2010-11-14 12:46:29

Erzbischof Koch: „Wir brauchen eine Situationsvergewisserung“


RealAudioMP3 Der Einheitsrat feiert sein 50-jähriges Bestehen - und auch heute noch gibt es einige Herausforderungen für diese Vatikan-Stelle. So haben einige anglikanische Bischöfe diese Woche angekündigt, zum Katholizismus übertreten zu wollen. Das kommt fast ein Jahr nach dem Papst-Erlass „Anglicanorum coetibus“, der am 9. November 2009 erschienen ist. Mario Galgano hat den Ökumene-Verantwortlichen im Vatikan, den Schweizer Erzbischof Kurt Koch, gefragt, was diese Ankündigung der anglikanischen Bischöfe für eine Bedeutung hat.

„Dass Einzelne auch im Zeitalter der Ökumene von einer Kirche in eine andere übertreten, hat es immer gegeben. Es hat auch Priester gegeben, die in der Vergangenheit übergetreten sind. Neu ist, dass auch Bischöfe teils mit ganzen Gruppierungen übertreten. Hier in Rom haben wir eine klare Arbeitsteilung. Der Rat für die Einheit der Christen ist zuständig für den ökumenischen Dialog. Die Frage der Aufnahme der Anglikaner, die konvertieren möchten, gehört zum Zuständigkeitsbereich der Glaubenskongregation.“

Es ist nun auch so, dass unter diesen anglikanischen Bischöfen auch etliche gibt, die verheiratet sind. Ist das für die katholische Kirche nicht eine unüberwindbare Herausforderung?

„Bei den Priestern haben wir bereits Erfahrungen. Sie bleiben verheiratete Priester. In der Tat besteht das Problem bei den verheirateten Bischöfen, weil unsere Tradition – und das gilt im Übrigen auch bei den Orthodoxen – keine verheirateten Bischöfe kennt. Hier muss also eine Lösung gefunden werden.“

Einer dieser anglikanischen Bischöfe hat in der „Times“ angekündigt, dass mehrere tausend Anglikaner konvertieren möchten. Ist das aus Sicht des Dialogs mit den Anglikanern nicht ein Problem? Die anglikanische Kirche wird ja kaum Freude daran haben.

„Das ist sicher eine schwierige Situation für die anglikanische Gemeinschaft. Das ist die eine Seite. Was unsere Kirche betrifft, so geht es darum, Menschen zu helfen, die bei uns sozusagen anklopfen und in die Gemeinschaft der Kirche aufgenommen werden möchten. Der Heilige Vater kann nichts anderes tun, als die Türe öffnen und sie empfangen, wenn die richtigen Voraussetzungen gegeben sind. Das sollte den ökumenischen Dialog nicht belasten, weil nichtsdestotrotz die Einheit gesucht wird. Insofern sehe ich darin keinen Gegensatz.“

Apropos Einheit: Der Einheitsrat feiert nun sein 50-jähriges Bestehen. Das waren sicherlich Jahrzehnte mit einigen Höhepunkten und Schwierigkeiten. Sie sind zwar erst seit wenigen Monaten Präsident dieses Rates, aber welche Bilanz ziehen Sie dennoch nach 50 Jahren Einheitsrat?

„Es war eine große Tat von Papst Johannes XXIII., dass er noch vor dem Konzil das Sekretariat zur Förderung der Einheit der Christen begründet hat. Damals der Leitung von Kardinal Augustin Bea beauftragt hat. Sie haben dafür gesorgt, dass die zwei Grundanliegen von Johannes XXIII. – nämlich die Förderung der Einheit der Christen und die Erneuerung der katholischen Kirche – im Konzil guten Eingang gefunden haben. In dieser Zeit hat es sehr viel Arbeit gegeben. Es sind sehr viele Dialoge geführt worden. Der Einheitsrat führt heute mit 15 verschiedenen Kirchen Dialoge. Da konnte in der Tat sehr viel erzielt werden. Aber es ist auch sehr viel Veränderung geschehen. Das gilt insbesondere für jene Gemeinschaften, die aus der Reformation entstanden sind. Hier ist das Ziel der Ökumene immer mehr undeutlich geworden. Wir brauchen heute eine Situationsvergewisserung, in welche Richtung wir gemeinsam weitergehen wollen.“

Wenn man den ökumenischen Dialog betrachtet, so hat man den Eindruck – zumindest als Nicht-Experte – dass der Dialog mit den Kirchen des Ostens weniger problematisch ist. Vor Kurzem hat der orthodoxe Metropolit von Minsk, Filaret, behauptet, dass ein Treffen des Papstes mit dem Moskauer Patriarchen unmittelbar bevorstehe. Wie sehen Sie den Dialog mit den Orthodoxen? Gibt es da wirklich weniger Schwierigkeiten?

„Jeder Dialog hat seine eigenen Probleme. Mit den Kirchen des Ostens muss man klar unterscheiden: Es gibt die orthodoxen Kirchen. Und es gibt die altorientalischen Kirchen. Diese haben ihre eigenen Fragen und eigene Fortschritte sowie eigenen Schwierigkeiten. Im Dialog mit den Orthodoxen haben wir vor einiger Zeit in Ravenna einen großen Schritt unternehmen können. Beide Kirchengemeinschaften sind darüber einig, dass es auf der Ebene des Ortes und der Region sowie der universalen Dimension einen Protos – also einen Ersten – braucht. Die Frage, die wir uns vorgenommen hatten, ist, wie dieser Protos als Bischof von Rom im ersten Jahrtausend einer uns gemeinsamen Geschichte ausgeübt hat. Da sind wir aber ein bisschen ins Stocken geraten. Beide Seiten dieselbe Geschichte anders lesen. Wir werden jetzt den Dialog weiter führen mit einer theologischen Reflexion über das Verhältnis zwischen Primat und Synodalität der Kirche.“

Sie haben auch von den Altorientalen gesprochen. Das sind ja vor allem Kirchen, die im Nahen Osten sind. Was ist Ihr Fazit von der Nahostsynode im Vatikan aus Sicht der Ökumene?

„Die katholischen Ostkirchen haben eine grundlegende Bedeutung. Sie können eine Brückenbaufunktion ausüben, weil sie auf der einen Seite die orientalische Tradition leben. Sie haben ihre Riten. Auf der anderen Seite stehen sie in voller Einheit mit dem Bischof von Rom. Insofern leben sie im Grunde genommen schon etwas vorweg, was in der Ökumene mit den Orthodoxen noch gefunden werden muss.“

Um den Kreis zu schließen: Der Papst hat Sie ernannt, weil es ihm auch ein Anliegen ist, den Dialog mit den evangelischen Kirchen zu fördern. Wie sieht es im Augenblick aus? Gibt es überhaupt einen Dialog mit den reformierten Gemeinschaften?

„Man muss zunächst einmal sehen, dass innerhalb des Weltprotestantismus keine nennenswerten Bewegungen auf mehr Einheit hin stattfinden. Es gibt im Gegenteil viele neue Fragmentierungen. Immer mehr Gruppierungen suchen den Dialog mit uns. Sie fühlen sich nicht mehr in den großen Bünden beheimatet. Was vom Inhalt her notwendig ist, ist die Frage: Was ist überhaupt Kirche? Denn die Aussage des Dokuments „Dominus Jesus“ von 2000, dass die aus der Reformation hervorgegangenen kirchlichen Gemeinschaften nicht Kirche im eigentlichen Sinne sind, hat ja ungeheuer viel Ärger ausgelöst. Aber es hilft ja nicht 30 Jahre lang traurig darüber zu sein. Jetzt muss vielmehr der Dialog in Gang kommen, was wir als katholische oder protestantische Gemeinschaft überhaupt unter Kirche verstehen. Eine weitere Frage ist, wie wir Schritte unternehmen können, um auf ein gemeinsameres Kirchenverständnis zu machen.“

Herr Erzbischof Koch, herzlichen Dank für das Gespräch.

(rv 13.11.2010 mg)







All the contents on this site are copyrighted ©.