2010-10-28 11:15:13

Belgien: Neue Kontroverse über Missbrauch


RealAudioMP3 Der Vorsitzende der belgischen Bischofskonferenz hat mit Äußerungen zum Thema Missbrauch eine Kontroverse ausgelöst. Im belgischen Fernsehen wandte sich der Brüsseler Erzbischof André-Joseph Léonard dagegen, Kirchenleute, die sich des Missbrauchs von Kindern oder Jugendlichen schuldig gemacht haben, allzu hart zu bestrafen.

„Wenn es sich um Priester handelt, die schon pensioniert oder in hohem Alter sind, dann denke ich, muss man auch berücksichtigen, was die Opfer wünschen, die sich an die Kommission (zum Thema Missbrauch) oder manchmal auch direkt an uns wenden. Wollen die wirklich, dass ein 85-jähriger Priester jetzt auf einmal an den Pranger gestellt und öffentlich verunglimpft wird? In der Mehrheit der Fälle wollen sie das wohl nicht, denke ich.“

Natürlich müssten Missbrauchstäter bestraft werden, so Erzbischof Léonard – vor allem wenn sie „noch aktiv sind“, damit „zumindest weitere Taten verhindert werden“. Gerechtigkeit bedeute für ihn vor allem auf die Wünsche der Opfer einzugehen:

„Ich wünsche mir, dass man immer mit allen menschlich umgeht: als erstes mit den Opfern, indem man ihnen gut zuhört, und dann auch mit den Tätern – denn auch die Täter sind Menschen. Sie müssen sich natürlich bewußt machen, was da geschehen ist... aber wenn sie nicht mehr im Amt sind und keinerlei Verantwortung mehr tragen, weiß ich nicht, ob eine Art Rache, die kein konkretes Resultat hat, eine menschliche Lösung ist. Und ich glaube, dass die Mehrheit der Opfer das auch nicht will – alles andere als das!“

Parlamentsmitglieder der Sozialisten kritisierten am Donnerstag Léonards Äusserungen. Im Radio erklärten zwei von ihnen, es sei nicht Sache Léonards, über den angemessenen Umgang mit Missbrauch in der Kirche zu befinden. Die Opfer müssten entscheiden, ob sie den Fall vor Gericht bringen wollen. Kirche und Staat seien in Belgien getrennt, folglich stehe es nur der Justiz zu, sich der Fälle anzunehmen. Durch seine Äusserungen setze der Erzbischof Missbrauchsopfer abermals unter Druck. - Belgien wird seit Ende April von einer heftigen Debatte über Kindesmissbrauch durch Geistliche erschüttert. Ausgelöst wurde sie durch den Rücktritt von Bischof Roger Vangheluwe von Brügge, der gestand, einen Neffen missbraucht zu haben. Nach dem Abschlussbericht einer Untersuchungskommission kamen vor allem in den 60er bis 80er Jahren sexuelle Übergriffe gegen Jugendliche in allen belgischen Diözesen und Orden vor. Mehr als 90 Täter im kirchlichen Personal hätten identifiziert werden können. Mindestens 13 Opfer hätten später Selbstmord begangen.
Der aus Belgien stammende EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy fordert Reformen in seiner katholischen Kirche. Innerhalb der Kirche seien die alten Strukturen zum Teil noch intakt, kritisierte er gegenüber der belgischen Tageszeitung "Le Soir" in der Ausgabe von diesem Donnerstag. Mit Blick auf die Missbrauchsskandale sagte er, das Problem sei nicht die Pädophilie. Das Problem sei vielmehr, dass die Kirche eine Einrichtung ohne jegliche Demokratie sei. Verhaltensweisen wie Kindesmissbrauch hätten daher niemals zu einer Debatte geführt, da die Kirche aus Strukturen absoluter Herrschaft bestehe. Van Rompuy erklärte aber, durch die Missbrauchsskandale werde sein Glaube nicht in Zweifel gebracht. „Trotz allem bleibe ich in der Kirche“, so der flämische Politiker. „Mein Leben wird von meinem Gewissen bestimmt, nicht von Satzungen“.

(rv/belgisches tv/kna 28.10.2010 sk)








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