Kommunikation in neun Monaten Krise: „Ein stürmisches Geschäft“
Neun Monate ist es
her, seitdem die deutschsprachigen Kirchen sich mit ihrer dunklen Vergangenheit, mit
Missbrauch, Duldung und mit Wegschauen befassen müssen. Viel wurde gelernt, unter
anderem auch in Sachen Kommunikation und Umgang der Medien mit der Kirche. Im Mittelpunkt
der Debatte stand unter anderem die Deutsche Bischofskonferenz. Mit deren Sprecher
Matthias Kopp (unserem früheren Redakteur) hat sich Radio Vatikan über die Erfahrungen
der letzten Monate unterhalten:
Herr Kopp, neun Monate lang
befassen wir uns jetzt mit Missbrauch und der Aufklärung von Missbrauch, und wir haben
dabei einiges gelernt. Was haben wir in Sachen Kommunikation gelernt? Was hat die
katholische Kirche in Sachen Kommunikation und Umgang mit Öffentlichkeit gelernt?
„Wir
haben, glaube ich, deutlich gemacht, dass wir es geschafft haben, als katholische
Kirche in Deutschland eine gute und vernetzte Kommunikation zwischen den Bistümern
durchzuführen. Wir waren ja als Kirche insgesamt gefragt, wir waren als Bischofskonferenz
gefragt, als Bistum X oder Y; die Krise hat uns zusammengeführt, dass wir besser vernetzt
denken. Das ist ein ganz wichtiger Punkt gewesen. Ein zweiter Punkt ist, dass uns
deutlich geworden ist, dass wir manchmal noch schneller reagieren müssen. Die Schnellebigkeit
der Medien ist das Eine, aber die schnelle und transparente Information ist das Andere!
Da ist vieles gut gelaufen, aber anderes kann noch besser laufen. Der dritte Punkt,
den wir gelernt haben, ist, Kommunikation in besonders komplexen Zusammenhängen so
zu verpacken, dass sie auch nach draußen verstanden wird. Die Debatte, die
wir vor allem im April und Mai hatten, war ja plötzlich nicht mehr eine Debatte über
Missbrauch, sondern über Zölibat. Der Zölibat wurde mit Missbrauch in Verbindung gebracht
– und wir mussten sehr genau hinschauen, wie man eigentlich den Zölibat noch positiv
erklären kann. Diese Frage von Sprache und von Erklärstücken ist ein Gebiet, wo wir
in diesem Jahr noch einmal eine Menge gelernt haben.“
Als
Sprecher haben Sie in der Mitte des Sturms gestanden, zumindest was die Öffentlichkeit
anging. Was haben Sie persönlich in ihrem Job gelernt?
„Ich
habe gelernt, dass wir nach wir vor am Vertrauen den Medien gegenüber weiterarbeiten
müssen. Es gibt ein vertrauensvolles Verhältnis zu vielen Medien in Deutschland, auch
in Italien, in Österreich und der Schweiz und in Frankreich - aber das muss durch
persönliche Kontakte immer weiter ausgebaut werden. Ich habe erlebt, dass natürlich
die schnelle Nachricht, die schnelle Schlagzeile, die flotte Formulierung in einzelnem
Medien gut und quotenträchtig sind. Aber es ist besser, wenn ich mich mit einem Journalisten
persönlich treffe, mit ihm spreche oder Hintergrundkreise eingeladen habe, um Dinge
zu erklären... und gewisse Dinge auch nicht zur Veröffentlichung bestimmt erkläre.
Im persönlichen Gespräch kann man vieles genauer erklären, als wenn ich jetzt nur
eine Pressemeldung herausschicke. Der persönliche Kontakt ist wichtig! Das
zweite, was ich gelernt habe, ist, dass es ein stürmisches Geschäft ist, nach wie
vor. Ich war ja lange Jahre in der Politik tätig, wo es auch stürmisch war; der Sturm
in diesem Jahr war schon auf hoher See. Das Schiff ist nicht gekentert, aber es hat
die eine oder andere Blessur abbekommen. Aus diesem Lernprozess ist für mich wichtig:
persönlicher Umgang, Offenheit - und: Jeder Journalist, der anruft, bekommt eine Antwort,
und zwar möglichst schnell.“
Was interessiert ‚die Medien’
im deutschsprachigen Raum heute an der Kirche?
„Natürlich
war das Thema Missbrauch von Ende Januar bis in den Sommer hinein das Thema Nummer
eins. Es gab quasi keine Chance, ein anderes Thema zu platzieren. Eine Ausnahme und
ein echter Leuchtturm war da der Ökumenische Kirchentag in München. Plötzlich war
es möglich, mehrere Tage lang etwas ganz anderes zu machen als Missbrauch - auch medial.
Und dann habe ich im Sommer gefragt, ob wir nicht jetzt in der Situation sind, neben
der Aufarbeitung des ganzen Missbrauchs auch andere Themen zu setzen. Wir haben uns
dann zu den Hartz-IV-Regelssätzen geäußert, und plötzlich waren wir als Kirche mit
unserem sozialkaritativen Auftrag wieder in den Medien präsent. Ich nehme jetzt wahr,
dass wir immer noch zu Missbrauch gefragt werden, dass wir aber als Kirche auch wieder
zu wichtigen gesellschaftspolitsichen Fragen befragt werden, etwa zum Sparprogramm
der Bundesregierung, oder zu wichtigen ethischen Fragen, etwa zur Präimplantationsdiagnostik.
Die Krise ist nicht überwunden, wir müssen sie noch aufarbeiten - aber wir haben wieder
die Chance auf andere Themen. Es gibt wieder ein Interesse an anderen Themen!“
In
den letzten Wochen ist viel reflektiert und kommentiert worden, wie die Medien mit
der Krise umgegangen sind, ein Stichwort: Sensationslust vor Informationslust, weil
das besser Zeitungen und Sendungen verkauft. Wie kommuniziert man in einer solchen
Atmosphäre?
„Nehmen Sie das Beispiel, wenn ich – wie
sehr häufig der Fall – gefragt wurde, wie viele Missbrauchsfälle es eigentlich in
Deutschland gab. Da gab es Statistiken, die man sich aus Bistumsverlautbarungen zusammengerechtnet
hatte, andere Bistümer haben wie die Bischofskonferenz nichts gesagt. Da habe ich
einfach den Journalisten erklärt: Ich mauere hier nicht, ich schweige hier nicht,
ich kann es einfach nicht! Wenn wir eine seriöse Zahl aller Missbrauchfälle in einem
Zeitraum darstellen wollen, müssen wir das vernünftig aufarbeiten. Das Journalisten
zu erklären, war nicht immer ganz einfach, weil Journalisten dann fragen: ‚Haben Sie
das nicht auf Knopfdruck gespeichert?’ Ein anderes Beispiel ist für mich die Englandreise
des Papstes, die ja im Vorfeld auch in deutschen Medien äußerst kritisch beäugt wurde.
‚Kann das überhaupt gut gehen, da oben auf der kalten Insel?’ und so weiter. Ich fand
es einen überaus spannenden und von den Medien außerordentlich positiv begleiteten
Prozess, wie sich die Medien eingelassen haben auf die Reise, auf die Stimmung, auf
die Inhalte. Die Meinung war nachher eine völlig andere. So etwas kann sich positiv
entwickeln, ohne dass wir als Pressesprecher etwas positiv dazu beitragen müssen. Mein
drittes Beispiel: Ich erwarte von den Medien einen seriösen Umgang auch mit uns. Ich
habe keinen Grund, eine Medienkritik zu betreiben oder eine Medienschelte - es gab
zwischendurch einige Momente, wo ich mir dachte, dass man auch anders mit uns umgehen
kann. Aber es gibt auch Beispiele, wo ich sagen muss: ‚So geht es nicht’! Zum Beispiel
in einer Talkshow im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, wo wir von uns aus einen Bischof
hin vermittelt haben. Am Ende macht der Moderator auf Kosten dieses Bischofs einen
Witz über den Zölibat. Das sind einfach Grenzen. Wenn jemand in einer Talkshow lächerlich
gemacht wird, ist das unseriös! Oder als Prälat Georg Ratzinger von einem privaten
Fernsehsender am Rande einer Fronleichnahmsprozession in Regensburg plötzlich zum
Thema ‚Staatsleistung – Kirchenfinanzierung’ befragt wurde. Am Rande eines liturgischen
Aktes – das ist nicht nur unseriös, das ist unschicklich. Hier muss auch fair mit
uns umgegangen werden!“
Was würden Sie im Rückblick
gerne anders gemacht haben?
„Ich zögere ein wenig mit
der Antwort, denn nachher ist man immer schlauer als vorher. Dieses schlimme Problem
ist ja in einer Wucht über uns hergefallen... Ende Januar, als die Geschichte am Canisiuskolleg
in Berlin losging, musste schnell reagiert werden. Manchmal wurde auch in meiner persönlichen
Entscheidung zu langsam reagiert, weil ich gesagt habe, dass wir warten müssen, wie
sich die Lage entwickelt. Ich würde rückblickend anders machen, dass wir uns in der
Krisenkommunikation noch etwas anders aufstellen. Man kann das alles am Handbuch abarbeiten,
aber sind wir wirklich auf künftige Krisen richtig vorbereitet? Dass wir nicht von
der Hand in den Mund leben, dass wir nicht nur reagieren, sondern auch agieren, also
selbst den aktiven Part übernehmen und nicht gejagt werden! Wir sind durchaus heftig
gejagt worden, etwas zu sagen. Da würde ich rückblickend sagen, dass ich in der Krisenkommunikation
einiges anders machen würde. Daraus habe ich wirklich gelernt, uns auf künftige Krisen
in der katholischen Kirche anders einzustellen.“
Das
gehört also zu den Lernerfolgen, die noch ausstehen. Was würden Sie sich selbst noch
wünschen - als Maximalforderung an sich selbst, damit die Dinge noch runder laufen?
„Wir
müssen weiterhin schnell, ehrlich und transparent operieren. Diese drei Komponenten
sind absolut wichtig. Es gibt Momente, wo ich als Pressesprecher etwas nicht sagen
kann: Dann muss ich sagen ‚Dazu kann ich gerade nichts sagen’. Aber die Grundessenz
wäre: Schnell, transparent und ehrlich muss weiterhin unsere Hauptarbeitsmaxime bleiben
– was sie generell auch ist. Der zweite Aspekt ist sicherlich, dass wir schauen müssen,
dass die Stimmen, die wir haben, auch wirklich zu Wort kommen. Damit will ich deutlich
machen, dass wir Pressesprecher viel reden können, aber auch unsere Bischöfe sollen
reden! Ich erlebe das bei meinen Kolleginnen und Kollegen in den Pressestellen der
27 Bistümer, dass es eine unglaublich große Bereitschaft gibt, die Bischöfe zu bitten,
jetzt etwas zu sagen. Ich glaube, dass wir da noch etwas dran tun können, dass die
Bischöfe von sich aus etwas sagen. Das erlebe ich bei den Vollversammlungen, das erlebe
ich bei Einzelthemen, dass sich die Bischöfe da zu Wort melden... Ich glaube, unsere
Bischöfe haben etwas zu sagen - und sie werden auch künftig etwas sagen.“
Was
uns beim Radio natürlich ganz besonders freut. Herr Kopp, herzlichen Dank für das
Gespräch!