Walter Jürgen Schmid
ist seit Mitte September der neue deutsche Botschafter beim Heiligen Stuhl. Radio
Vatikan hat sich mit ihm über Wertedebatte und die Rolle der Kirche, über PID und
Integrationsdebatte in Deutschland unterhalten.
Papst Benedikt XVI. hat in
seiner Ansprache bei Ihrem Amtsantritt vor dem „unpersönlichen Gott“ gewarnt, der
nicht sieht und nicht erkennt und der in ethischen und moralischen Fragen keine Orientierung
mehr sein kann. Trifft das die religiöse und kulturelle Realität Deutschlands?
„Der
Papst hat in seiner Ansprache bei der Übergabe der Beglaubigungsschreiben die Punkte
angesprochen, die ihm wichtig erscheinen, was Deutschland angeht. Er hat in der Ansprache
drei Punkte genannt, die ihm wichtig erschienen sind. Der erste ist die Stärkung des
christlichen Glaubens in Deutschland. Das zweite war die Frage des Schutzes des Sakramentes
der Ehe aus seiner Sicht und das dritte war die Frage, wie wir mit technologischen
Fortschritten etwa im Bereich der Biotechnologie umzugehen haben. Alle drei Punkte
sind natürlich – das ist niemandem ein Geheimnis – Gegenstand intensiver Diskussion
der Werte in Deutschland. Die katholische Kirche ist in diesem Zusammenhang natürlich
ein wichtiger Gesprächspartner in diesem Dialog.“
Hat Deutschland Ihrer
Einschätzung nach noch so etwas wie einen gemeinsamen Wertekanon?
„Ich würde
sagen, dass wir ihn gerade zumindest diskutieren. Nehmen Sie etwa den letzten Punkt,
die Nutzung des technologischen Fortschritts der Biotechnologie. Da haben wir in Deutschland
im Augenblick eine sehr intensive Diskussion, wie wir etwa mit der Präimplantationsdiagnostik
verfahren sollen. Das ist eine Frage, die – und genau so wird der politische Prozess
laufen – auf eine Gewissensentscheidung hinausläuft. Alle, die in dieser Frage mitdiskutieren,
sind natürlich bestrebt, hier für die Menschen die beste Lösung zu finden. Und in
dieser Diskussion hat der Papst seine Position klar und deutlich gemacht.“
Viele
Stimmen gerade bei der Frage der PID sagen, hier würde ein Linie überschritten, da
gehe es um mehr als Werte, da gehe es um das Leben selbst. Worte wie „Selektion“ und
„unwertes Leben“ fallen.
„Das würde ich nicht so sehen. Ich glaube, es geht
im Augenblick darum, hier eine Lösung zu finden, die den Menschen am besten gerecht
wird. Dass es unterschiedliche Sichtweisen und Positionen dazu gibt, ist deutlich,
ist aber auch eine Problematik, die wir öfters haben, wenn wir Moral und Ethik diskutieren.
Das entscheidende ist, dass wir Verfahren finden, um das vernünftig zu lösen.“
Eine
weitere Wertedebatte in Deutschland dreht sich um die Integration von Ausländern.
Der Papst hat in seiner Botschaft zum Weltmigrantentag noch einmal betont, dass Auswanderung
ein Recht, aber auch Verpflichtung ist. Ist das auch eine Kritik an Deutschland und
der Debatte um die Immigration und Integration?
„Ich glaube, wir können
zu dem Ergebnis kommen, dass alle der Überzeugung sind, dass wir Handlungsbedarf haben.
Wir haben gemeinsam in Deutschland zu leben. Und dafür gibt es verbindliche Richtlinien.
Diese verbindliche Richtlinie – auch das ist in der Diskussion klar geworden – ist
unsere Verfassung. Wir haben davon auszugehen, und das hat der Papst ja auch angesprochen,
dass diejenigen, die in ein Land immigrieren, auch Verpflichtungen unterliegen. Wir
sehen die Verpflichtungen darin, dass Integration heißt, dass alle gemeinsam nach
den Vorgaben des Grundgesetzes zu leben haben. So müssen wir etwa beim Thema Zwangsehe
ganz klare Maßnahmen ergreifen, dass dieses grundgesetzwidrige Verhalten nicht stattfinden
kann.“
Herr Botschafter, herzlichen Dank für das Gespräch. (rv 30.10.2010
ord)