Papst Benedikt XVI. hat an diesem Montag das beim Heiligen Stuhl akkreditierte Diplomatische
Corps in Audienz empfangen. Wir dokumentieren hier den offiziellen deutschen Text
seiner großen Neujahrsansprache.
Exzellenzen! Sehr geehrte Damen und Herren!
Mit
Freude heiße ich Sie zu dieser Begegnung hier willkommen, die Sie, verehrte Vertreter
so zahlreicher Länder, alljährlich um den Nachfolger Petri versammelt. Dieser Begegnung
kommt eine hohe Bedeutung zu, denn sie ist ein Bild und zugleich eine Veranschaulichung
der Rolle der Kirche und des Heiligen Stuhls in der internationalen Gemeinschaft.
An jeden von Ihnen richte ich herzliche Grüße und Glückwünsche, besonders an jene,
die zum ersten Mal hier sind. Ich bin Ihnen dankbar für das Engagement und die Aufmerksamkeit,
mit denen Sie in der Ausübung Ihrer anspruchsvollen Aufgaben meine Tätigkeiten, die
der Römischen Kurie und so in gewisser Weise das Leben der katholischen Kirche überall
in der Welt verfolgen. Ihr Doyen, Botschafter Alejandro Valladares Lanza, hat Ihre
Empfindungen zur Sprache gebracht, und ich danke ihm für die guten Wünsche, die er
im Namen aller übermittelt hat. Da ich weiß, wie sehr Ihre Gemeinschaft in sich geeint
ist, bin ich sicher, daß in Ihren Gedanken heute die Botschafterin des Königreichs
der Niederlande, Baronin van Lynden-Leijten, gegenwärtig ist, die vor einigen Wochen
ins Haus des Ewigen Vaters heimgekehrt ist. Im Gebet schließe ich mich Ihren Gefühlen
an.
Während nun ein neues Jahr beginnt, hallt in unseren Herzen und
in der ganzen Welt noch das Echo der freudigen Botschaft nach, die vor zweitausend
Jahren in der Nacht von Bethlehem erschallt ist, in jener Nacht, die die Situation
der Menschheit in ihrem Bedürfnis nach Licht, Liebe und Frieden symbolisiert. Den
Menschen von damals wie denen von heute haben die himmlischen Heerscharen die gute
Nachricht von der Ankunft des Heilands gebracht: „Das Volk, das im Dunkel lebt, sieht
ein helles Licht; über denen, die im Land der Finsternis wohnen, strahlt ein Licht
auf“ (Jes 9,1). Das Geheimnis des Sohnes Gottes, der zum Menschensohn wird, übersteigt
gewiß alle menschliche Erwartung. An keinerlei Vorleistung gebunden, ist dieses Heilsgeschehen
die authentische und erschöpfende Antwort auf das tiefste Sehen des Herzens. Was jeder
Mensch bewußt oder unbewußt sucht – die Wahrheit, das Gute, das Glück, das Leben in
Fülle –, wird ihm von Gott geschenkt. Im Streben nach diesen Gaben ist jeder Mensch
auf der Suche nach Gott, weil „nur Gott auf das Verlangen antwortet, das im Herzen
eines jeden Menschen wohnt“ (Nachsynodales Apostolisches Schreiben Verbum Domini,
Nr. 23). In ihrer gesamten Geschichte zeigt die Menschheit durch ihre Glaubensanschauungen
und ihre Riten ein unablässiges Suchen nach Gott, und „diese Ausdrucksweisen … sind
so allgemein vorhanden, daß man den Menschen als ein religiöses Wesen bezeichnen kann“
(Katechismus der katholischen Kirche, Nr. 28). Die religiöse Dimension ist ein unleugbares
und unbezwingliches Merkmal des menschlichen Seins und Handelns, sie ist der Maßstab
für die Verwirklichung seiner Bestimmung und für den Aufbau der Gemeinschaft, der
er angehört. Wenn der einzelne selbst oder seine Umgebung diesen fundamentalen Aspekt
vernachlässigt oder leugnet, bilden sich folglich Unausgeglichenheiten und Konflikte
auf allen Ebenen, sowohl im persönlichen als auch im zwischenmenschlichen Bereich.
In
dieser ersten und fundamentalen Wahrheit liegt der Grund, warum ich in der diesjährigen
Botschaft zum Weltfriedenstag die Religionsfreiheit als den grundlegenden Weg für
den Aufbau des Friedens bezeichnet habe. Tatsächlich wird der Friede nur dann geschaffen
und erhalten, wenn der Mensch Gott in seinem Herzen, in seinem Leben und in seinen
Beziehungen zu den anderen in Freiheit suchen und ihm dienen kann.
Meine
Damen und Herren Botschafter, Ihre Anwesenheit bei diesem festlichen Anlaß ist eine
Einladung, den Blick über all die Länder schweifen zu lassen, die Sie vertreten, und
über die ganze Welt. Gibt es in diesem Panorama nicht zahlreiche Situationen, in denen
leider das Recht auf die Religionsfreiheit verletzt oder geleugnet wird? Dieses Recht
des Menschen, das in Wirklichkeit das erste der Rechte ist, weil es – geschichtlich
gesehen – als erstes bestätigt wurde, und das andererseits die grundlegende Dimension
des Menschen angeht, nämlich sein Verhältnis zu seinem Schöpfer, wird es nicht allzu
oft in Frage gestellt oder verletzt? Mir scheint, daß die Gesellschaft, ihre Verantwortlichen
und die öffentliche Meinung sich heute mehr, wenn auch nicht immer in rechter Weise,
dieser schweren Verwundung bewußt wird, die der Würde und der Freiheit des homo religiosus
zugefügt wird und auf die ich immer wieder allgemein aufmerksam machen wollte.
Dies
habe ich auf meinen Apostolischen Reisen im vergangenen Jahr nach Malta und Portugal,
nach Zypern, in das Vereinigte Königreich und nach Spanien getan. Unabhängig vom unterschiedlichen
Charakter dieser Länder erinnere ich mich voller Dankbarkeit an sie alle wegen des
Empfangs, den sie mir bereitet haben. Die Sonderversammlung der Bischofssynode für
den Nahen Osten, die im Monat Oktober im Vatikan stattfand, war ein Moment des Gebetes
und der Besinnung, in dem die Gedanken nachdrücklich zu den christlichen Gemeinschaften
dieser Weltregion gingen, die wegen ihrer Zugehörigkeit zu Christus und zur Kirche
so viel durchmachen müssen.
Ja, im Blick auf den Orient haben uns die
Attentate zutiefst betrübt, die unter den Christen des Irak Tod, Schmerz und Verzweiflung
gesät haben und sie sogar veranlassen, das Land zu verlassen, wo ihre Väter jahrhundertelang
gelebt haben. Ich wiederhole meinen besorgten Appell an die Verantwortungsträger dieses
Landes und an die islamischen Religionsführer, sich dafür einzusetzen, daß ihre christlichen
Mitbürger in Frieden leben und weiterhin ihren Beitrag zu der Gesellschaft leisten
können, deren vollgültige Mitglieder sie sind. Auch in Ägypten, in Alexandrien, hat
der Terrorismus Gläubige beim Gebet in einer Kirche brutal getroffen. Diese Folge
von Angriffen ist ein weiteres Zeichen für die dringende Notwendigkeit, daß die Regierungen
der Region trotz der Schwierigkeiten und der Drohungen wirksame Maßnahmen zum Schutz
der religiösen Minderheiten ergreifen. Muß es noch einmal gesagt werden? „Die Christen“
im Nahen Osten „sind ursprüngliche und vollwertige Bürger, die loyal zu ihrer Heimat
und zu allen ihren staatsbürgerlichen Pflichten stehen. Es versteht sich von selbst,
daß sie alle Rechte der Staatsbürgerschaft, der Gewissens- und Religionsfreiheit,
der Freiheit im Erziehungs- und Bildungswesen sowie beim Gebrauch der sozialen Kommunikationsmittel
in Anspruch nehmen können“ (Botschaft der Sonderversammlung der Bischofssynode für
den Nahen Osten an das Volk Gottes, Nr. 10). In dieser Hinsicht schätze ich die Aufmerksamkeit
für die Rechte der Schwächsten und den politischen Weitblick, den manche Länder Europas
in den letzten Tagen bewiesen haben, indem sie eine konzertierte Antwort der Europäischen
Union zum Schutz der Christen im Nahen Osten forderten. Ich möchte schließlich daran
erinnern, daß das Recht auf Religionsfreiheit dort keine volle Anwendung findet, wo
nur die Kultusfreiheit, noch dazu mit Einschränkungen, gewährleistet wird. Ferner
lade ich ein, die umfassende Wahrung der Religionsfreiheit und der anderen Menschenrechte
durch Programme zu begleiten, die von der Grundschule an und im Rahmen des Religionsunterrichts
zum Respekt gegenüber allen Brüdern und Schwestern in der Menschheit erziehen. Was
die Länder auf der Arabischen Halbinsel betrifft, wo zahlreiche zugewanderte christliche
Arbeiter leben, wünsche ich, daß die katholische Kirche über geeignete pastorale Strukturen
verfügen kann.
Unter den Normen, die das Recht der Menschen auf Religionsfreiheit
verletzen, muß das Gesetz gegen Blasphemie in Pakistan besondere Erwähnung finden:
Ich ermutige die Verantwortungsträger dieses Landes erneut, die nötigen Anstrengungen
zu unternehmen, es aufzuheben, um so mehr, da es offensichtlich als Vorwand dient,
um Ungerechtigkeit und Gewalt gegen die religiösen Minderheiten zu provozieren. Der
tragische Mord am Gouverneur der Provinz Punjab zeigt, wie dringend es ist, in diesem
Sinn voranzugehen: Die Verehrung Gott gegenüber fördert Brüderlichkeit und Liebe,
nicht Haß und Entzweiung. Andere besorgniserregende Situationen mit gelegentlichen
Gewaltakten können im Süden und Südosten des asiatischen Kontinents erwähnt werden,
in Ländern, die übrigens eine Tradition friedlicher gesellschaftlicher Beziehungen
haben. Das besondere Gewicht einer bestimmten Religion in einer Nation dürfte niemals
zur Folge haben, daß die Bürger, die einem anderen Bekenntnis angehören, im gesellschaftlichen
Leben diskriminiert werden oder, noch schlimmer, daß Gewalt gegen sie geduldet wird.
In dieser Hinsicht ist es wichtig, daß der interreligiöse Dialog einen allgemeinen
Einsatz unterstützt, die Religionsfreiheit aller Menschen und aller Gemeinschaften
anzuerkennen und zu fördern. Schließlich verschont, wie ich schon gesagt habe, die
Gewalt gegen Christen auch Afrika nicht. Die Angriffe gegen Kultstätten in Nigeria,
gerade als die Geburt Christi gefeiert wurde, sind ein weiteres trauriges Zeugnis
dafür.
In verschiedenen Ländern hingegen erkennt die Verfassung eine
gewisse Religionsfreiheit an, de facto aber wird das Leben der Religionsgemeinschaften
erschwert und manchmal sogar gefährdet (vgl. Zweites Vatikanisches Konzil, Erklärung
Dignitatis humanae, Nr. 15), weil die rechtliche oder gesellschaftliche Ordnung sich
an philosophischen und politischen Systemen orientiert, die eine strikte Kontrolle
– um nicht zu sagen ein Monopol – des Staates über die Gesellschaft fordern. Solche
Zweideutigkeiten müssen aufhören, damit die Gläubigen sich nicht zwischen der Treue
zu Gott und der Loyalität gegenüber ihrem Heimatland hin- und hergerissen sehen. Ich
fordere im besonderen, daß in Übereinstimmung mit den internationalen Normen und Standards
auf diesem Gebiet den katholischen Gemeinschaften überall die volle Selbstbestimmung
und die Freiheit, ihre Sendung zu erfüllen, garantiert wird.
In diesem
Moment gehen meine Gedanken erneut an die Katholiken in Kontinental-China und an ihre
Hirten, die eine Zeit von Schwierigkeiten und Prüfungen durchleben. Ich möchte auch
ein Wort der Ermutigung an die Verantwortungsträger in Kuba richten – ein Land, das
2010 fünfundsechzig Jahre ununterbrochene diplomatische Beziehungen mit dem Heiligen
Stuhl gefeiert hat –, daß der mit der katholischen Kirche glücklicherweise begonnene
Dialog weiter verstärkt und ausgeweitet wird.
Wenn wir unseren Blick
vom Osten auf den Westen lenken, finden wir uns anderen Arten der Bedrohung der vollen
Ausübung der Religionsfreiheit gegenüber. Ich denke an erster Stelle an die Länder,
in denen dem Pluralismus und der Toleranz große Bedeutung zugemessen wird, wo aber
die Religion eine zunehmende Ausgrenzung erleidet. Man neigt dazu, die Religion, jede
Religion, als einen unbedeutenden Faktor anzusehen, welcher der modernen Gesellschaft
fremd ist oder sie gar destabilisiert, und man sucht mit verschiedenen Mitteln allen
Einfluß auf das gesellschaftliche Leben zu verhindern. Man geht so weit zu verlangen,
daß die Christen bei der Ausübung ihres Berufs ohne Bezug auf ihre religiöse und moralische
Überzeugung, ja sogar im Gegensatz zu ihnen handeln, wie zum Beispiel dort, wo Gesetze
in Kraft sind, die das Recht der Weigerung aus Gewissengründen für Fachkräfte im Gesundheitswesen
oder für gewisse im Rechtsbereich Tätige einschränken.
In diesem Zusammenhang
kann man sich nur darüber freuen, daß im vergangenen Oktober der Europarat eine Resolution
angenommen hat, die das Recht der im medizinischen Bereich Tätigen auf Weigerung aus
Gewissensgründen in bezug auf gewisse Handlungen, die – wie die Abtreibung – das Recht
auf Leben schwer verletzen, schützen.
Ein anderer Ausdruck der Ausgrenzung
der Religion, des Christentums im besonderen, besteht in der Verbannung religiöser
Feste und Symbole aus dem öffentlichen Leben im Namen der Achtung derer, die anderen
Religionen angehören oder die nicht glauben. Durch ein solches Handeln wird nicht
nur das Recht der Gläubigen eingeschränkt, öffentlich ihren Glauben zu bekunden, sondern
man schneidet auch die kulturellen Wurzeln ab, die die tiefste Identität und den gesellschaftlichen
Zusammenhalt zahlreicher Nationen nähren. Im vergangenen Jahr haben sich einige europäische
Länder dem Rekurs der italienischen Regierung gegen die bekannte Causa hinsichtlich
der Anbringung des Kruzifixes an öffentlichen Orten angeschlossen. Ich möchte den
Verantwortungsträgern dieser Nationen meinen Dank zum Ausdruck bringen, ebenso allen,
die sich in diesem Sinne eingesetzt haben, den Bischöfen, Organisationen und den zivilen
oder religiösen Vereinigungen, insbesondere dem Patriarchat von Moskau und den anderen
Vertretern der Hierarchie der Orthodoxie, und ebenso allen Menschen – gläubig oder
auch nicht gläubig –, die ihre Anhänglichkeit an dieses Symbol voll universaler Werte
zeigen wollten.
Die Religionsfreiheit anzuerkennen bedeutet außerdem
zu gewährleisten, daß die Religionsgemeinschaften in der Gesellschaft mit Initiativen
im Sozial-, Wohltätigkeits- oder Bildungswesen frei wirken können. Überall in der
Welt kann man im übrigen feststellen, wie fruchtbar die Werke der katholischen Kirche
in diesen Bereichen sind. Es ist besorgniserregend, daß der Dienst, den die religiösen
Gemeinschaften der ganzen Gesellschaft, insbesondere für die Erziehung der jungen
Generationen, erweisen, durch Gesetzespläne gefährdet oder behindert wird, die eine
Art staatliches Monopol in Schulangelegenheiten zu schaffen drohen, wie zum Beispiel
in manchen Ländern Lateinamerikas festzustellen ist. Da die meisten von ihnen den
zweihundertsten Jahrestag ihrer Unabhängigkeit feiern, was eine gute Gelegenheit darstellt,
an den Beitrag der katholischen Kirche zur Formung ihrer nationalen Identität zu erinnern,
lade ich alle Regierungen ein, Bildungssysteme zu fördern, die das Urrecht der Familien
achten, über die Erziehung ihrer Kinder zu entscheiden, und die sich an dem für die
Organisation einer gerechten Gesellschaft grundlegenden Prinzip der Subsidiarität
orientieren.
In Weiterführung meiner Überlegungen kann ich einen anderen
Angriff auf die religiöse Freiheit der Familien in einigen europäischen Ländern nicht
schweigend übergehen, wo die Teilnahme an Kursen der Sexualerziehung oder Bürgerkunde
verpflichtend auferlegt wird, bei denen ein angeblich neutrales Bild des Menschen
und des Lebens vermittelt wird, das aber in Wirklichkeit eine dem Glauben und der
rechten Vernunft gegensätzliche Anthropologie widerspiegelt.
Meine
Damen und Herren Botschafter, gestatten Sie, daß ich bei diesem feierlichen Anlaß
einige Prinzipien darlege, an denen sich der Heilige Stuhl mit der ganzen katholischen
Kirche bei seinen Tätigkeiten im Rahmen der zwischenstaatlichen internationalen Organisationen
inspiriert, um die volle Achtung der Religionsfreiheit für alle zu fördern. Zunächst
gibt es die Überzeugung, daß man eine Art Skala des Ausmaßes von Intoleranz zwischen
den Religionen erstellen könne. Leider kommt eine solche Haltung häufig vor, und es
sind eben Akte von Diskriminierungen gegenüber Christen, die als weniger schwerwiegend
angesehen und seitens der Regierungen und der öffentlichen Meinung weniger der Aufmerksamkeit
wert erachtet werden. Gleichzeitig muß auch der gefährliche Kontrast zurückgewiesen
werden, den manche zwischen dem Recht auf Religionsfreiheit und den anderen Menschenrechten
herstellen wollen, so daß sie die zentrale Rolle der Achtung der Religionsfreiheit
bei der Verteidigung und beim Schutz der hohen Würde des Menschen vergessen oder leugnen.
Ebensowenig gerechtfertigt sind die Versuche, dem Recht auf Religionsfreiheit sogenannte
neue Rechte entgegenzusetzen, die von gewissen Kreisen der Gesellschaft gefördert
werden und in die nationalen Gesetzgebungen oder in die internationalen Direktiven
Eingang finden, die aber in Wirklichkeit nichts anderes als der Ausdruck egoistischer
Wünsche sind und in der echten menschlichen Natur ihrer Grundlage entbehren. Schließlich
muß festgestellt werden, daß eine rein abstrakte Proklamierung der Religionsfreiheit
nicht ausreicht: Diese Grundnorm des gesellschaftlichen Lebens muß auf allen Ebenen
und in allen Bereichen angewandt und respektiert werden; andernfalls läuft man trotz
ihrer grundsätzlichen Bejahung Gefahr, gegenüber den Bürgern, die ihren Glauben frei
bekennen und ausüben wollen, große Ungerechtigkeiten zu begehen.
Die
Förderung einer vollen Religionsfreiheit der katholischen Gemeinschaften ist auch
das Ziel, das der Heilige Stuhl beim Abschluß von Konkordaten oder anderen Verträgen
verfolgt. Ich freue mich, daß Staaten in den verschiedenen Regionen der Erde und von
verschiedenen Religions- Kultur- und Rechtstraditionen den Weg internationaler Abkommen
wählen, um die Beziehungen zwischen der politischen Gemeinschaft und der katholischen
Kirche zu organisieren. Dabei legen sie im Dialog den Rahmen einer Zusammenarbeit,
die die gegenseitigen Kompetenzen achtet, fest. Im vergangenen Jahr wurde ein Abkommen
bezüglich der Seelsorge für die katholischen Gläubigen in den Streitkräften Bosnien-Herzegowinas
geschlossen und in Kraft gesetzt, und gegenwärtig sind Verhandlungen mit verschiedenen
Ländern im Gange. Wir hoffen auf einen positiven Ausgang, die eine Lösung garantieren,
die die Natur und Freiheit der Kirche zum Wohl der ganzen Gesellschaft respektieren.
Die Tätigkeit der Vertreter des Papstes bei den Staaten und den internationalen
Organisationen steht ebenso im Dienst der Religionsfreiheit. Mit Zufriedenheit möchte
ich hervorheben, daß die Verantwortungsträger des Vietnam zugestimmt haben, daß ich
einen Repräsentanten ernenne, der durch seine Besuche der geliebten katholischen Gemeinschaft
dieses Landes die Fürsorge des Nachfolgers Petri zum Ausdruck bringen wird. Desgleichen
möchte ich daran erinnern, daß im letzten Jahr das diplomatische Netz des Heiligen
Stuhls in Afrika weiter ausgebaut wurde; in drei Ländern, wo der Nuntius nicht residiert,
wurde nun eine stabile Präsenz gesichert. So Gott will, werde ich nochmals auf diesen
Kontinent zurückkehren, nämlich im kommenden November nach Benin, um das Apostolische
Schreiben zu übergeben, das die Frucht der Arbeiten der zweiten Sonderversammlung
der Bischofssynode für Afrika zusammenfassen wird.
Vor diesem geschätzten
Auditorium möchte ich schließlich nochmals nachdrücklich sagen, daß die Religion kein
Problem für die Gesellschaft darstellt, daß sie kein Unruhe- oder Konfliktfaktor ist.
Ich möchte wiederholen, daß die Kirche weder Privilegien sucht, noch sich in ihrer
Mission in fremde Bereiche einmischen, sondern einfach ihre Sendung in Freiheit ausüben
will. Einen jeden lade ich ein, die große Lehre der Geschichte anzuerkennen: „Wie
könnte man den Beitrag der großen Weltreligionen zur Entwicklung der Zivilisation
leugnen? Die aufrichtige Suche nach Gott hat zu einer vermehrten Achtung der Menschenwürde
geführt. Die christlichen Gemeinschaften haben mit ihrem Erbe an Werten und Grundsätzen
erheblich dazu beigetragen, daß Menschen und Völker sich ihrer eigenen Identität und
ihrer Würde bewußt wurden, und ebenso sind sie an der Errungenschaft demokratischer
Einrichtungen sowie an der Festschreibung der Menschenrechte und der entsprechenden
Pflichten beteiligt. Auch heute, in einer zunehmend globalisierten Gesellschaft, sind
die Christen berufen, nicht allein mit einem verantwortlichen zivilen, wirtschaftlichen
und politischen Engagement, sondern auch mit dem Zeugnis der eigenen Nächstenliebe
und des persönlichen Glaubens einen wertvollen Beitrag zu leisten zum mühsamen und
erhebenden Einsatz für die Gerechtigkeit, für die ganzheitliche Entwicklung des Menschen
und für die rechte Ordnung der menschlichen Angelegenheiten“ (Botschaft zum Weltfriedenstag
2011, Nr. 7).
Ein Sinnbild ist in dieser Hinsicht die Gestalt der seligen
Mutter Teresa von Kalkutta: Der hundertste Jahrestag ihrer Geburt wurde in Tirana,
Skopje und Priština sowie in Indien gefeiert. Nicht nur seitens der Kirche, sondern
auch seitens der zivilen Verantwortungsträger und religiösen Führer, ohne die Menschen
aller Glaubensrichtungen zu zählen, wurde ihr überschwengliche Ehre erwiesen. Beispiele
wie ihres zeigen der Welt, wie das Engagement aus dem Glauben der ganzen Gesellschaft
zugute kommt.
Keine menschliche Gesellschaft beraube sich freiwillig
des grundlegenden Beitrags, den die Gläubigen und die Religionsgemeinschaften darstellen!
Wie das Zweite Vatikanische Konzil in Erinnerung gerufen hat, bedeutet die rechte
religiöse Freiheit voll und für alle zu gewährleisten, daß „der Gesellschaft selber
die Werte der Gerechtigkeit und des Friedens zugute kommen, die aus der Treue der
Menschen gegenüber Gott und seinem heiligen Willen hervorgehen“ (Erklärung Dignitatis
humanae, Nr. 6).
Mit unserem Wunsch, daß dieses neue Jahr an Eintracht
und wirklichem Fortschritt reich sein möge, ermutige ich daher alle, die Verantwortlichen
in der Politik, die Religionsführer und die Menschen jeden Ranges, entschlossen den
Weg zu einem echten und dauerhaften Frieden einzuschlagen, der über die Achtung des
Rechts auf Religionsfreiheit in allen ihren Bereichen führt.
Damit
dieser Einsatz in die Tat umgesetzt wird, ist es notwendig, daß die ganze Menschheitsfamilie
sich darin einbringt. Für diesen Einsatz erbitte ich den Segen des allmächtigen Gottes,
der unsere Versöhnung mit ihm und untereinander gewirkt hat durch seinen Sohn Jesus
Christus, der unser Friede ist (vgl. Eph 2,14).