2010-12-04 10:43:19

Medienethiker: „Wikileaks ist differenziert zu betrachten“


RealAudioMP3 Die Veröffentlichung von geheimen und vertraulichen US-Dokumenten durch Wikileaks erschüttert derzeit die Welt der Diplomatie. Sind wir auf dem Weg zu einer Gesellschaft billiger Verräter? Das fragen sich Beobachter des Internet-Phänomens. Aus Sicht der christlichen Sozialethik kann man das Portal Wikileaks nicht pauschal verurteilen oder loben. Das sagt der Medienethiker Alexander Filipovic im Gespräch mit Mario Galgano. Filipovic ist im Akademischen Rat am Institut für Christliche Sozialwissenschaften an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster. Seine Meinung über Wikileaks aus katholisch-ethischer Sicht lautet:

„Wenn wir von der christlichen Sozialethik ausgehen, dann geht es um die Gerechtigkeit und den Frieden in unserer modernen Welt. Alles, was unsere Welt gerechter und friedvoller macht, ist zu unterstützen. Da stellt sich dann die Frage, ob Wikileaks die Welt tatsächlich gerechter und friedvoller macht. Ich würde zuerst aber dafür plädieren, dass dieses Projekt nicht dämonisiert wird aber auch nicht unumwunden zum Segen der Menschheit zu erklären. Man muss dieses Phänomen differenziert betrachten. Die christliche Sozialethik unterstützt Bemühungen, die Öffentlichkeit zu informieren. Politisches Handeln muss dabei demokratisch legitimiert sein. So beurteilt die christliche Sozialethik die Politik.“

Rechtlich gesehen haben die Macher von Wikileaks nichts zu befürchten. Ist denn alles was legal ist, auch ethisch „einwandfrei“?

„Natürlich ist nicht alles, was legal ist, ethisch einwandfrei. Es ist zu hoffen, dass das Legale auch moralisch richtig ist. Im politischen Kontext liegen die Grenzen dort, wo verantwortungsvolle Politik durch die Veröffentlichung von geheimen Dokumenten unmöglich gemacht wird. Politische Akteure müssen sich gerade auf der internationalen Bühne darauf verlassen können, dass Vertraulichkeit gewährleistet wird. Ansonsten werden sie sich nicht mehr äußern. Dass die Welt sicherer, gerechter und friedvoller wird, wenn nicht mehr geredet wird, ist zu bezweifeln. Der Vertrauensbruch, der durch die Wikileaks-Veröffentlichungen geschehen ist, kann auch politisches Handeln schwieriger machen. Im wirtschaftlichen Kontext ist die Lage natürlich eine andere. Unternehmen unterliegen anderen Anforderungen im Gegensatz zur Politik. Aber auch Unternehmen sind dem Gemeinwohl verpflichtet. Wenn die Veröffentlichung von Daten über Missstände im Bankensektor beweisen würde – wie dies jetzt angekündigt wurde – dann ist das aus sozialethischer Sicht a priori nicht schlecht. Wichtig ist aber, dass der Persönlichkeitsschutz gewährleistet wird.“

Und wie ist denn mit dem Verhältnis zwischen Privatsphäre und Datenschutz? Was ist höher zu gewichten?

„Das ist eine schwierige Frage. Privatsphäre und Datenschutz sind beide außerordentlich wichtig. Die Privatsphäre muss unbedingt geschützt werden. Man stelle sich vor, es werden Krankendaten veröffentlicht, um beispielsweise die Korruption im Gesundheitssystem aufzuzeigen. Da wird aber mit den persönlichen Privatdaten verantwortungslos umgegangen. Deshalb wäre so etwas hundertprozentig zu kritisieren. Hinzu kommt noch, dass auch Informanten geschützt werden müssen. Vorverurteilungen anhand bloßer Dokumente müssen vermieden werden. Damit will ich sagen, dass es Gründe gibt, Missstände zu veröffentlichen, aber ein verantwortliches Abwägen bei der Veröffentlichung von sensiblen Daten ist wichtig. Da fragt man sich aber, ob ein solches verantwortbares Abwägen bei Wikileaks überhaupt möglich ist; dies scheint aber nicht der Fall zu sein.“

(rv 05.12.2010 mg)







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