2010-10-16 13:15:00

Vatikan: Nahost-Synode diskutiert über ihre Botschaft an die Welt


RealAudioMP3 „Fürchte dich nicht, du kleine Herde“ – dieses Jesuswort steht am Anfang der Schlußbotschaft, die die Nahost-Bischofssynode im Vatikan in einer Woche feierlich an die Welt richten will. Der vertrauliche Entwurf der Botschaft wurde an diesem Samstag von den Synodenteilnehmern lebhaft diskutiert. Stefan Kempis war dabei.
„In politischen Fragen zu ungenau, die Probleme werden da nur umkreist“ – so urteilt ein europäischer Professor über den Entwurf der Botschaft. Doch viele andere in der Synodenaula sahen das anders: Die Synodenväter kommen in dem Text durchaus zur Sache – kein Wunder, er stammt ja auch im wesentlichen aus der Feder von Erzbischof Michel Sabbah, und der Palästinenser, der lange Lateinischer Patriarch von Jerusalem war, zeigte sich immer schon als ein Freund offener Worte.
Zum Inhalt, auch wenn die Einzelheiten vertraulich sind: Der Text betont zwar den pastoralen und nicht politischen Charakter der Synode, dennoch seien die Teilnehmer sehr besorgt über die sozio-politische Lage der Christen in Nahost. Der israelisch-palästinensische Konflikt müsse dringend gelöst werden (auch wenn er im wesentlichen kein religiöser, sondern ein politischer Konflikt sei), und Israel müsse die Besatzung von Palästinenserland beenden. Das Wort Gaza fällt allerdings in dem Entwurf nicht, was dem melkitischen Patriarchen Gregorios III. Laham von Damaskus sofort auffiel: „Ist Gaza etwa tabu?“, fragte er in seiner ersten Reaktion. Von den Regierungen der arabischen Staaten verlangt der Entwurf wiederum Grundrechte für die Christen, die Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz, Maßnahmen, um Christen im Land zu halten, und keine Anwendung der Scharia auf Christen; was im bisherigen Entwurf fehlt, ist allerdings der klare und direkte Ruf nach Religionsfreiheit, etwa mit Blick auf Saudi-Arabien, oder ein Hinweis darauf, dass Menschen eigentlich ein Recht auf Religionswechsel haben – auch wenn das vom Islam zum Christentum hin ist.
Für Verwunderung sorgte bei einigen Teilnehmern des Nahost-Gipfels, dass der Gruß an die Juden in dem Textentwurf etwa zwanzig, der an die Moslems hingegen noch nicht einmal zehn Zeilen lang ist. Den westlichen Kirchen will die Synode laut Entwurf für ihre Solidarität danken; die internationale Gemeinschaft wird aufgefordert, alles für einen gerechten und dauerhaften Nahost-Frieden und für ein Ende der Unsicherheit im Irak zu tun. Auch über die Lage im Libanon zeigt sich der Entwurf besorgt.
Ohne Umschweife betont der Text die Mitverantwortung der Laien – und zwar so deutlich, dass einige Synodenväter hinterher darum baten, man solle doch bitte die Priester und nicht die Laien an erster Stelle nennen. Die Kirche in Nahost stehe vor der Frage: Können wir uns noch einmal dazu aufraffen, unsere Mission zu erfüllen, oder sind wir so schwach, dass wir nur noch unseren eigenen Tod ankündigen können? In Sachen Ökumene bekräftigt der Entwurf, die Katholiken im Nahen Osten säßen mit Orthodoxen und Lutheranern in einem Boot; hier wünschen sich Bischöfe aus dem Irak allerdings noch ein Wort gegen Sekten. Deutlich bekennt sich der Text zum Weltkirchenrat und zum (heftig kriselnden) Nahöstlichen Kirchenrat.
Überraschend ist, dass sich der Entwurf der Synodenbotschaft mit einem eigenen langen Absatz an die aus dem Nahen Osten emigrierten Christen wendet. In bewegenden Worten werden sie gebeten, ihren Traditionen treu zu bleiben und keine Ländereien in der alten Heimat zu verkaufen, um nicht noch das letzte Band zu durchschneiden: Dieses Land sei doch Teil ihrer Identität. Genauso überraschend ist, dass Emigrierte in der Botschaft nach jetzigem Stand nicht zu einer Rückkehr in die Heimat aufgerufen werden; überhaupt spielt das Thema Emigration in dem Text bei weitem nicht die Rolle, die es bei den bisherigen Beratungen der Synodenväter hatte. Den Christen im Ursprungsland ihres Glaubens gehe es nicht nur ums „Überleben“, wie der Text das nenne, sondern ums „Leben“, kommentierte der Lateinische Patriarch Fouad Twal von Jerusalem.
In der Debatte über den Textentwurf äußerten zahlreiche Bischöfe aus dem Nahen Osten Einzelkritik: In dem Text verpflichten wir uns ja zu gar nichts, meinte einer, oder: Es fehlt auch unser eigenes Schuldbekenntis, so ein anderer. Ein Italiener beklagte, dass der aus Italien stammende Bischof in Anatolien Luigi Padovese, der im Sommer in der Türkei ermordet wurde, nicht erwähnt wird, die ermordeten irakischen Kirchenleute hingegen schon.
Mehrere Bischöfe kritisierten, dass das Prinzip der „Reziprozität“, also der Gegenseitigkeit, trotz seiner Bedeutung in den christlich-islamischen Beziehungen im Entwurf nicht vorkommt; allerdings hatte es auch in dieser Woche in den Wortmeldungen der Synodenväter fast keine Rolle gespielt. „Die Moslems reklamieren in Europa immer so eloquent ihre Rechte – und wir in Nahost?“, fragte ein Erzbischof. Irakische Bischöfe wünschen sich von dem Text noch ein spezielles Wort der Ermutigung an moderate Muslime, während Kirchenleute aus dem Heiligen Land darum baten, man solle doch auch das Leiden vieler Juden in Israel heute erwähnen. Ein europäischer Erzbischof riet, den ganzen Absatz über das Judentum lieber nochmal gründlich zu überarbeiten – schließlich werde dieser gleich aufmerksam von Juden in aller Welt gelesen werden.
(rv 16.10.2010 sk)








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