Weihnachten – Zeit
der Besinnung, Zeit des Friedens? Das gilt leider nur für einen Bruchteil der Menschen
weltweit. Während bei uns die Vorfreude steigt, wächst bei den Menschen im Sudan und
dem angrenzenden Nordostkongo die Angst: Vor allem in der Weihnachtszeit kam es dort
in den letzten zwei Jahren regelmäßig zu Gewaltattacken der „Lord’s Resistance Army“
auf die Bevölkerung, darunter auf viele Frauen und Kinder.
An diesem Dienstag
riefen etwa zwanzig Menschenrechtsorganisationen zur Hilfe für die Gebiete auf, in
denen die Rebellen wüten. Eine dieser Organisationen ist Oxfam. Radio Vatikan hat
mit dem Leiter von Oxfam in der Demokratischen Republik Kongo, Marcel Stoessel, gesprochen.
Er hält sich derzeit im Nordosten des Landes auf.
„Die Leute hier erinnern
sich sehr gut an das letzte Jahr, als an Weihnachten mehr als 300 Menschen massakriert
wurden. Sie haben Angst davor, was dieses Jahr passieren kann… 2008 wurden mehr als
800 Menschen umgebracht, 2009 mehr als 300. Außerdem ist den Leuten der Zugang zu
ihren Feldern versperrt. Im Dezember ist hier Erntezeit, und die Menschen können nicht
für ihren Lebensunterhalt sorgen, weil sie nicht der Ernte nachgehen können.“
Das
Morden gehe auch während des Jahres weiter, berichtet Stoessel. Im letzten Jahre seien
allein 1.000 Menschen ermordet oder gekidnappt worden; die Dunkelziffer liege vermutlich
noch höher. Von Fällen aus abgelegenen Gegenden erfahre man wegen der schwierigen
Nachrichtenverbindung auch oft erst viel später. Warum die Rebellen gerade an Weihnachten
verstärkt zuschlagen, kann der Menschenrechtler nur vermuten:
„Das ist
schwer zu sagen. Ganz offensichtlich ist Weihnachten ein symbolischer Augenblick,
es wird gefeiert, und in der Erntezeit gibt es viel zu essen. Wir haben gehört, dass
die Versorgungslage der LRA gerade heikel ist, die sind also auf der Suche nach Essen.
Außerdem ist der Wasserstand des Flusses in dieser Jahreszeit tiefer als sonst, so
dass sich die Rebellen leichter von A nach B bewegen können.“
Oxfam und
andere Hilfsorganisationen bemühen sich darum, mehr internationale Aufmerksamkeit
für die ausweglose Lage der Menschen in der Region zu wecken. Dass die US-Administration
und die Afrikanische Union Hilfsbereitschaft signalisieren, sieht der Menschenrechtler
positiv. Das Wüten der LRA müsse unterbunden werden, es brauche konkrete regionale
Lösungen, so Stoessel. Aber:
„Wir warnen gleichzeitig vor militärischer
Aktion. Davon gab es in der Vergangenheit viel, und wir haben gesehen, dass – wenn
die im Busch und diesen abgelegenen Gebieten nicht gut geplant ist – das zu noch
größerem Leiden der Zivilgesellschaft führt. Wir plädieren also dafür, in den Mittelpunkt
jeder Militäraktion den Schutz und das Wohlbefinden der Zivilgesellschaft zu stellen.
Und wir fordern die UNO-Kräfte in der Dem. Rep. Kongo dazu auf, dem Nordosten des
Landes mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Die größte Peace-Keeping-Mission der Welt
ist ja im Land stationiert, sie haben über 18.000 Leute, aber nur 850 sind in dem
von der LRA infiltriertem Gebiet präsent. Die LRA hat hier mehr Menschen als jede
andere militärische Gruppe umgebracht – wir meinen, dass die UNO dem Thema endlich
Priorität geben sollte!“
Die „Lord’s Resistance Army“, zu deutsch „Widerstandsarmee
des Herrn“, wurde ursprünglich 1987 in Uganda gegründet, wo sie im Norden des Landes
gegen die Regierung Yoweri Musevenis und für die Errichtung eines Gottesstaates kämpfte.
Nach Spaltung der Rebellengruppe ging ein Teil in die Demokratische Republik Kongo;
heute sind die Rebellen im Südsudan, der Demokratischen Republik Kongo und Zentralafrika
aktiv. Vor allem Frauen und Kinder sind ihre Opfer, so werden zum Beispiel viele gekidnappte
Minderjährige von den Rebellen als Sex-Sklaven oder Kindersoldaten missbraucht. Eine
kohärente Ideologie der Gruppe sei schwer auszumachen, so Stoessel:
„Es
ist schwer zu sehen, was ihre Ziele sind. Das Morden, Kidnappen, Vergewaltigung von
Zivilisten sind Kennzeichen der LRA, aber wir können nicht erkennen, was die Ziele
dieser Bewegung sind.“