„Hunger nach Bildung“ – Indische Jesuiten unterrichten am Hindukusch
Die zentralafghanische
Provinz Bamiyan erlangte im Jahr 2001 traurige Berühmtheit: Radikale Taliban machten
dort die größten stehenden Buddhastatuen der Welt dem Erdboden gleich. Heute blickt
man in Bamiyan wieder in die Zukunft. Und man hat „Hunger nach Bildung“. Ein Beitrag
von Anne Preckel.
„Das
ist wie eine Zeitreise Jahrhunderte zurück. Hier wird noch mit Ochsen und einem Holzpflug
gepflügt, der Weizen wird dann gemahlen und in die Luft geworfen, so dass sich die
Spreu im Wind davon trennt..."
Erntezeit in Bamiyan, im Oktober 2010. In
der zentralafghanischen Provinz leben die Menschen wie im Mittelalter in Lehmhäusern
ohne Strom, alles geschieht von Hand. Und doch gehört die von Bergen umgebende Hochebene
derzeit zu einem der ruhigeren Landstriche Afghanistans, das in westlichen Medien
seit Jahren nur als Kriegsschauplatz erscheint. Bamiyan ist zu einer Art Insel in
einem Meer unwegsamen und unsicheren Geländes geworden.
„Das ist eigentlich
nur 120 km von Kabul entfernt, aber als Ausländer ist es zu unsicher, die Straße zu
benutzen. Deshalb sind wir mit einem kleinen Flugzeug von Kabul hergekommen. Das ist
schon verrückt, dass man so eine Entfernung aus Sicherheitsgründen mit einem Flugzeug
zurücklegen muss. Das zeigt die Situation im Land, dass man zu Orten, die nah sind,
durch die Straßen und Sicherheitslage keinen guten Kontakt hat.“
Judith
Behnen von der Deutschen Jesuitenmission ist noch voller Eindrücke; die junge Frau
hat in Bamiyan ein Bildungsprojekt indischer Jesuiten besucht und ist gerade erst
nach Deutschland zurückgekehrt. Acht Jesuiten insgesamt gibt es derzeit am Hindukusch,
unter anderem in Kabul und Herat. In Bamiyan organisieren sie Englischunterricht für
Kinder und Erwachsene. Terror und Krieg haben Afghanistan nicht nur in Armut gestürzt,
sondern das karge Land auch in eine Bildungswüste verwandelt.
„Zum Beispiel
haben wir in Bamiyan auch eine ganze Reihe an Studentengruppen getroffen, die Englischkurse
machen. Man merkt, das Niveau ist schlecht, aber es gibt den Willen zu lernen, ja
einen regelrechten Bildungshunger. Das Niveau ist deshalb so schlecht, weil die Voraussetzungen
extrem schwierig sind. Das sind alles Leute Anfang 20, deren Schulkarriere durch die
Taliban unterbrochen wurde. Das merkt man vor allem bei den Mädchen sehr stark, weil
die ja nicht in die Schule gehen durften.“
Ein großes Problem sei die
schlechte Ausbildung der afghanischen Lehrer. Viele von ihnen sprächen Englisch wie
Kraut und Rüben. Mit dem Unterricht in Bamiyan versuche man deshalb auch Erwachsene
zu erreichen. So gibt es neben einer Grundschule für Waisenkinder und Mädchen auch
durchgängig Kurse für angehende Lehrer.
„Das ist sehr gut organisiert.
Sie haben die vier Jesuiten da vor Ort, haben ehemalige Schüler, die jetzt Studenten
sind und als Assistenten mitarbeiten und die lokalen Verhältnisse kennen. Teilweise
dürfen sie Lehrerfortbildungen auch in der Moschee anbieten.“ Taliban-freie
Zone Probleme mit Gewalt oder Terrorismus habe es in Bamiyan in den letzten
Jahren nicht mehr gegeben, erzählt Behnen. Letzter größerer Gewaltakt war die Sprengung
der bekannten stehenden Buddha-Statuen von Bamiyan durch das islamistische Taliban-Regime
im März 2001, kurz vor dessen Sturz im Herbst desselben Jahres durch Einrücken der
amerikanischen Truppen. Die Jesuiten haben in der Region auch wegen der dort lebenden
Hazaras Rückhalt, das sind persischsprachige Moslems mit Wurzeln im heutigen Iran,
die im Gegensatz zum Großteil der afghanischen Bevölkerung dem schiitischen Islam
angehören.
„Hazaras sind eine ethnische Minderheit, die zur Zeit der Taliban
extrem verfolgt wurden und auch schon davor, dass heißt unter den Hazaras haben Taliban
keinen Rückhalt. Von daher ist Bamyan jetzt nicht so infiltriert von Neotaliban wie
andere Regionen.“
Es gebe sogar eine Theorie, dass die Taliban die Buddha-Statuen
wegen Anwesenheit der Hazaras zerstört hätten, so Behnen. Das habe ihr jemand vor
Ort erzählt.
„Es hieß, das war eine Theorie, dass die Taliban die Buddas
wegen ihres rundlichen Gesichtes sprengen wollten. Sie wollten verhindern, dass sich
die Hazaras auf sie beriefen. Um die Legitimität der Anwesenheit der Hazaras in Frage
stellen...“
Die Jesuiten mischen sich in Bamiyan unters Volk. Wegen ihrer
indischen Herkunft hätten sie wohl weniger Probleme dort als Europäer oder die schwer
bewaffneten amerikanischen Soldaten, vermutet Behnen. Sie leben wie die Landbevölkerung
in den typischen Terracotta-Häusern ohne Fenster – und vor allem ohne Leibwache und
Militärschutz. „Das ist Teil ihrer Strategie: dass sie sagen, wir
grenzen uns nichts ab, wir leben wie alle anderen auch und versuchen nicht, uns durch
Sicherheitsmassnahmen besonders sichtbar zu machen. Sie fahren in Herat Fahrrad, nehmen
Autos und fahren in Kabul Taxi. Also von daher sind sie nicht so sichtbar wie andere
NGO-Mitarbeiter oder Soldaten.“
„Wir sind Lehrer“ Freilich bewegen
sich die Jesuiten dennoch in engen Grenzen, fügt sie dann an. Von der afghanischen
Regierung seien sie zwar gern gesehen. So habe die Regierung die von Jesuiten wieder
in Betrieb gebrachte staatliche technische Hochschule in Herat wieder gerne unter
die eigenen Fittiche genommen - als der Laden wieder lief. Und auch der offizielle
Berater des afghanischen Erziehungsministers sei zum Beispiel ein Jesuit, erzählt
Behnen. Aber:
„Sie sind nicht als Kirchenvertreter da. Sondern es ist völlig
klar: Sie arbeiten im Bildungsbereich und laufen nicht als Priester und Jesuiten.
Es ist ja bekannt, dass sie es sind, aber sie dürfen überhaupt nichts an missionierender
Tätigkeit unternehmen. Und daran halten sie sich auch. Missionierungstätigkeit steht
unter Strafe. 6.01 Wenn zum Beispiel der Verdacht entstünde, sie würden ihre Unterrichtsklassen
dazu missbrauchen, die Leute ein bisschen christlich zu infiltrieren, würden sie enorme
Probleme kriegen.“
In dem islamischen Staat gelte schon das Interesse von
Afghanen am Christentum als „jesuitische Missionstätigkeit“. Neugierige Frager müssten
abgeblockt werden, man wisse ja nie, ob nicht Informanten dahinter steckten, die die
Christen testen wollten. Überhaupt gebe es offiziell in Afghanistan kaum christliche
Aktivitäten. Behnen: „Es gibt nur einen Ort, haben sie uns erzählt,
wo es eine christliche Kirche gibt und das ist in der italienischen Botschaft in Kabul.
Da sitzt dann der apostolische Präfekt, ich glaube schon seit vielen Jahren, der das
Oberhaupt der katholischen Kirche in Afghanistan ist, das ist Teil von Pakistan. Und
da findet jeden Sonntag Abend eine Messe statt, wo Botschaftsangehörige, Soldaten
oder Jesuiten und Schwestern oder sonstige NGO-Mitarbeiter hinkommen. Aber abgesehen
davon gibt es keine offiziellen christlichen Aktivitäten in dem Land.“
Hilfsnetzwerk Den
Jesuiten gehe es in Afghanistan weniger um langfristige Hilfsmassnahmen als vielmehr
Hilfe zur Selbsthilfe und Anregung von Aufbauarbeit, so die Sprecherin. Man wolle
ein Hilfsnetzwerk aufbauen, um das Land von innen heraus zu stärken. So gibt es zum
Beispiel Kooperationen mit der US-amerikanischen Caritas „Catholic Relief Services“
oder einzelnen Laieninitiativen. Und da geht es nicht nur um Bildungs-, sondern auch
andere Projekte, etwa für die Landwirtschaft. Behnen: „Die Jesuiten
verstehen sich als Katalysatoren, die versuchen, über ihre Kontakte Leute zusammenzubringen
und auch unterschiedliche Finanzierungsmöglichkeiten an Land zu ziehen bzw. selbst
Projekte zu initiieren. Und dann sehen sie, wie man sie an andere Organisationen abgeben
kann. Es ist auch so, dass es über die großen NGOs und auch über staatliche Mittel
schon relativ viele finanzielle Ressourcen gibt, und manchmal fehlen da dann einfach
die Projekte!“
In westlichen Medien würde oft ein allzu einseitiges Bild
von Afghanistan vermittelt werden, bemängelt Behnen: Eine von Armut und Krieg gebeutelte
muslimische Bevölkerung in der Hand radikaler Hetzer. Dabei gebe es im Land eine große
Vielfalt ethnischer Gruppierungen mit jeweils anderen Traditionen und auch Sprachen.
Diese Menschen fühlten sich jedoch teils von der Regierung in Kabul im Stich gelassen,
meint die Mitarbeiterin der Jesuiten. So zeige die geringe Wahlbeteiligung bei den
letzten Wahlen im September – sie lag mit 40 Prozent deutlich geringer als bei den
Präsidentschaftswahlen – , dass sich viele Menschen aus dem demokratischen Prozess
„abgekoppelt“ hätten. Weiter sei sie Anzeichen dafür,
„dass die Zentralregierung
in Kabul von vielen Provinzen aus als schwach gesehen wird. Egal, mit wem man in Bamiyan
spricht, da heißt es: Wir bekommen von Kabul aus keine Hilfe, die Regierung denkt
überhaupt nicht an uns, weil wir eben Hazaras sind. Wir werden nach wie vor diskriminiert,
und das Geld geht in andere Bereiche, aber nicht zu uns. Also ist die Unzufriedenheit
mit der Regierung in Kabul doch sehr hoch.“
Ein anderes Problem: Im neuen
Parlament würden – zumindest dem vorläufigen Ergebnis der Wahlen nach – wieder zahlreiche
Warlords sitzen: Abgeordnete mit Verbindungen zu bewaffneten Milizen und zum Drogenhandel
sowie zahlreiche mutmaßliche Kriegsverbrecher. Dazu Behnen:
„Die Problematik
mit den Warlords gibt es schon seit vielen Jahren. Dass sie auch politische Macht
haben, ist klar. Das schwächt die gesamte politische Struktur und ist in jeder Region
Afghanistans ein riesiges Problem.“
Ob korrupt oder nicht: die angehende
afghanische Regierung würde gut daran tun, sich um Frieden zwischen den zahlreichen
ethnischen Gruppen in dem Land zu kümmern. Dieser Aufbau kann nach Behnen vor allem
bei Volksgruppen wie den Hazaras fruchten.
„Die Situation ist verfahren:
Mit internationalen Truppen gibt es Probleme und ohne auch. Die Hazaras sind eine
Gruppe, die in ihrem Bereich auf Frieden setzen und viel dafür tun. Das muss man unterstützen,
sondern ist der ganze Prozess in Afghanistan vor die Wand gefahren.“ Hintergrund Die
Jesuiten sind seit 2004 in Afghanistan tätig; sie arbeiten dort in Kabul, Herat und
Bamiyan vor allem im Bildungsbereich. Die Deutsche Jesuitenmission unterstützte ihre
Arbeit von Anfang an und besucht die einzelnen Projekte regelmäßig. Judith Behnen
ist im Bereich Öffentlichkeitsarbeit der Deutschen Jesuitenmission in Nürnberg tätig.
Sie war zusammen mit dem Missionsprokurator P. Klaus Väthröder SJ bis letztes Wochenende
in Afghanistan unterwegs.