Der Tsunami „Wikileaks“
hat am Freitagabend auch den Vatikan erreicht. Die Zeitungen „El Pais“ (Spanien) und
„La Repubblica“ (Italien) veröffentlichten vertrauliche Berichte von US-Diplomaten,
die den Vatikan als „italienisch geprägt, kryptisch und antiquiert“ schildern. Aus
den Depeschen ergibt sich, so urteilt „El Pais“, ein „Kulturschock zwischen einem
modernen, demokratischen Land und einem monarchischen Machtsystem, das hermetisch
und jahrhundertealt ist“. Die US-Diplomaten sähen es allerdings als wichtig an, den
Vatikan „als Verbündeten zu haben“.
„Not spin city“ – eine Stadt, die nicht
kommuniziert. So schildert eine Stimme aus der US-Botschaft beim Heiligen Stuhl im
Februar letzten Jahres den Vatikan. Sie zeigt sich besorgt darüber, dass es im Umfeld
des Papstes nur wenige gebe, die englisch sprächen, und beklagt „das Fehlen von abweichenden
Meinungen“. In einem anderen Bericht vom Januar resümiert allerdings dieselbe Berichterstatterin:
„Der Vatikan ist ein wunderbarer Verbündeter, der aber Nachhilfe in Public Relations
bräuchte.“ Die Klage über die schlechte Außendarstellung des Heiligen Stuhls zieht
sich als roter Faden durch die Depeschen – so „kodiert“ sei die Sprache an der Vatikanspitze,
„dass niemand sonst sie dechiffrieren kann“. Der israelische Botschafter beim Heiligen
Stuhl etwa habe einmal ein offizielles Statement bekommen, das aus Kuriensicht eine
positive Botschaft an Israel enthielt; doch weil diese Botschaft „dermaßen verschleiert“
war, habe der Diplomat sie beim besten Willen nicht verstanden.
Kardinalstaatssekretär
Tarcisio Bertone schildern die Kabelberichte als einen „Yes Man“ – einen Jasager.
Er sei zu oft außerhalb von Rom unterwegs, spreche kein Englisch und beschäftige sich
lieber mit spirituellen Fragen als mit Außenpolitik; „nicht wenige“ hofften, dass
er bald in Ruhestand gehe. Nur sehr vorsichtig urteilen die US-Analysen über Papst
Benedikt: Er „irritiert manchmal Politiker und Journalisten, indem er das tut, was
er für das Beste für die Kirche hält“. Beeindruckt sind die Amerikaner von Papstsprecher
Federico Lombardi: Dieser habe sogar einen Blackberry. Das sei „eine Anomalie in einer
Kultur, wo viele führende Gestalten nicht mal eine Email-Adresse haben“. Allerdings
übe Lombardi keinen direkten Einfluss auf Benedikt XVI. aus und veröffentliche Statements
eher, als dass er ihnen Form gebe.
Interessant in den als „geheim“ klassifizierten
US-Depeschen sind außenpolitische Schlaglichter: Benedikt XVI. sei eigentlich gegen
einen Beitritt der Türkei zur EU, der Vatikan hoffe auf einen Dialog der USA mit Kuba,
und eine Stimme aus dem vatikanischen Staatssekretariat sehe Venezuelas Präsidenten
Hugo Chavez als wahren Erben von Fidel Castro. Schmerzlich sind die Wikileaks-Enthüllungen,
die die Missbrauchsskandale an kirchlichen Einrichtungen in Irland betreffen: Nach
Darstellung der US-Diplomaten sei der Vatikan über die so genannte Murphy-Untersuchungskommission
verstimmt gewesen. Die Art und Weise, wie die Kommission direkt, ohne die üblichen
diplomatischen Kanäle zu nutzen, Anfragen an den Heiligen Stuhl richtete, habe diesen
„verärgert“. Allerdings brachten die „Vatikan-Kontakte“ gegenüber ihren Gesprächspartnern
an der US-Botschaft „sofort tiefes Mitgefühl für die Opfer von Kindesmissbrauch zum
Ausdruck und betonten, es sei oberste Priorität, zu verhindern, dass sich so etwas
wiederhole“.
Auf eine Anfrage der Nachrichtenagentur ansa hat Vatikansprecher
Lombardi (das ist der mit dem Blackberry) darauf hingewiesen, dass eine solche Veröffentlichung
vertraulicher Berichte „extrem schwerwiegend“ sei. Aber „natürlich geben solche Berichte
nur die Haltungen und Meinungen ihrer Autoren wieder und können nicht als Meinungsäußerungen
des Heiligen Stuhls betrachtet werden“. Wie verlässlich diese Berichte seien, müsse
also „mit Einschränkungen und großer Vorsicht“ beurteilt werden.