Evangelisierung konkret: Zum Missionssonntag ein Brief aus Simbabwe von Jesuitenpater
Oskar Wermter.
Liebe Freunde!
Mbare ist laut. Das Geschrei der Kinder,
das Trommeln der Tanzgruppe, die im Pfarrsaal für den nächsten Auftritt probt, und
das Gelächter (oder auch Klagegeschrei) von der Strasse her begleiten uns den ganzen
Tag. Discos mit Riesenlautsprechern dröhnen bis spät in die Nacht. Erweckungsprediger
reden erregt auf die Leute ein. Gospel-Musik lässt die Scheiben klirren. Am ersten
Oktobersonntag kam unser Erzbischof zur Firmung. Ein Jahr lang hatten unsere freiwilligen
Katecheten die 180 Jungen und Mädchen, jungen Erwachsenen, Väter und Mütter auf den
Empfang der Gaben des Geistes vorbereitet. Die Schwestern der Mutter Theresa kamen
mit 20 alten Männern und Frauen, verloren und ohne Familien, am Busbahnhof oder in
Quartieren der Armen aufgelesen. Der Bischof stieg zu den Blinden und Lahmen unter
ihnen hinunter. Am Sonntag zuvor wurden Teilnehmer an einer regulären Debatte
über die neue Verfassung von Polit-Rabauken der “revolutionären” Partei verprügelt,
einige schwer verletzt. Es gab ein Todesopfer – nur ein paar Schritte von der Kirche
entfernt. Theoretisch werden diese Debatten von beiden Parteien getragen, praktisch
zwingt aber die vormals “herrschende Partei” die Teilnehmer dazu, für einen “Präsidenten
auf Lebenszeit” zu stimmen: Mugabe soll im Amt sterben und seiner Partei die Macht
so lange wie möglich erhalten. Erzbischof Ndlovu scheute sich nicht, auf seine
ruhige Art Gewaltanwendung in der Politik zu beklagen. Er rief die neu Gefirmten zum
Einsatz in Kirche und Staat auf: ‘Fürchtet Euch nicht vor der Politik. Aber wenn Ihr
Euch politisch engagiert, sprecht die Wahrheit und seid ein Licht für die Menschen
im Lande.’ Es gab Beifall. Das Regime ist auf Lügen aufgebaut. Das wissen sie.
Die Gaben des Geistes, die sie empfangen haben, sollen die gefirmten Vollmitglieder
der Kirche für die Gemeinde einsetzen. Immer noch verlassen sich die Gläubigen zu
sehr auf die Priester und scheuen sich vor Verantwortung. Die Armen klopfen an die
Tür des Priesters, sie trauen den Obleuten in den Nachbarschaftsgruppen nicht. Manche
Katecheten sind unzuverlässig: der Priester wird das schon machen, wenn sie verhindert
sind. Zwei Kirchen, zwei Pfarrheime, zwei Schulen: das braucht viel Instandsetzungsarbeit.
Im Juli wurde das große grüne Dach der St. Peter Claver Kirche neu angestrichen. Die
nötigen Ausgaben müssen exakt verbucht werden. Der Jesuiten -provinzial forderte die
Gläubigen auf, eine sich selbst verwaltende und sich selbst erhaltende Gemeinde zu
werden. Karitative and soziale Hilfe muss von der Gemeinde ausgehen, nicht von
einem einzelnen Priester. Das war schon einmal besser. Unsere Vinzenzkonferenz und
die Leiter der Nachbarschaftsgruppen müssen zusammen die wirklich Armen ausfindig
machen und die kleinen Betrüger und Schmarotzer, die es auch gibt, ausschließen. Mühselige
Arbeit für die Mitglieder der Vinzenzkonferenz: jeder, der um Hilfe ersucht, muss
besucht werden, damit man an Ort und Stelle die wirkliche Lage feststellt. Witwen
und Waisen, vernachlässigte Alte und Kranke gibt es genug. Doch die Gesunden sollen
nicht gelähmt werden. Zwar sind Arbeitsstellen äußerst knapp. Doch Selbsthilfe ist
möglich. Hilfe soll nicht Abhängigkeiten schaffen. Es gibt eine gewisse semi-feudale
Mentalität, Feind jeder Entwicklung and allen Vorwärts -kommens: ‘Ich bin Dein Knecht,
und Du versorgst mich – auf Lebenszeit’. Solch ein Denken ist Gift und darf nicht
gefördert werden. Unsere Leute lieben Großveranstaltungen, nächtelanges Predigen
und charismatisches Zungenreden, musikalische Wettbewerbe mit festlichem Chorgesang,
wozu man selbst Reisen in entlegene Gegenden nicht scheut. Wir feiern dieses Jahr
Hundert Jahre Gemeinde St Peter Mbare. Alle waren stolz auf die Jubiläumshemden und
–kleider, bedruckt mit Worten und Symbolen zum Fest. T-Shirts mit biblischen Sprüchen
und religiösen Parolen sind äußerst beliebt. Wenn die Parteidamen Mugabe auf ihren
bunten Kleidern zur Schau stellen, warum dann das Kirchenvolk nicht die Muttergottes
oder immerhin den Papst? Doch wer unterrichtet die Kinder in der Gemeindekatechese
am Samstagmorgen, wer bringt die Hl Kommunion zu den rund 100 Kranken, wer besucht
die Armen und Hungrigen, wer repariert zerbrochene Türen und verwaltet die Pfarrkasse,
wenn die Gemeinde auf Achse ist oder sich selber feiert? Das ist ein echtes Problem,
das wir angehen müssen. Wo den Armen und den Kleinen und Bedürftigen gedient wird,
da ist der Geist Jesu am Werk. Haben wir das schon ganz verstanden? Immer wieder
bricht Chaos und Gewalt durch. Unsere Jesuitenzeitschrift MUKAI erscheint verspätet.
Der Computer mit viel Material fiel Räubern in die Hände. Ein paar Tage später wurde
unser Taufbrunnen umgestürzt. Mittlerweile ist alles repariert, Sicherheitsmassnahmen
wurden verstärkt. Aber das Eigentliche ist natürlich eine neue Gesellschaftsordnung
für diesen kaputten Staat. Ich versuche, dazu Denkanstösse zu geben in einer neuen
unabhängigen Tageszeitung. Viele lehnen das alte verrottete Regime ab. Ein Beispiel:
eine alte Frau wurde von ihrem Sohn erschlagen. Er kam frei, weil er “Verbindungen”
hatte. Jeder ist entsetzt, der davon hört. Doch wer ist bereit, dem Bösen bis aufs
Blut zu widerstehen? Wer wirklich den Geist empfangen hat, sollte dazu fähig sein. P.George
Bwanali SJ, im Juli zum Priester geweiht, besucht systematisch die Familien in den
großen Wohnblocks um Old St. Peter’s herum, begleitet von den Leiterinnen der Nachbarschaftsgruppen.
Ihn bewegt besonders die Lage der vernachlässigten und oft missbrauchten Mädchen in
diesen überfüllten, verfallenen Wohnsilos. Er kümmert sich besonders um unsere zwei
Schulen, wo auch ein jüngerer Jesuit und drei Ordensfrauen unterrichten. Zusammen
mit Frauen der Gemeinde besucht er das große Krankenhaus, feiert die Messe mit den
Krankenschwestern und lässt sich von seinen Mitarbeiterinnen zu den Kranken führen,
die ihn brauchen. Das ist, was Afrikaner in ihrer Religion suchen: Heilung. Der
heilende Jesus spricht sie an. Wir müssen sie weiterführen zu dem Jesus der Liebe,
der Ganzhingabe am Kreuz und der Auferstehung. Nachdem P. Landsberg für sein Geistliches
Zentrum freigestellt wurde, habe ich die Leitung von Gemeinde und Jesuiten-Kommunität
übernommen. Aber unsere Tage, oder jedenfalls Jahre, sind gezählt. Jüngere einheimische
Jesuiten übernehmen mehr und mehr Verantwortung. Einstweilen leben und arbeiten wir
zusammen, tauschen uns aus über unsere Arbeitserfahrungen, und leben, so gut wir können,
zusammen als Gefährten Jesu. “Liebe sollte sich mehr in Taten als in Worten zeigen”
(St. Ignatius). Mit Ihrer Hilfe können wir den wirklich Armen beistehen, die Hungrigen
sättigen (in drei Küchen kochen Jugendliche jeden Tag für 600 bedürftige Kinder) und
Kirchen, Pfarrzentren und Schulen mit Leben füllen. Ich danke für Ihre Treue in
diesen verwirrenden Zeiten, die einerseits ständige Umkehr verlangen, anderseits Beständigkeit
und Treue angesichts von Gewalt und Bosheit. –
Schon jetzt möchte ich Ihnen
eine gute Advents- und Weihnachtszeit wünschen.