Religionsfreiheit
muss als grundlegendes Menschenrecht geachtet werden – dazu hat der Vorsitzende der
Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, anlässlich der letzten Gewaltwelle
in Nigeria erinnert. In einem Brief an den Erzbischof von Jos, Ignatius Kaigama, drückt
Zollitsch seine tiefe Erschütterung über die letzten Gewalttaten aus. Gegenseitiger
Respekt müsse allen gelten, ganz gleich, welcher Religion sie angehörten, so der Erzbischof
mit Bezug auf die Botschaft des Papstes zum Welttag des Friedens 2011. Zollitsch war
im vergangenen Jahr selbst in Jos, dem Brennpunkt des Konfliktes. Der Erzbischof:
„Und ich hatte dort erlebt, wie eigentlich die Christen und Muslime versuchen,
einen Weg nach vorne zu finden. Insofern ist es besonders erschrecken, dass gerade
dort diese Gewalttaten ausgelöst sind. Es ist unbegreiflich, dass Religion zu Gewalt
führt und nicht zum Frieden und Brückenbau.“
Bei Bombenanschlägen und Auseinandersetzungen
zwischen bewaffneten Gruppen von Christen und Muslimen wurden in Jos in den letzten
drei Tagen fast 40 Menschen getötet. Die Hauptstadt des Bundesstaates Plateau gilt
als Pulverfass; erst im Januar und März wurden in der dort bei Kämpfen mehrere hundert
Menschen getötet. Um religiöse Zugehörigkeit geht es bei den Konflikten jedoch nur
bedingt. Vielmehr sind Armut, Landansprüche und Ressourcenverteilung die Wurzel der
Gewalt, meint Pater Giulio Albanese von den Päpstlichen Missionswerken. Der Comboni-Missionar
ist Direktor der Zeitschrift „Popoli e Missione“ , Völker und Mission. Im Gespräch
mit Radio Vatikan versucht er, die komplexe Situation in Jos zu erklären. „Wir
dürfen nicht vergessen, dass Nigeria in diesem Moment politisch gesehen eine schwache
Führung hat – mit der föderalen Regierung in der Hauptstadt Abuja. Die wirtschaftliche
Krise trifft vor allem die ärmeren Schichten der Gesellschaft. Darüber hinaus gibt
es eine Rivalität der Christen und Muslime. Wenn wir von der christlichen Gemeinschaft
sprechen, müssen wir präzisieren, dass Nigeria eines der Länder Afrikas mit der höchsten
Zahl „unabhängiger Kirchen“ ist, sieben von ihnen sind ziemlich integralistisch. In
der Hinsicht ist es wichtig, nicht von zwei klaren Fronten, den „Guten“ und „Bösen“
zu sprechen – die Situation ist sehr komplex.“
Anfang des 20. Jahrhunderts
siedelten sich muslimische Händler in der Region um Jos an. Als sich die wirtschaftliche
Situation in den letzten Jahren massiv verschlechterte, entstand Konkurrenz um Arbeit
zwischen den ansässigen Volksgruppen, darunter Christen und Anhängern der Volksreligionen,
und den zugezogenen Muslimen.
Geführt wird Nigeria derzeit übergangsweise
von Goodluck Jonathan, der allerdings nicht nach dem verfassungsmäßigen Verfahren
bevollmächtigt wurde. Im April kommenden Jahres wird in Nigeria ein neuer Präsident
gewählt. Eine weitere Eskalation der Gewalt könne da nicht ausgeschlossen werden,
so Albanese. Weiter gebe es in Nigeria auch Gruppen, die buchstäblich „Öl ins Feuer“
der Konflikte gössen:
„Nigeria hat viel Erdöl, und es gibt da mehr oder
weniger verborgen handelnde Gruppen, die in das Erdölgeschäft verwickelt sind und
die Zusammenstöße benutzen, um den Rechtsstaat zu schwächen!“
Eine der
Bomben vom letzten Wochenende ging in Jos in der Nähe einer katholischen Kirche hoch
und verletzte Gläubige auf dem Weg zum Gottesdienst. Nach Gesetz wird in Nigeria Religionsfreiheit
gewährt, so Albanese. Allerdings seien in letzten Jahren Fehler begangen worden, die
zu Spannungen zwischen den Religionsgruppen geführt hätten. So sei zur letzten Regierungszeit
des Präsidenten Olusegun Obasanjo von 1999 bis 2007 in den nördlichen Staaten das
islamische Gesetz der Sharia gebilligt worden. Obasanjo, der baptistischer Christ
ist, führte Nigeria als Staatspräsident zwei Mal: von 1976 bis 1979 und von 1999 bis
2007.
In der jetzigen Situation könne nur soziale Gerechtigkeit dem Land eine
Zukunft geben, so Albanese:
„Das ist das einzige Mittel, um den Leuten
wieder Hoffnung zu geben. In einem Land, in dem ein Prozent der Bevölkerung über 80
Prozent des nationalen Reichtums besitzt, ist soziale Gerechtigkeit der einzige Weg.
Die Verantwortung haben natürlich die Führungsschichten, die oftmals ganz klar eigene
Interessen verfolgen und damit die Schere zwischen Arm und Reich weiter öffnen und
soziale Unterschiede fördern.“