Vatikan: Nahost-Synode diskutiert über ihre Botschaft an die Welt
„Fürchte dich nicht,
du kleine Herde“ – dieses Jesuswort steht am Anfang der Schlußbotschaft, die die Nahost-Bischofssynode
im Vatikan in einer Woche feierlich an die Welt richten will. Der vertrauliche Entwurf
der Botschaft wurde an diesem Samstag von den Synodenteilnehmern lebhaft diskutiert.
Stefan Kempis war dabei. „In politischen Fragen zu ungenau, die Probleme werden
da nur umkreist“ – so urteilt ein europäischer Professor über den Entwurf der Botschaft.
Doch viele andere in der Synodenaula sahen das anders: Die Synodenväter kommen in
dem Text durchaus zur Sache – kein Wunder, er stammt ja auch im wesentlichen aus der
Feder von Erzbischof Michel Sabbah, und der Palästinenser, der lange Lateinischer
Patriarch von Jerusalem war, zeigte sich immer schon als ein Freund offener Worte.
Zum Inhalt, auch wenn die Einzelheiten vertraulich sind: Der Text betont zwar
den pastoralen und nicht politischen Charakter der Synode, dennoch seien die Teilnehmer
sehr besorgt über die sozio-politische Lage der Christen in Nahost. Der israelisch-palästinensische
Konflikt müsse dringend gelöst werden (auch wenn er im wesentlichen kein religiöser,
sondern ein politischer Konflikt sei), und Israel müsse die Besatzung von Palästinenserland
beenden. Das Wort Gaza fällt allerdings in dem Entwurf nicht, was dem melkitischen
Patriarchen Gregorios III. Laham von Damaskus sofort auffiel: „Ist Gaza etwa tabu?“,
fragte er in seiner ersten Reaktion. Von den Regierungen der arabischen Staaten verlangt
der Entwurf wiederum Grundrechte für die Christen, die Gleichheit aller Bürger vor
dem Gesetz, Maßnahmen, um Christen im Land zu halten, und keine Anwendung der Scharia
auf Christen; was im bisherigen Entwurf fehlt, ist allerdings der klare und direkte
Ruf nach Religionsfreiheit, etwa mit Blick auf Saudi-Arabien, oder ein Hinweis darauf,
dass Menschen eigentlich ein Recht auf Religionswechsel haben – auch wenn das vom
Islam zum Christentum hin ist. Für Verwunderung sorgte bei einigen Teilnehmern
des Nahost-Gipfels, dass der Gruß an die Juden in dem Textentwurf etwa zwanzig, der
an die Moslems hingegen noch nicht einmal zehn Zeilen lang ist. Den westlichen Kirchen
will die Synode laut Entwurf für ihre Solidarität danken; die internationale Gemeinschaft
wird aufgefordert, alles für einen gerechten und dauerhaften Nahost-Frieden und für
ein Ende der Unsicherheit im Irak zu tun. Auch über die Lage im Libanon zeigt sich
der Entwurf besorgt. Ohne Umschweife betont der Text die Mitverantwortung der Laien
– und zwar so deutlich, dass einige Synodenväter hinterher darum baten, man solle
doch bitte die Priester und nicht die Laien an erster Stelle nennen. Die Kirche in
Nahost stehe vor der Frage: Können wir uns noch einmal dazu aufraffen, unsere Mission
zu erfüllen, oder sind wir so schwach, dass wir nur noch unseren eigenen Tod ankündigen
können? In Sachen Ökumene bekräftigt der Entwurf, die Katholiken im Nahen Osten säßen
mit Orthodoxen und Lutheranern in einem Boot; hier wünschen sich Bischöfe aus dem
Irak allerdings noch ein Wort gegen Sekten. Deutlich bekennt sich der Text zum Weltkirchenrat
und zum (heftig kriselnden) Nahöstlichen Kirchenrat. Überraschend ist, dass sich
der Entwurf der Synodenbotschaft mit einem eigenen langen Absatz an die aus dem Nahen
Osten emigrierten Christen wendet. In bewegenden Worten werden sie gebeten, ihren
Traditionen treu zu bleiben und keine Ländereien in der alten Heimat zu verkaufen,
um nicht noch das letzte Band zu durchschneiden: Dieses Land sei doch Teil ihrer Identität.
Genauso überraschend ist, dass Emigrierte in der Botschaft nach jetzigem Stand nicht
zu einer Rückkehr in die Heimat aufgerufen werden; überhaupt spielt das Thema Emigration
in dem Text bei weitem nicht die Rolle, die es bei den bisherigen Beratungen der Synodenväter
hatte. Den Christen im Ursprungsland ihres Glaubens gehe es nicht nur ums „Überleben“,
wie der Text das nenne, sondern ums „Leben“, kommentierte der Lateinische Patriarch
Fouad Twal von Jerusalem. In der Debatte über den Textentwurf äußerten zahlreiche
Bischöfe aus dem Nahen Osten Einzelkritik: In dem Text verpflichten wir uns ja zu
gar nichts, meinte einer, oder: Es fehlt auch unser eigenes Schuldbekenntis, so ein
anderer. Ein Italiener beklagte, dass der aus Italien stammende Bischof in Anatolien
Luigi Padovese, der im Sommer in der Türkei ermordet wurde, nicht erwähnt wird, die
ermordeten irakischen Kirchenleute hingegen schon. Mehrere Bischöfe kritisierten,
dass das Prinzip der „Reziprozität“, also der Gegenseitigkeit, trotz seiner Bedeutung
in den christlich-islamischen Beziehungen im Entwurf nicht vorkommt; allerdings hatte
es auch in dieser Woche in den Wortmeldungen der Synodenväter fast keine Rolle gespielt.
„Die Moslems reklamieren in Europa immer so eloquent ihre Rechte – und wir in Nahost?“,
fragte ein Erzbischof. Irakische Bischöfe wünschen sich von dem Text noch ein spezielles
Wort der Ermutigung an moderate Muslime, während Kirchenleute aus dem Heiligen Land
darum baten, man solle doch auch das Leiden vieler Juden in Israel heute erwähnen.
Ein europäischer Erzbischof riet, den ganzen Absatz über das Judentum lieber nochmal
gründlich zu überarbeiten – schließlich werde dieser gleich aufmerksam von Juden in
aller Welt gelesen werden. (rv 16.10.2010 sk)