D: „Abnehmende Bindungskraft im Christen- und Judentum"
Besinnt euch auf eure
christlichen Wurzeln! Dieser Appell Benedikt XVI. – ausgesprochen in Santiago de Compostela
und ebenso in der Friedensbotschaft für das kommende Jahr – er kommt auch von jüdischer
Seite: In einem Interview mit der Evangelischen Nachrichtenagentur (epd) vom letzten
Wochenende ermuntert der Rabbiner David Rosen die Europäer dazu, sich angesichts einer
wachsenden muslimischen Präsenz in den westlichen Ländern stärker auf die eigenen
christlichen Wurzeln zu besinnen. Eine abnehmende „Bindungskraft“ im Christen- und
Judentum beklagt derweil der neue Präsident des Zentralrats der Juden, Dieter Graumann.
Im Interview mit dem Kölner Domradio sagte der Nachfolger von Charlotte Knobloch:
„Im Islam mag es anders sein. Aber uns Juden geht es ähnlich wie den Kirchen
hier in Deutschland. Unsere Synagogen sind schön, aber immer leerer. Die Überzeugungskraft
von Religion nimmt gerade bei jungen Menschen ab. Es ist eine ganz große Aufgabe,
dass wir die Herzen unserer jungen Menschen alle gemeinsam gewinnen müssen.“
Graumann
ist seit etwa vier Wochen im Amt. Seine neue Aufgabe begreift er im Wesentlichen als
Fortführung des bisherigen Kurses der Zentralrates, wenn er auch eigene Akzente setzen
will. In entscheidenden Fragen wie zum Beispiel dem Gedenken an die Schrecken des
Nationalsozialismus stehe er für Kontinuität, so Graumann:
„Mir ist es schon
wichtig, dass diese Erinnerung bewahrt wird. Aber nicht in dem Sinne, dass man den
Menschen, die heute in Deutschland leben, etwas von Schuld vermitteln wollte. Das
wäre ja auch unsinnig. Aber die Verantwortung, wissen zu wollen und etwas Ähnliches
verhindern zu müssen, das ist ganz wichtig. Der Bundespräsident hat bei seiner Israel-Reise
ein ganz wunderbares Zeichen gesetzt, als er seine junge Tochter mitnahm und andere
Jugendliche, um zu dokumentieren: Hier geht es nicht um große Worte, hier geht es
darum, dass junge Menschen wissen, was geschehen ist damals, und dass sie versuchen,
Verantwortung zu übernehmen, selbst zu verhindern, dass das wieder geschehen kann.“
Ein
schwieirges Thema im Verhältnis zu den Christen sei für die Juden nach wie vor die
anstehende Seligsprechung von Papst Pius XII. Graumann:
„Hier haben wir
eine kritische Einstellung. Ich meine, die Kirche ist natürlich frei hier zu handeln,
wie sie mag. Aber wir sind auch frei, vorher in aller Offenheit und Fairness zu sagen:
Das würde viele jüdische Menschen auf dieser Welt verletzen, mich übrigens auch. Papst
Pius XII. bleibt für uns der Papst der zu lange und zu laut schwieg angesichts der
Schreie der Shoah. Und ihn mit dieser Ehre auszustatten wäre etwas, was uns schon
verletzen würde.“