Die Weihnachtszeit
ist die Zeit des Rückblicks, auch für die Kirche. Papst Benedikt hatte dies zu Beginn
der Woche vor den Verantwortlichen der Kurie getan, jetzt ziehen viele andere Bischöfe
nach. Für Österreich tat dies gegenüber der Agentur „Kathpress“ der Wiener Erzbischof
Kardinal Christoph Schönborn. Es war ein „schreckliches Jahr“ und gleichzeitig ein
„Jahr der Gnade – vielleicht gerade auch durch das Schwere, durch das die Kirche in
unserem Land durchgegangen ist“. Damit sprach Kardinal Schönborn das alles dominierende
Thema der deutschsprachigen Kirchen im Jahr 2010 an, den Missbrauch.
„Zuerst
einmal muss man das Positive darin sehen, dass Opfer sich zu sprechen getraut haben;
sich getraut haben, die Wunden ihrer eigenen Geschichte zu thematisieren, oft erst
nach Jahrzehnten zur Sprache zu bringen und damit auch auf einen Weg der Heilung gehen
zu können.“
Für die Kirche sei die Konfrontation mit
dem Missbrauch in den eigenen Reihen beschämend und schmerzlich gewesen; zugleich
sei man aber entschieden an die „Hausaufgaben“ herangegangen. Die von ihm eingesetzte
Klasnic-Kommission sowie die Ombudsstellen der Diözesen arbeiteten gut, so der Kardinal,
und freiwillige Schadenersatzleistungen würden bezahlt. Die Kirche habe dadurch an
Autorität gewonnen, so Schönborn überzeugt. Das Thema Missbrauch sei für die Kirche
letztlich aber nicht abgeschlossen, „weil die Geschichte von Menschen nie abgeschlossen
ist“. Die Kirche brauche die Wahrhaftigkeit im Umgang mit sich selbst, weil es
mehr Wahrhaftigkeit in allen Bereichen der Gesellschaft brauche. So dürfe die Kirche
es nach wie vor nicht unterlassen, auf Missstände hinzuweisen. Dabei sprach Schönborn
das Sparpaket der österreichischen Bundesregierung an:
„Wir
haben uns schon auch erlaubt, darauf hinzuweisen, dass das Sparziel angemessen sein
muss. Wenn auf der einen Seite Milliarden Euro fließen müssen, um Banken zu retten,
und auf der anderen Seite das Geld für Bildung nicht mehr da ist, oder das Geld für
die Familienförderung nicht mehr da ist oder deutlich reduziert werden muss, da stellt
sich schon die Frage der Proportionalität: Hat man wirklich die Reduktionen an der
richtigen Stelle vorgenommen?“
Es in Krisenzeiten das beste Rezept, „sich
den Dingen zu stellen, ihnen nicht auszuweichen“, fügte der Kardinal hinzu. Nur wenn
man sich der Realität stelle, könne man „richtige Wege finden – auch wenn sie schmerzlich
sind“ – auch dies eine Lektion, die aus den Missbrauchsfällen neu gelernt wurde. Ein
weiteres Anliegen Schönborns hat auch 2010 nicht an Aktualität verloren: der Schutz
des Lebens und damit der Menschenwürde. Erst kürzlich hatte er erklärt, „kein Mensch
ist ein Schadensfall“. Keinem Menschen, sei er ungeboren oder alt und gebrechlich,
dürfe die Menschenwürde vorenthalten werden, auch dies sei ein Ergebnis der Diskussionen
des letzten Jahres. Und das ist nicht nur ein Anliegen von Gläubigen:
„Vom
ersten Moment der Empfängnis an entwickelt sich ein Mensch, und nicht: es entwickelt
sich etwas zu einem Menschen hin. Das wissen wir nicht aus religiöser Botschaft, sondern
das ist eine Tatsache, eine wissenschaftlich bestbegründete und vernunfteinsichtige
Tatsache. Daher ist das Eintreten für den Lebensschutz primär ein Einstehen für die
Menschenwürde.“
Der Kardinal mahnte auch in diesem Bereich
Wahrhaftigkeit an: „Die Dinge müssen beim Namen genannt werden: Euthanasie ist Mord,
ist das Töten eines Menschen. Dasselbe gilt für die Abtreibung. In Zeiten des Umbruchs,
in Zeiten großer Veränderungen werden die persönlichen existenziellen Fragen stärker,
und diesen Fragen kann niemand ausweichen“, erklärte der Wiener Erzbischof weiter.
Selbst bei vorübergehender Verdrängung kämen solche Fragen beispielsweise in Zeiten
von Krankheit oder Beziehungskrisen wieder. Nicht wenige von denen, die die Kirche
verlassen haben, seien auf der Suche und würden sich der Kirche wieder annähern, meint
der Kardinal. Und jene, die den Weg wieder zurück in die Kirchen finden, empfänden
diesen Schritt oft als „Heimkehr“. Schönborn erklärte, dass Traditionen,
die den Umgang mit Sinnfragen erleichterten, heutzutage „viel weniger als früher“
tragen: „Es liegt heute viel mehr auf den eigenen Schultern, ob ich Sinn für mein
Leben finde oder nicht.“ Das Eingebundensein in eine Glaubensgemeinschaft erleichtere
den Menschen, in Krisensituationen auf das bestehende Sinnangebot zurückzukommen:
Den vielen Sinn suchenden Menschen gegenüber müsse die Kirche „viel wacher sein“,
sagte der Wiener Erzbischof. Weiter müssten sich die Pfarren und anderen kirchlichen
Gemeinschaften deutlicher für diese Menschen öffnen und missionarischer werden.