Erzbischof Koch: „Wir brauchen eine Situationsvergewisserung“
Der Einheitsrat feiert
sein 50-jähriges Bestehen - und auch heute noch gibt es einige Herausforderungen für
diese Vatikan-Stelle. So haben einige anglikanische Bischöfe diese Woche angekündigt,
zum Katholizismus übertreten zu wollen. Das kommt fast ein Jahr nach dem Papst-Erlass
„Anglicanorum coetibus“, der am 9. November 2009 erschienen ist. Mario Galgano hat
den Ökumene-Verantwortlichen im Vatikan, den Schweizer Erzbischof Kurt Koch, gefragt,
was diese Ankündigung der anglikanischen Bischöfe für eine Bedeutung hat.
„Dass
Einzelne auch im Zeitalter der Ökumene von einer Kirche in eine andere übertreten,
hat es immer gegeben. Es hat auch Priester gegeben, die in der Vergangenheit übergetreten
sind. Neu ist, dass auch Bischöfe teils mit ganzen Gruppierungen übertreten. Hier
in Rom haben wir eine klare Arbeitsteilung. Der Rat für die Einheit der Christen ist
zuständig für den ökumenischen Dialog. Die Frage der Aufnahme der Anglikaner, die
konvertieren möchten, gehört zum Zuständigkeitsbereich der Glaubenskongregation.“
Es
ist nun auch so, dass unter diesen anglikanischen Bischöfen auch etliche gibt, die
verheiratet sind. Ist das für die katholische Kirche nicht eine unüberwindbare Herausforderung?
„Bei
den Priestern haben wir bereits Erfahrungen. Sie bleiben verheiratete Priester. In
der Tat besteht das Problem bei den verheirateten Bischöfen, weil unsere Tradition
– und das gilt im Übrigen auch bei den Orthodoxen – keine verheirateten Bischöfe kennt.
Hier muss also eine Lösung gefunden werden.“
Einer dieser anglikanischen
Bischöfe hat in der „Times“ angekündigt, dass mehrere tausend Anglikaner konvertieren
möchten. Ist das aus Sicht des Dialogs mit den Anglikanern nicht ein Problem? Die
anglikanische Kirche wird ja kaum Freude daran haben.
„Das ist sicher eine
schwierige Situation für die anglikanische Gemeinschaft. Das ist die eine Seite. Was
unsere Kirche betrifft, so geht es darum, Menschen zu helfen, die bei uns sozusagen
anklopfen und in die Gemeinschaft der Kirche aufgenommen werden möchten. Der Heilige
Vater kann nichts anderes tun, als die Türe öffnen und sie empfangen, wenn die richtigen
Voraussetzungen gegeben sind. Das sollte den ökumenischen Dialog nicht belasten, weil
nichtsdestotrotz die Einheit gesucht wird. Insofern sehe ich darin keinen Gegensatz.“
Apropos
Einheit: Der Einheitsrat feiert nun sein 50-jähriges Bestehen. Das waren sicherlich
Jahrzehnte mit einigen Höhepunkten und Schwierigkeiten. Sie sind zwar erst seit wenigen
Monaten Präsident dieses Rates, aber welche Bilanz ziehen Sie dennoch nach 50 Jahren
Einheitsrat?
„Es war eine große Tat von Papst Johannes XXIII., dass er noch
vor dem Konzil das Sekretariat zur Förderung der Einheit der Christen begründet hat.
Damals der Leitung von Kardinal Augustin Bea beauftragt hat. Sie haben dafür gesorgt,
dass die zwei Grundanliegen von Johannes XXIII. – nämlich die Förderung der Einheit
der Christen und die Erneuerung der katholischen Kirche – im Konzil guten Eingang
gefunden haben. In dieser Zeit hat es sehr viel Arbeit gegeben. Es sind sehr viele
Dialoge geführt worden. Der Einheitsrat führt heute mit 15 verschiedenen Kirchen Dialoge.
Da konnte in der Tat sehr viel erzielt werden. Aber es ist auch sehr viel Veränderung
geschehen. Das gilt insbesondere für jene Gemeinschaften, die aus der Reformation
entstanden sind. Hier ist das Ziel der Ökumene immer mehr undeutlich geworden. Wir
brauchen heute eine Situationsvergewisserung, in welche Richtung wir gemeinsam weitergehen
wollen.“
Wenn man den ökumenischen Dialog betrachtet, so hat man den Eindruck
– zumindest als Nicht-Experte – dass der Dialog mit den Kirchen des Ostens weniger
problematisch ist. Vor Kurzem hat der orthodoxe Metropolit von Minsk, Filaret, behauptet,
dass ein Treffen des Papstes mit dem Moskauer Patriarchen unmittelbar bevorstehe.
Wie sehen Sie den Dialog mit den Orthodoxen? Gibt es da wirklich weniger Schwierigkeiten?
„Jeder
Dialog hat seine eigenen Probleme. Mit den Kirchen des Ostens muss man klar unterscheiden:
Es gibt die orthodoxen Kirchen. Und es gibt die altorientalischen Kirchen. Diese haben
ihre eigenen Fragen und eigene Fortschritte sowie eigenen Schwierigkeiten. Im Dialog
mit den Orthodoxen haben wir vor einiger Zeit in Ravenna einen großen Schritt unternehmen
können. Beide Kirchengemeinschaften sind darüber einig, dass es auf der Ebene des
Ortes und der Region sowie der universalen Dimension einen Protos – also einen Ersten
– braucht. Die Frage, die wir uns vorgenommen hatten, ist, wie dieser Protos als Bischof
von Rom im ersten Jahrtausend einer uns gemeinsamen Geschichte ausgeübt hat. Da sind
wir aber ein bisschen ins Stocken geraten. Beide Seiten dieselbe Geschichte anders
lesen. Wir werden jetzt den Dialog weiter führen mit einer theologischen Reflexion
über das Verhältnis zwischen Primat und Synodalität der Kirche.“
Sie haben
auch von den Altorientalen gesprochen. Das sind ja vor allem Kirchen, die im Nahen
Osten sind. Was ist Ihr Fazit von der Nahostsynode im Vatikan aus Sicht der Ökumene?
„Die
katholischen Ostkirchen haben eine grundlegende Bedeutung. Sie können eine Brückenbaufunktion
ausüben, weil sie auf der einen Seite die orientalische Tradition leben. Sie haben
ihre Riten. Auf der anderen Seite stehen sie in voller Einheit mit dem Bischof von
Rom. Insofern leben sie im Grunde genommen schon etwas vorweg, was in der Ökumene
mit den Orthodoxen noch gefunden werden muss.“
Um den Kreis zu schließen:
Der Papst hat Sie ernannt, weil es ihm auch ein Anliegen ist, den Dialog mit den evangelischen
Kirchen zu fördern. Wie sieht es im Augenblick aus? Gibt es überhaupt einen Dialog
mit den reformierten Gemeinschaften?
„Man muss zunächst einmal sehen, dass
innerhalb des Weltprotestantismus keine nennenswerten Bewegungen auf mehr Einheit
hin stattfinden. Es gibt im Gegenteil viele neue Fragmentierungen. Immer mehr Gruppierungen
suchen den Dialog mit uns. Sie fühlen sich nicht mehr in den großen Bünden beheimatet.
Was vom Inhalt her notwendig ist, ist die Frage: Was ist überhaupt Kirche? Denn die
Aussage des Dokuments „Dominus Jesus“ von 2000, dass die aus der Reformation hervorgegangenen
kirchlichen Gemeinschaften nicht Kirche im eigentlichen Sinne sind, hat ja ungeheuer
viel Ärger ausgelöst. Aber es hilft ja nicht 30 Jahre lang traurig darüber zu sein.
Jetzt muss vielmehr der Dialog in Gang kommen, was wir als katholische oder protestantische
Gemeinschaft überhaupt unter Kirche verstehen. Eine weitere Frage ist, wie wir Schritte
unternehmen können, um auf ein gemeinsameres Kirchenverständnis zu machen.“
Herr
Erzbischof Koch, herzlichen Dank für das Gespräch.