2011-01-01 15:50:02

Unsere Betrachtung zum Sonntagsevangelium - von Ludwig Waldmüller


RealAudioMP3 Die Betrachtung zum Sonntagsevangelium stammt diesmal aus der Feder unseres langjährigen Kollegen bei Radio Vatikan, des deutschen Priesters Ludwig Waldmüller. Das Evangelium ist der berühmte Prolog des Johannes-Evangeliums.
Aus dem heiligen Evangelium nach Johannes
1 Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott.
2 Im Anfang war es bei Gott.
3 Alles ist durch das Wort geworden, und ohne das Wort wurde nichts, was geworden ist.
4 In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen.
5 Und das Licht leuchtet in der Finsternis, und die Finsternis hat es nicht erfasst.
9 Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt.
10 Er war in der Welt, und die Welt ist durch ihn geworden, aber die Welt erkannte ihn nicht.
11 Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf.
12 Allen aber, die ihn aufnahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden, allen, die an seinen Namen glauben,
13 die nicht aus dem Blut, nicht aus dem Willen des Fleisches, nicht aus dem Willen des Mannes, sondern aus Gott geboren sind.
14 Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt, und wir haben seine Herrlichkeit gesehen, die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater, voll Gnade und Wahrheit.
Sonntagsbetrachtung
„Liebe Hörerin, lieber Hörer,
Staatsbesuche haben es anscheinend in sich. Da muss alles aufs allerfeinste organisiert und hergerichtet werden. Alles muss stimmen, jedes Detail braucht seine eigene Überprüfung… Wer darf vor wem gehen, wer sitzt wem gegenüber. Welcher Minister Chinas fährt in welcher Limousine oder kommen doch lieber alle gemeinsam in einen Luxusbus? Die Fragen, die sich bei einem Staatsbesuch stellen, sind uns Normalsterblichen meist unbekannt. Schließlich will alles seine Ordnung haben. Und damit all das auch wirklich funktioniert und richtig gemacht wird, dafür gibt es im Auswärtigen Amt eine Protokollabteilung, genauso wie beispielsweise in jeder Staatskanzlei. Schließlich ist ja ein Staatsbesuch ein besonders ausgewählter Besuch eines Staatsoberhauptes, dem bei dieser Gelegenheit alle protokollarischen Ehren gewährt werden. Das muss schon richtig vorbereitet und durchgeführt sein. Die Begrüßung mit militärischen Ehren, die Kranzniederlegung an der Neuen Wache, das Staatsbankett… Protokoll, Organisation, Repräsentation. Schließlich soll auch jeder, der bei diesem Besuch anwesend ist, sofort begreifen, wer da dem Land die Ehre gibt. Wie wichtig dieser Moment für den Staat und seine Bürger ist. Da darf natürlich nichts dem Zufall überlassen werden. Jahrhundertelange Tradition haben diese Fragen – Standarten und Ausrufer gehörten genauso dazu wie die Frage, wer auf dem Teppich steht und wer nicht.
Das Evangelium dieses Sonntags erzählt auch von einem besonderen Besuch. Einem ganz speziellen Besuch sogar. Allerdings ist es hier mit dem Protokoll so eine Sache. Schauen wir doch einmal gemeinsam hin…
1. Nahmen ihn nicht auf/erkannten ihn nicht
Der Johannesprolog ist ein äußerst beeindruckender Text. Ein Hymnus, der das Wort, den Logos, Gottes besingt. Jenes Wort, das am Anfang bei Gott war, ja, Gott war, und aus dem das Leben kommt. Von diesem Wort, vom „wahren Licht“, von Jesus Christus, schreibt der Evangelist Johannes: „Er kam in die Welt“. Das heißt nicht viel anderes als: Es wurde Weihnachten. Oder mit den Worten des Johannesevangeliums: Das Wort ist Fleisch geworden.
Er kam in die Welt – und weiter: „Aber die Welt erkannte ihn nicht.“ Es heißt, noch genauer und gleichzeitig dramatischer: „Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf.“
Das, was hier beschrieben ist, ist das Gegenteil eines protokollarisch durchgeplanten Staatsbesuches. Keine militärischen Ehren für den Höchsten, der nicht irgendwohin in die Fremde, sondern „in sein Eigentum“ kommt. So geschieht die Menschwerdung Gottes, so passiert es, wenn Gott in die Welt kommt: Keine Pauken, keine Trompeten, keine roten Teppiche. Ein kleines Kind in einem kleinen Stall irgendwo am Rande einer kleinen Stadt. Da stimmt wohl: „Die Welt erkannte ihn nicht.“ Hätte man gewusst, was damals in jener Nacht geschehen ist und wer da geboren wurde, ja wer da auf Besuch kam, der kleine Stall wäre in kürzester Zeit überfüllt gewesen. Aber genau so funktioniert es bei Gott nicht: Auf leisen Sohlen und in der Anonymität der Kleinheit kommt er in sein Eigentum.
Allerdings ist es müßig, sich darüber Gedanken zu machen, was gewesen wäre, wenn man ihn erkannt hätte… Eine andere Frage hingegen ist in diesem Zusammenhang wichtig: Wie ist das denn mit dem Erkanntwerden Gottes, der in die Welt kommt, heute? Wie ist das in meinem Leben, in meinem Alltag. Schließlich kommt Gott tagtäglich aufs Neue bei mir zu Besuch, will mir begegnen, kommt in die Welt und sein Eigentum, in mein Leben. Aber ändert das was an meinem Leben? Habe ich ihn tatsächlich erkannt? Versuche ich überhaupt, ihn in meinem Leben zu erkennen? Habe ich Zeiten, Räume, Möglichkeiten, um ihn wahrzunehmen?
Und gleichzeitig ist die Frage doch: Wie ist das mit der Welt um mich herum? Ist in meinem Umfeld, an meinem Arbeitsplatz, in meiner Familie, meiner Gemeinschaft oder meiner Pfarrgemeinde zu erkennen, dass hier „das wahre Licht“ in die Welt gekommen ist? Ich glaube, an ganz vielen Orten und in ganz vielen Situationen unserer Gesellschaft und unserer Welt ist alles andere gegeben, als dass die Welt erkannt hätte, wer da zu ihr in sie gekommen ist.
2. Es trat ein Mensch auf
Aber damit sind wir schon wieder direkt bei unserem Text. Hier wird nämlich mitten in dem Hymnus eine kleine Geschichte erzählt. Die Geschichte von einem Menschen: „Es trat ein Mensch auf, sein Name war Johannes.“ Im Prolog des vierten Evangeliums wird von Johannes dem Täufer gesprochen, dem Rufer in der Wüste, der uns im Advent immer wieder das Umkehren und sich besinnen entgegen gerufen hatte. Johannes der Täufer sollte, so heißt es, „Zeugnis ablegen für das Licht“. Das ist wohl eines der wichtigen Details des Kommens Gottes in die Welt: Es gibt kein Protokoll, keine Standarte und keine spektakulären Hinweise auf sein Kommen. Aber: Es gibt und es braucht vor allem Menschen, die vor anderen Zeugnis für ihn, für das Licht ablegen. Der Rufer im Kamelfell ist sozusagen der Prototyp all jener, die für Christus Zeugnis geben. Wenn Gott so im Verborgenen und Kleinen Mensch wird, dann braucht er diejenigen, die von ihm erzählen. Wenn ich etwas von jenem Wort verstanden habe, das da Menschen geworden ist, dann muss ich das weitergeben. Genau hier stellen sich wieder Fragen, die uns direkt angehen: Wie sieht das denn aus in unserem Leben mit dem Zeugnis für das Licht der Welt? Gebe ich dieses Zeugnis? Erzähle ich anderen von dem, der das Leben gegeben hat und in sein Eigentum kam? Ja, ich glaube, dass Johannes der Täufer, von dem es heißt, dass er von Gott erzählte, damit die Menschen zum Glauben kämen, dass dieser Johannes tatsächlich ein Vorbild für uns sein soll und kann. An uns liegt es, Gottes Kommen ins Eigentum weiterzusagen.
3. Macht, Kinder Gottes zu werden
Aber zurück zum Text. Der Johannesprolog ist gar nicht so pessimistisch, wie man es auf den ersten Blick meinen könnte. Es ist nicht so, dass niemand das Wort aufnahm, das in sein Eigentum kam. Im Gegenteil: „Allen, die ihn aufnahmen, gab er die Macht, Kinder Gottes zu werden“, heißt es da. Das ist wohl eine der ganz großen Botschaften dieses Textes: Gott, der in sein Eigentum kommt, tut das nicht einfach so, nicht, um sich mal zu zeigen oder seinen Herrschaftsanspruch klar zu machen. Vielmehr geht es um den Menschen. Geht es um uns. Die „Macht, Kinder Gottes zu werden“ – das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen: Wer das fleischgewordene Wort aufnimmt und zu verstehen versucht, der oder die bekommt eine unglaublich große Macht, eine unbeschreibliche Fähigkeit: Wir haben die Möglichkeit, Kinder Gottes zu sein, das heißt, mit ihm, der das Leben ist und das Leben gibt, ganz eng verbunden zu werden. Wenn Gott Mensch wird, wenn er in sein Eigentum kommt, dann bedeutet das gleichzeitig, dass wir, die Menschen, eine große, sehr große Würde bekommen. Und auch hier tauchen sofort wieder Fragen auf: Bin ich mir dieser Macht, dieser Würde bewusst? Mach ich mir klar, dass Gottes Menschwerdung, sein Kommen in sein Eigentum direkt etwas mit mir und meinem Leben zu tun hat? Spielt es eine Rolle in meinem Alltag, dass ich die Macht habe, ein Kind Gottes zu sein?
Schluss
Das Protokoll, liebe Hörerin, lieber Hörer, ist ungemein wichtig, wenn ein Staatsoberhaupt in einen anderen Staat kommt oder Orte in seinem Land besucht. Wenn Gott aber in sein Eigentum kommt, dann geschieht das ganz anders. Dann ist das leise, klein und unscheinbar. Aber genau dafür braucht es uns: Um ihn zu erkennen und von ihm zu sprechen. Und letztlich gibt uns sein Kommen eine unglaublich große Würde. Dafür schmeiße ich gerne jedes Protokoll über den Haufen.”

(rv 01.01.2011 sk)







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