2010-10-28 13:35:24

„Hunger nach Bildung“ – Indische Jesuiten unterrichten am Hindukusch


RealAudioMP3 Die zentralafghanische Provinz Bamiyan erlangte im Jahr 2001 traurige Berühmtheit: Radikale Taliban machten dort die größten stehenden Buddhastatuen der Welt dem Erdboden gleich. Heute blickt man in Bamiyan wieder in die Zukunft. Und man hat „Hunger nach Bildung“. Ein Beitrag von Anne Preckel.

 

 

 
„Das ist wie eine Zeitreise Jahrhunderte zurück. Hier wird noch mit Ochsen und einem Holzpflug gepflügt, der Weizen wird dann gemahlen und in die Luft geworfen, so dass sich die Spreu im Wind davon trennt..."

Erntezeit in Bamiyan, im Oktober 2010. In der zentralafghanischen Provinz leben die Menschen wie im Mittelalter in Lehmhäusern ohne Strom, alles geschieht von Hand. Und doch gehört die von Bergen umgebende Hochebene derzeit zu einem der ruhigeren Landstriche Afghanistans, das in westlichen Medien seit Jahren nur als Kriegsschauplatz erscheint. Bamiyan ist zu einer Art Insel in einem Meer unwegsamen und unsicheren Geländes geworden.

„Das ist eigentlich nur 120 km von Kabul entfernt, aber als Ausländer ist es zu unsicher, die Straße zu benutzen. Deshalb sind wir mit einem kleinen Flugzeug von Kabul hergekommen. Das ist schon verrückt, dass man so eine Entfernung aus Sicherheitsgründen mit einem Flugzeug zurücklegen muss. Das zeigt die Situation im Land, dass man zu Orten, die nah sind, durch die Straßen und Sicherheitslage keinen guten Kontakt hat.“

Judith Behnen von der Deutschen Jesuitenmission ist noch voller Eindrücke; die junge Frau hat in Bamiyan ein Bildungsprojekt indischer Jesuiten besucht und ist gerade erst nach Deutschland zurückgekehrt. Acht Jesuiten insgesamt gibt es derzeit am Hindukusch, unter anderem in Kabul und Herat. In Bamiyan organisieren sie Englischunterricht für Kinder und Erwachsene. Terror und Krieg haben Afghanistan nicht nur in Armut gestürzt, sondern das karge Land auch in eine Bildungswüste verwandelt.

„Zum Beispiel haben wir in Bamiyan auch eine ganze Reihe an Studentengruppen getroffen, die Englischkurse machen. Man merkt, das Niveau ist schlecht, aber es gibt den Willen zu lernen, ja einen regelrechten Bildungshunger. Das Niveau ist deshalb so schlecht, weil die Voraussetzungen extrem schwierig sind. Das sind alles Leute Anfang 20, deren Schulkarriere durch die Taliban unterbrochen wurde. Das merkt man vor allem bei den Mädchen sehr stark, weil die ja nicht in die Schule gehen durften.“

Ein großes Problem sei die schlechte Ausbildung der afghanischen Lehrer. Viele von ihnen sprächen Englisch wie Kraut und Rüben. Mit dem Unterricht in Bamiyan versuche man deshalb auch Erwachsene zu erreichen. So gibt es neben einer Grundschule für Waisenkinder und Mädchen auch durchgängig Kurse für angehende Lehrer.

„Das ist sehr gut organisiert. Sie haben die vier Jesuiten da vor Ort, haben ehemalige Schüler, die jetzt Studenten sind und als Assistenten mitarbeiten und die lokalen Verhältnisse kennen. Teilweise dürfen sie Lehrerfortbildungen auch in der Moschee anbieten.“
Taliban-freie Zone
Probleme mit Gewalt oder Terrorismus habe es in Bamiyan in den letzten Jahren nicht mehr gegeben, erzählt Behnen. Letzter größerer Gewaltakt war die Sprengung der bekannten stehenden Buddha-Statuen von Bamiyan durch das islamistische Taliban-Regime im März 2001, kurz vor dessen Sturz im Herbst desselben Jahres durch Einrücken der amerikanischen Truppen. Die Jesuiten haben in der Region auch wegen der dort lebenden Hazaras Rückhalt, das sind persischsprachige Moslems mit Wurzeln im heutigen Iran, die im Gegensatz zum Großteil der afghanischen Bevölkerung dem schiitischen Islam angehören.

„Hazaras sind eine ethnische Minderheit, die zur Zeit der Taliban extrem verfolgt wurden und auch schon davor, dass heißt unter den Hazaras haben Taliban keinen Rückhalt. Von daher ist Bamyan jetzt nicht so infiltriert von Neotaliban wie andere Regionen.“

Es gebe sogar eine Theorie, dass die Taliban die Buddha-Statuen wegen Anwesenheit der Hazaras zerstört hätten, so Behnen. Das habe ihr jemand vor Ort erzählt.

„Es hieß, das war eine Theorie, dass die Taliban die Buddas wegen ihres rundlichen Gesichtes sprengen wollten. Sie wollten verhindern, dass sich die Hazaras auf sie beriefen. Um die Legitimität der Anwesenheit der Hazaras in Frage stellen...“

Die Jesuiten mischen sich in Bamiyan unters Volk. Wegen ihrer indischen Herkunft hätten sie wohl weniger Probleme dort als Europäer oder die schwer bewaffneten amerikanischen Soldaten, vermutet Behnen. Sie leben wie die Landbevölkerung in den typischen Terracotta-Häusern ohne Fenster – und vor allem ohne Leibwache und Militärschutz.
 
„Das ist Teil ihrer Strategie: dass sie sagen, wir grenzen uns nichts ab, wir leben wie alle anderen auch und versuchen nicht, uns durch Sicherheitsmassnahmen besonders sichtbar zu machen. Sie fahren in Herat Fahrrad, nehmen Autos und fahren in Kabul Taxi. Also von daher sind sie nicht so sichtbar wie andere NGO-Mitarbeiter oder Soldaten.“

„Wir sind Lehrer“
Freilich bewegen sich die Jesuiten dennoch in engen Grenzen, fügt sie dann an. Von der afghanischen Regierung seien sie zwar gern gesehen. So habe die Regierung die von Jesuiten wieder in Betrieb gebrachte staatliche technische Hochschule in Herat wieder gerne unter die eigenen Fittiche genommen - als der Laden wieder lief. Und auch der offizielle Berater des afghanischen Erziehungsministers sei zum Beispiel ein Jesuit, erzählt Behnen. Aber:

„Sie sind nicht als Kirchenvertreter da. Sondern es ist völlig klar: Sie arbeiten im Bildungsbereich und laufen nicht als Priester und Jesuiten. Es ist ja bekannt, dass sie es sind, aber sie dürfen überhaupt nichts an missionierender Tätigkeit unternehmen. Und daran halten sie sich auch. Missionierungstätigkeit steht unter Strafe. 6.01 Wenn zum Beispiel der Verdacht entstünde, sie würden ihre Unterrichtsklassen dazu missbrauchen, die Leute ein bisschen christlich zu infiltrieren, würden sie enorme Probleme kriegen.“

In dem islamischen Staat gelte schon das Interesse von Afghanen am Christentum als „jesuitische Missionstätigkeit“. Neugierige Frager müssten abgeblockt werden, man wisse ja nie, ob nicht Informanten dahinter steckten, die die Christen testen wollten. Überhaupt gebe es offiziell in Afghanistan kaum christliche Aktivitäten. Behnen:
 
„Es gibt nur einen Ort, haben sie uns erzählt, wo es eine christliche Kirche gibt und das ist in der italienischen Botschaft in Kabul. Da sitzt dann der apostolische Präfekt, ich glaube schon seit vielen Jahren, der das Oberhaupt der katholischen Kirche in Afghanistan ist, das ist Teil von Pakistan. Und da findet jeden Sonntag Abend eine Messe statt, wo Botschaftsangehörige, Soldaten oder Jesuiten und Schwestern oder sonstige NGO-Mitarbeiter hinkommen. Aber abgesehen davon gibt es keine offiziellen christlichen Aktivitäten in dem Land.“

Hilfsnetzwerk
Den Jesuiten gehe es in Afghanistan weniger um langfristige Hilfsmassnahmen als vielmehr Hilfe zur Selbsthilfe und Anregung von Aufbauarbeit, so die Sprecherin. Man wolle ein Hilfsnetzwerk aufbauen, um das Land von innen heraus zu stärken. So gibt es zum Beispiel Kooperationen mit der US-amerikanischen Caritas „Catholic Relief Services“ oder einzelnen Laieninitiativen. Und da geht es nicht nur um Bildungs-, sondern auch andere Projekte, etwa für die Landwirtschaft. Behnen:
 
„Die Jesuiten verstehen sich als Katalysatoren, die versuchen, über ihre Kontakte Leute zusammenzubringen und auch unterschiedliche Finanzierungsmöglichkeiten an Land zu ziehen bzw. selbst Projekte zu initiieren. Und dann sehen sie, wie man sie an andere Organisationen abgeben kann. Es ist auch so, dass es über die großen NGOs und auch über staatliche Mittel schon relativ viele finanzielle Ressourcen gibt, und manchmal fehlen da dann einfach die Projekte!“

In westlichen Medien würde oft ein allzu einseitiges Bild von Afghanistan vermittelt werden, bemängelt Behnen: Eine von Armut und Krieg gebeutelte muslimische Bevölkerung in der Hand radikaler Hetzer. Dabei gebe es im Land eine große Vielfalt ethnischer Gruppierungen mit jeweils anderen Traditionen und auch Sprachen. Diese Menschen fühlten sich jedoch teils von der Regierung in Kabul im Stich gelassen, meint die Mitarbeiterin der Jesuiten. So zeige die geringe Wahlbeteiligung bei den letzten Wahlen im September – sie lag mit 40 Prozent deutlich geringer als bei den Präsidentschaftswahlen – , dass sich viele Menschen aus dem demokratischen Prozess „abgekoppelt“ hätten. Weiter sei sie Anzeichen dafür,

„dass die Zentralregierung in Kabul von vielen Provinzen aus als schwach gesehen wird. Egal, mit wem man in Bamiyan spricht, da heißt es: Wir bekommen von Kabul aus keine Hilfe, die Regierung denkt überhaupt nicht an uns, weil wir eben Hazaras sind. Wir werden nach wie vor diskriminiert, und das Geld geht in andere Bereiche, aber nicht zu uns. Also ist die Unzufriedenheit mit der Regierung in Kabul doch sehr hoch.“

Ein anderes Problem: Im neuen Parlament würden – zumindest dem vorläufigen Ergebnis der Wahlen nach – wieder zahlreiche Warlords sitzen: Abgeordnete mit Verbindungen zu bewaffneten Milizen und zum Drogenhandel sowie zahlreiche mutmaßliche Kriegsverbrecher. Dazu Behnen:

„Die Problematik mit den Warlords gibt es schon seit vielen Jahren. Dass sie auch politische Macht haben, ist klar. Das schwächt die gesamte politische Struktur und ist in jeder Region Afghanistans ein riesiges Problem.“

Ob korrupt oder nicht: die angehende afghanische Regierung würde gut daran tun, sich um Frieden zwischen den zahlreichen ethnischen Gruppen in dem Land zu kümmern. Dieser Aufbau kann nach Behnen vor allem bei Volksgruppen wie den Hazaras fruchten.

Die Situation ist verfahren: Mit internationalen Truppen gibt es Probleme und ohne auch. Die Hazaras sind eine Gruppe, die in ihrem Bereich auf Frieden setzen und viel dafür tun. Das muss man unterstützen, sondern ist der ganze Prozess in Afghanistan vor die Wand gefahren.“
 

 
Hintergrund
Die Jesuiten sind seit 2004 in Afghanistan tätig; sie arbeiten dort in Kabul, Herat und Bamiyan vor allem im Bildungsbereich. Die Deutsche Jesuitenmission unterstützte ihre Arbeit von Anfang an und besucht die einzelnen Projekte regelmäßig. Judith Behnen ist im Bereich Öffentlichkeitsarbeit der Deutschen Jesuitenmission in Nürnberg tätig. Sie war zusammen mit dem Missionsprokurator P. Klaus Väthröder SJ bis letztes Wochenende in Afghanistan unterwegs.

(rv 28.10.2010 pr)
 







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