Beim großen Gottesdienst
am Neujahrstag im Petersdom wird dem Papst ein Hauch vom Kölner Weltjugendtag um die
Nase wehen. Das liegt an der Musik. Auf dem Programm steht eine gregorianische Messe,
gesungen von 4.000 „Pueri cantores“, also Kindern und Jugendlichen aus der ganzen
Welt – und neu arrangiert vom Kölner Domkantor Oliver Sperling.
Seit Tagen
schon wird geprobt in der Vatikanischen Audienzhalle. Vorbei an Schweizergardisten,
schwärmen Tausende Kinder und Jugendliche ein und aus, manche tragen Pueri-Cantores-Rucksäcke,
andere einheitliche wallende Gewänder, die nach Ministrantendienst aussehen. Vorne
auf dem Podium, wo normalerweise der Papst bei der Generalaudienz sitzt, steht und
dirigiert mit Verve Oliver Sperling aus Köln.
Der Domkantor leitet diesmal
nicht seinen Mädchenchor vom Kölner Dom, sondern einen sehr viel größeren Klangkörper,
der die Papstmesse am 1. Januar musikalisch bestreiten wird. Ausgesucht hat Sperling
die gregorianische VIII. Choralmesse, die Missa de Angelis, allerdings in einem nagelneuen
Arrangement.
„Meine Überlegung ist gewesen, diese Klanglichkeit in anderem
Gewand darzustellen, also dass die Chöre nicht einstimmig singen zur Orgelbegleitung,
sondern dass dieser Cantus Firmus durchläuft, aber dazu ein dreistimmiger Mädchenchorpart
gehört, ein vierstimmiger gemischter Chorpart, und das mit sieben Bläsern und Orgel
zusammen. Das ist wirklich etwas Neues, und ich bin sehr gespannt, wie es klingen
wird!
Papst Benedikt kennt dieses Experiment – vom Weltjugendtag in Köln,
wo Thomas Gabriel schon eine gregorianische Messe mit neuen Mitteln umsetzte. Puristen
würden da einen Verstoß gegen das Reinheitsgebot der Gregorianik wittern. Oliver Sperling
winkt gelassen ab:
„Es geht darum, die Kinder und Jugendlichen einfach
für das liturgische Singen zu begeistern, und es sie so entwickeln zu lassen, dass
sie es mit auf ihren eigenen Glaubensweg nehmen.“
Bei der Papstmesse singen
Kinder und Jugendliche aus nicht weniger als 35 Ländern von Frankreich bis Korea.
Hochinteressant, was man da lernen kann, findet Christina Burz. Sie gehört zum Schulchor
des Kärntner Bundesgymnasiums Tanzenberg, der in der Audienzhalle fleißig mitprobt.
„Man lernt den Stimmcharakter anderer Chöre kennen, die Disziplin, wenn
ein Lied von mehreren 1000 Leuten gesungen wird, kriegt es so viel Volumen. Wenn man
dann in einer Kirche oder jetzt in der Audienzhalle sitzt und das mitkriegt, ist das
ein Wahnsinnsgefühl wenn man denkt man singt da jetzt mit und ist Teil eines großen
Ganzen irgendwie. Das ist echt toll!“ Ähnlich, wenn auch mit anderen Worten
drückte es Papst Benedikt XVI. selbst aus, als er die Pueri Cantores in der Audienzhalle
besuchte. Schöne Musik vermag etwas vom Geheimnis der Liebe Gottes zu den Menschen
auszudrücken, sagte der Papst den jugendlichen Sängern. „Das Evangelium der
Heiligen Nacht berichtet vom Lobpreis der Engel, den die Hirten auf dem Feld bei Betlehem
gehört haben. Immer schon haben Christen diesen Spruch der Engel als ein Lied aufgefasst
und sich dadurch anregen lassen, ihrerseits Gott mit Musik zu ehren. Auch ihr nehmt
mit eurem Gesang an diesem schönen Auftrag teil, damit Gott verherrlicht werde und
die Menschen Freude finden.“
Ein Dienst sei das Singen im Gottesdienst
in erster Linie, erinnerte der Papst. Ein Dienst, bei dem jeder zu sich selbst kommt,
ergänzt Oliver Sperling.
„Bei aller Unterschiedlichkeit der Mentalität
merkt man, wenn es an das Singen in der Liturgie geht, hat jeder seinen eigenen Urgrund.
Wir säen da viel aus und können hoffen, dass die Kinder etwas davon haben – wir müssen
es nicht funktionalisieren. Man darf es aus meiner Sicht auch nicht zu stark in den
Vordergrund heben als Doktrin. Sondern die Kinder tun es. Wir müssen sie nicht zusätzlich
missionieren. Durch den täglichen oder wöchentlichen oder monatlichen Dienst in der
Liturgie und das Proben, ist das etwas, das zu ihrem Lebensalltag gehört und das allein
ist schon ein sehr hoher Wert. Ein religiöser Wert und auch ein kultureller Wert.
So ist es nicht erstaunlich, dass für die jungen Sängerinnen und Sänger
weniger das einzelne Lied zählt als das Gemeinsame, das man durch das Singen erschafft.
„Für mich ist nicht das Lied wichtig, sondern die Menschen um mich herum.
Der Chor ist, um es nicht zu schnulzig zu sagen, eine zweite Familie für mich. Man
kommt nach einen meistens stressigen Tag zur Chorprobe und sieht seine Freunde und
freut sich gemeinsam, wenn man gemeinsam singt. Singen verbindet! Es gibt viele Lieder,
die wir alle nicht mögen, und dann regen wir uns alle gemeinsam auf, aber – es ist
nicht das Lied. Es ist die Gemeinschaft.“
Seit Dienstag sind die Pueri
Cantores in der Ewigen Stadt, neben dem Singen auch zum Staunen. Vielen, auch den
Chorsängerinnen aus Kärnten, macht der Vatikan Eindruck.
“Alles ist so
groß, man sieht das so oft auf Bildern, dass es so schön ist, der Petersdom und alles
andere, und in der Wirklichkeit ist es auch so schön. Allein dass man da über eine
Grenze geht und sich denkt, aha da wohnt der Papst, wie verbringt er seine Tage da?
Und jetzt sieht man das alles. Papst und Vatikan, das sind Begriffe, die einfach jeder
kennt. Und man kann sagen – wir waren schon dort und haben den Papst gesehen. Darauf
kann man schon stolz sein! Ich find das cool.“
Am Neujahrstag um 10 Uhr
ist es soweit. Pontifikalamt mit Papst Benedikt, Missa de Angelis. Ob das Lampenfieber
sinkt, wenn ein paar Tausend Stimmen gemeinsam singen?
„Es sind die Momente,
wo man einfach singen will, weil es ein großer Chor ist. Alle singen! Und man singt
laut und wie man will, irgendwann machts einfach Spaß…“
Oliver Sperling: „Der
Papst ist sicherlich ein guter Zuhörer. Ich gehe davon aus, dass er sicherlich auch
die Wirkung gut erlebten kann, wie die Kinder und Jugendlichen diese Musik transportieren.
Und ich hoffe, das ist auch etwas, dass er spüren kann, das trotz aller Müdigkeit
nach einer Silvesternacht am Neujahrsmorgen die Jugendlichen in der Liturgie ihr Zuhause
haben und dann auch ihr bestes geben werden.“ (rv 31.12.2010 gs)