Medienethiker: „Wikileaks ist differenziert zu betrachten“
Die Veröffentlichung
von geheimen und vertraulichen US-Dokumenten durch Wikileaks erschüttert derzeit die
Welt der Diplomatie. Sind wir auf dem Weg zu einer Gesellschaft billiger Verräter?
Das fragen sich Beobachter des Internet-Phänomens. Aus Sicht der christlichen Sozialethik
kann man das Portal Wikileaks nicht pauschal verurteilen oder loben. Das sagt der
Medienethiker Alexander Filipovic im Gespräch mit Mario Galgano. Filipovic ist im
Akademischen Rat am Institut für Christliche Sozialwissenschaften an der Westfälischen
Wilhelms-Universität in Münster. Seine Meinung über Wikileaks aus katholisch-ethischer
Sicht lautet:
„Wenn wir von der christlichen Sozialethik ausgehen, dann
geht es um die Gerechtigkeit und den Frieden in unserer modernen Welt. Alles, was
unsere Welt gerechter und friedvoller macht, ist zu unterstützen. Da stellt sich dann
die Frage, ob Wikileaks die Welt tatsächlich gerechter und friedvoller macht. Ich
würde zuerst aber dafür plädieren, dass dieses Projekt nicht dämonisiert wird aber
auch nicht unumwunden zum Segen der Menschheit zu erklären. Man muss dieses Phänomen
differenziert betrachten. Die christliche Sozialethik unterstützt Bemühungen, die
Öffentlichkeit zu informieren. Politisches Handeln muss dabei demokratisch legitimiert
sein. So beurteilt die christliche Sozialethik die Politik.“
Rechtlich
gesehen haben die Macher von Wikileaks nichts zu befürchten. Ist denn alles was legal
ist, auch ethisch „einwandfrei“?
„Natürlich ist nicht alles, was legal ist,
ethisch einwandfrei. Es ist zu hoffen, dass das Legale auch moralisch richtig ist.
Im politischen Kontext liegen die Grenzen dort, wo verantwortungsvolle Politik durch
die Veröffentlichung von geheimen Dokumenten unmöglich gemacht wird. Politische Akteure
müssen sich gerade auf der internationalen Bühne darauf verlassen können, dass Vertraulichkeit
gewährleistet wird. Ansonsten werden sie sich nicht mehr äußern. Dass die Welt sicherer,
gerechter und friedvoller wird, wenn nicht mehr geredet wird, ist zu bezweifeln. Der
Vertrauensbruch, der durch die Wikileaks-Veröffentlichungen geschehen ist, kann auch
politisches Handeln schwieriger machen. Im wirtschaftlichen Kontext ist die Lage natürlich
eine andere. Unternehmen unterliegen anderen Anforderungen im Gegensatz zur Politik.
Aber auch Unternehmen sind dem Gemeinwohl verpflichtet. Wenn die Veröffentlichung
von Daten über Missstände im Bankensektor beweisen würde – wie dies jetzt angekündigt
wurde – dann ist das aus sozialethischer Sicht a priori nicht schlecht. Wichtig ist
aber, dass der Persönlichkeitsschutz gewährleistet wird.“
Und wie ist denn
mit dem Verhältnis zwischen Privatsphäre und Datenschutz? Was ist höher zu gewichten?
„Das
ist eine schwierige Frage. Privatsphäre und Datenschutz sind beide außerordentlich
wichtig. Die Privatsphäre muss unbedingt geschützt werden. Man stelle sich vor, es
werden Krankendaten veröffentlicht, um beispielsweise die Korruption im Gesundheitssystem
aufzuzeigen. Da wird aber mit den persönlichen Privatdaten verantwortungslos umgegangen.
Deshalb wäre so etwas hundertprozentig zu kritisieren. Hinzu kommt noch, dass auch
Informanten geschützt werden müssen. Vorverurteilungen anhand bloßer Dokumente müssen
vermieden werden. Damit will ich sagen, dass es Gründe gibt, Missstände zu veröffentlichen,
aber ein verantwortliches Abwägen bei der Veröffentlichung von sensiblen Daten ist
wichtig. Da fragt man sich aber, ob ein solches verantwortbares Abwägen bei Wikileaks
überhaupt möglich ist; dies scheint aber nicht der Fall zu sein.“