versorgungsengpässen kommt usw., dass
die Renten nicht mehr pünktlich ausgezahlt werden. Und in Weißrussland hat man eine
zwar sehr vom Standard her niedrig angesetzte, aber doch gewährte Sicherheit, leben
zu können. Und so hat Lukaschenko eine recht große Unterstützung in der Bevölkerung.
Die Vorwürfe der Manipulation der Wahl treffen wahrscheinlich zu, weil die jüngere
Stadtbevölkerung sich mit der politischen Ausrichtung, dem Lavieren zwischen Russland
und Europa, die Lukaschenko hat, nicht mehr einverstanden erklärt.“ Der Großteil
der weißrussischen Bevölkerung habe aber von den Zwischenfällen am Wahltag in Minsk
vermutlich gar nichts mitbekommen, meint Lenz: „Auch innerhalb des Landes wurde
natürlich nicht sehr stark darüber berichtet, sondern die Berichterstattung war sehr
tendenziös und eingeschränkt. Nach den Erfahrungen auch der letzten Wahlen ist es
sehr stark anzunehmen, dass jetzt versucht wird, die ganze Sache mit einem gehörigen
Druck fortzuführen, aber immerhin die Situation auch wieder zu beruhigen. Und dann
wird aller Voraussicht nach einfach versucht werden, so weiter zu regieren, in einem
präsidential-autoritären Stil wie bislang.“ Präsident Lukaschenko ist seit
1994 im Amt. Schon seine Teilnahme an den Präsidentschaftswahlen 2006 war umstritten,
da sie der früheren weißrussischen Verfassung widersprach. Wegen Unterdrückung der
Opposition hatte die EU bereits damals Sanktionen gegen die Führung in Minsk verhängt.
Per Referendum hatte Lukaschenko im Oktober 2004 die Verfassung so ändern lassen,
dass für ihn keine Beschränkungen der Amtszeiten mehr galt. Derzeit sind wieder neue
Sanktionen für Weißrussland im Gespräch.