Hans Küng: Maß für Wirtschaft und Politik muss Menschenwürde sein
Eine „institutionalisierte
Gier“ sieht der Theologe Hans Küng als einen der Hauptgründe für die herrschende Wirtschafts-
bzw. Finanzkrise: Diese sei z.B. die Motivation gewesen, um notwendige Regulierungen
abzuschaffen. Das meinte Küng bei der Präsentation seines Buchs „Anständig wirtschaften“
in Wien. Küng sprach auch von einem „Versagen der Märkte, der Institutionen und der
Moral“. „Das Maß für die Wirtschaft und die Politik ist: Die Menschenwürde muss im
Zentrum stehen“, so der Theologe.
Dabei gehe es zuallererst nicht um Spezialregeln,
sondern um „Regeln, die für alle gelten“. Das Hauptproblem im Hinblick auf heutiges
Wirtschaften sei, „dass wir fast überall Probleme haben“, so Küng: „Wir müssen gleichzeitig
an verschiedenen Problemen arbeiten.“ Dazu gehörten einerseits „Probleme des Marktes;
wir brauchen neue Regulierungen der Märkte“. Außerdem stünden Fragen der Institutionen
im Raum: „Wir brauchen bessere Aufsichtsbehörden, die auch besser ausgestattet sind“.
Und schließlich sprach Küng „das Problem der Moral“ an: „Es ist eine Seuche gewesen,
dass man meinte, man könne um des Geldes Willen alles machen. Es muss wieder deutlich
werden, dass gewisse Dinge nicht gehen - und dass es der Wirtschaft nur dann hilft,
wenn sie anständig wirtschaftet.“
Oberster Wert könne nicht die Wirtschaft
sein, „auch wenn es so scheint, als ob Wirtschaft alles bestimmt. Aber wenn sie alles
bestimmt, dann kann es nur schiefgehen“, sagte Küng. Es sei notwendig, dass Politik
„nicht nur verlängerter Arm der Wirtschaft“ sei, sondern sie müsse Rahmenbedingungen
und Regulierungen schaffen „und als Vertreterin des Volkes schauen, dass sich die
Wirtschaft an bestimmte Regeln hält“. Beide, Politik und Wirtschaft, müssten sich
an das Ethos halten, erklärte der Theologe: „Die Werteordnung muss so sein, dass das
Ethos Normen bietet für Wirtschaft und Politik.“
Dabei gebe es nicht „besondere“
Regeln für das Bankenwesen, „sondern es sind zunächst einmal ganz grundlegende Regeln,
die für alle gelten“, betonte Küng. Primär gehe es um Ehrlichkeit und Wiederherstellung
des Vertrauens: „Das Vertrauen ist abhandengekommen, weil man ständig gelogen hat,
weil man sich bestohlen vorgekommen ist.“
Natürlich gehe es auch nicht ohne
Gesetze. Das Problem an Gesetzen sei aber, dass man sie umgehen und „bis zum Letzten
ausnützen“ könne: „Das zeigt, dass wir die Ebene des Gewissens brauchen, den inneren
Gerichtshof“, so der Theologe: „Ethos hat keine äußeren, aber innere Sanktionen.“
Auf die Frage, wie er denn als Theologe über Wirtschaft sprechen könne, meinte
Küng: „Das ist doch unser Leben. Das ist eine Dimension unseres Daseins. Und wenn
etwas schief geht in der Wirtschaft, wenn z. B. die Geldwirtschaft unabhängig wird
von der Realwirtschaft und darüber schwebt, nur noch in sich selber spult, und gewisse
Leute ungeheure Vermögen machen auf Kosten anderer: Dann stimmt da was nicht mehr.“
Sein Anliegen, Probleme aufzuzeigen, um Verbesserungen möglich zu machen, finde langsam
Gehör: „Es ist ein langsamer Bewusstseinswandel, der aber eingesetzt hat", meinte
Küng: "Heute ist ein ganz starkes Bewusstsein in der Bevölkerung da, dass vieles schiefgelaufen
ist und dass man nicht mehr bereit ist, alles hinzunehmen. Insofern muss man nicht
an der Menschheit verzweifeln.“ „Anständig wirtschaften“ ist im September im Piper-Verlag
erschienen.
Dem Theologen Küng wurde in den achtziger Jahren von den deutschen
Bischöfen die kirchliche Lehrerlaubnis entzogen. Seitdem wurde der gebürtige Schweizer
von Tübingen aus für seinen Einsatz für ein „Weltethos“ und für den interreligiösen
Dialog bekannt. Immer wieder fällt er durch heftige Vatikankritik auf; 2005 empfing
ihn Papst Benedikt XVI. in Castelgandolfo zu einem Gespräch.