Unglaubliche Begegnungen
bei Radio Vatikan - so heißt ein Text, der uns in diesen Tagen in die Hände geriet.
Geschrieben hat ihn der Leiter der tschechischen Abteilung von Radio Vatikan, der
Jesuitenpater Josef Kolacek: Er führt ein fiktives (und an einigen Stellen recht bitteres)
Gespräch mit seinem Provinzial Antonin Zgarbik, der zu kommunistischer Zeit in der
Haft starb. Der Text erlaubt einen Blick in eine fremde Zeit - die aber noch gar nicht
so lange her ist... Außerdem finden Sie hier in unserem Audio-Angebot eine Hörfassung
des Textes; Sprecher sind Aldo Parmeggiani und Stefan v. Kempis.
Unglaubliche
Begegnungen bei Radio Vatikan:
Pater Josef Kolacek trifft Pater Antonìn
Zgarbik SJ
Totenglöckchen in der Ferne
JK „Ich bin schon
seit vierzig Jahren Totengräber hier in Velehrad, Südmähren, aber sowas ist mir noch
nie passiert: ein leeres Grab mit Erde bedecken, in dem kein Toter liegt...“ Es
war ein vielleicht Siebzigjähriger, der das sagte, melancholisch auf seine Schaufel
gestützt. Am Rand eines Loches, das in die Erde und ins Eis gehauen war. Januar
war`s... Und so, liebster Vater, hatten die Kommunisten also Ihren letzten Willen
mit Füßen getreten, den Sie im Kerker von Valdice geäußert hatten: in Velehrad begraben
zu werden, unter den Mitbrüdern...
AZ Das war ja nur der letzte Streich
ihres verbissenen, blinden Hasses auf einen Jesuiten, der u.a. „Untergrund“-Provinzial
gewesen war. Hass, der aus der Aversion gegen Gott kam, gegen Christus, gegen die
ganze Kirche. Auch nach dem Tode noch stellte ich eine Gefahr für sie dar – als
würden sie von der schweigenden Mehrheit im Volk offen als das bezeichnet, was sie
wirklich waren: meine Mörder. Ja, Mörder. Natürlich hat niemals jemand diese Anklage
laut ausgesprochen, aber die stummen Blicke der Menschen stempelten sie als Kaine
ab. Schon das Begräbnis in der Basilika von Velehrad, das ursprünglich erlaubt
worden war, wurde de facto verhindert. Und mein Körper wurde nicht herausgegeben. Sie
selbst wußten gleich sehr gene, wie sich die Nachricht von meinem Tod in Haft blitzartig
in der ganzen Republik verbreitete... Sie hatten ja überall Späher und IMs, das weißt
du – die trugen ihnen zu, wieviele Menschen zu meiner Beerdigung kommen wollten und
welche Demonstration gegen das Regime sich dabei ergeben hätte. Für sie war jeder,
der glaubte, ein Feind des Kommunismus. Darum sahst du an diesem Tag im Januar
1965 am Tor der Basilika von Velehrad den Aushang: Die Beerdigung findet nicht statt.
Ein
paar Takte aus „Revolution“ von den Beatles
JK Neunzehnhundertfünfundsechzig... Nur
ein paar Kilometer von unseren Landesgrenzen entfernt begannen Generationen von jungen
Leuten, Lieder auf die Freiheit zu singen... Wir, Seminaristen und junge Priester
in der Tschecheslowakischen Republik, standen derweil mitten auf diesem verschneiten
Friedhof um ein leeres Grab herum. Stumm. Das war unsere einzige Revolution:
die Kirche des Schweigens... (lacht ironisch) zum Schweigen gebracht! Wir waren alle
25 mit dem ersten Bus von Brno gekommen, um Ihnen, lieber Vater, auf der letzten Reise
das Geleit zu geben. Und wir fühlten hinter unseren Rücken die Blicke der Späher,
fühlten die Präsenz ihrer Teleobjektive, ihrer Ferngläser. Wir wußten aber auch:
Das würde der letzte Gewaltakt sein, den sie sich mit Ihnen erlauben konnten... Sagen
Sie mir – waren Sie nicht überrascht von solcher Verbissenheit auch über Ihren Tod
hinaus?
AZ Naja – ich war mir seltsam sicher, dass ich doch noch nach Velehrad
zurückkommen würde. Nach Hause. Denn aus dieser herrlichen Gegend hat mich der
Herr gerufen, ihm zu folgen. Nicht weit von hier liegt, hinterm Hügel in den Wäldern
von Chriby, das Dorf Jankovice; dort bin ich geboren und zur Schule gegangen, dort
habe ich als Junge alle möglichen Streiche verübt. (lacht) Ja, ich hab damals
einiges angestellt – glaubst du mir das nicht? Und hier habe ich, als mein Vater
im Ersten Weltkrieg an der Front gefallen war, den Geschmack entdeckt, den Brot im
Mund eines Waisenkindes hat... Ja, ich wußte irgendwie: Ich würde hierhin zurückkommen,
meine zwei Schwestern wiedersehen, meine Mutter Anna, die schon lange tot ist... Meinen
Vater nicht... Den habe ich auch kaum gekannt. Er ist in Österreich begraben, in St.
Pölten. Ich wußte, ich würde auch meine ältere Schwester Maria wiedertreffen –
und auch mein liebes kleines Schwesterchen, das mir vieles abgeschaut hat. Und
ich wußte vor allem, dass mein Grab die Erde fruchtbar machen würde. Wie das Grab
des Pfarrers Cyril Batà, der uns half, wie er konnte, denn er wußte ja, dass wir keinen
Vater mehr hatten, und der schließlich, obwohl wir so bettelarm waren, doch beschloss,
dass ich aufs Jesuitengymnasium in Velehrad gehen sollte. Doch, mir war klar: Ich
würde zurückkommen. Ich wußte es – auch als man mich vom Haus meiner Schwester
in Popice von neuem in die Anstalt von Valdice deportierte. Auch als die Lage aus
menschlicher Sicht hoffnungslos schien: Ich wußte, ich würde zurückkommen nach Hause.
JK Aber
warum wurden Sie denn schon wieder inhaftiert? Waren die fünfzehn Jahre, die Sie
schon abgesessen hatten, denn noch nicht genug? Und Ihre Gesundheit war doch auch
schon ziemlich angeschlagen... Glauben Sie, die wollten Sie beiseiteschaffen?
AZ Was
soll ich dazu sagen, mein Lieber? Ich erinnere mich noch an diese fürchterlichen
Verhöre. Schon die ersten dauerten sieben, acht, ja zehn Stunden – und immer nachts.
Die Agenten der Geheimpolizei wechselten sich ab, um mir keine Pause zu lassen. Damit
sie immer frisch und ausgeruht waren. Und immer waren sie zu zweit: ein Vernünftiger,
Geduldiger, geradezu Höflicher. Und ein Gewalttätiger, der brüllte, beleidigte,
mit der Faust auf den Tisch schlug und der mich schließlich auf den Kopf schlug, in
die Rippen... um mich physisch und seelisch fertigzumachen. Dabei gingen sie immer
mit satanischer Schläue zu Werke – sie demütigten mich auf fürchterliche Weise, sie
schüttelten mich. Aber selbst in diesen Momenten, mein Liebster, wußte ich, dass
Gott mit mir war... und dass er alles sah. Der gab mir einen Faustschlag nach dem
anderen und schrie dazu: Gib deine Schuld zu, oder du kommst hier nur mit den Füßen
voran wieder raus! Also tot, in ihrem Jargon. Und wenn dann die Strafe kam,
nämlich die Isolationszelle, dann hörte ich in mir wieder und wieder zwanghaft denselben
Satz. Denselben Satz: Gib deine Schuld zu, oder du kommst hier nur mit den Füßen voran
wieder raus. Dann hörte ich in mir die Worte meiner Mutter Anna, als ich noch klein
war: Gott läßt sich nicht betrügen.
JK Die Isolationshaft – das ist eine
der strengsten Strafen, Pater. Aber... was hatten Sie denn so Schlimmes getan, um
sich diese Strafe einzuhandeln?
AZ Während all ihrer Verhöre (und glaub
mir, es waren wirklich viele) ist es ihnen nicht einmal durch Schütteln gelungen,
irgendwelche Informationen aus mir herauszuholen, die jemandem hätten schaden können. Das
ist der Grund, warum ich als unbelehrbarer Feind des Sozialismus angesehen wurde. Diese
Kategorie von Häftlingen hatte nur auf diese außerordentlichen Diziplinrmaßnahmen
Anrecht... ohne die ständigen Quälereien durch das Kerkerpersonal oder durch die Anführer
der Häftlinge zu zählen: Das waren grausam ausgeklügelte Bosheiten, kleine und auch
große, aber die gebräuchlichste war, wie gesagt, die Isolationszelle. Mein Einsitzen
in dieser Hölle dauerte eine Woche. Die Zelle war aus Zement, und der Gefangene konnte
dort noch nicht einmal aufrecht auf seinen Füßen stehen, er bekam nur eine Decke,
und das Essen rationiert... Das bedeutete Hunger, mein Liebster, großen Hunger:
verzehrenden Hunger. Und die Kälte drang einem bis auf die Knochen durch; alles
war vollkommen dunkel, es gab noch nicht mal einen Ritz, durch den ein wenig Licht
gefallen wäre... Weißt Du, was eine solche Tortur bedeutet, mein Liebster? Sie
bedeutet, die Grenzen des eigenen Menschseins zu verlieren. Zu riskieren, dass man
vergisst, eine Person zu sein. Dass man vergisst, wie Sonnenlicht ist, was Raumgefühl
ist, was Luft ist in deinen Lungen, welche Umrisse dein Körper hat, welche Dimensionen...
die Fähigkeit, sich an eine Geste zu erinnern, ein Wort auszusprechen... In diesen
Momenten kam mir nur Unser Herr am Kreuz nahe. Ich sah seine ausgespannten Arme am
Kreuz. Und dachte an meine Arme, verkrampft auf diesem engen Raum, an mein erbärmliches
Kreuz, so drückend und doch so klein im Vergleich zu dem seinen... Nur dadurch
gelang es mir, zu überleben...
Musik
Ja, ich war schon im KZ
Theresienstadt gewesen: Ich kannte sehr genau die Erfahrung der Folter. Aus Theresienstadt
war ich furchtbar unterernährt zurückgekommen, aber ich hatte dann wieder zu meiner
normalen Kondition zurückgefunden. Als ich 1950 während der Bartholomäusnacht,
vom 13. auf den 14. April, in Brno verhaftet wurde, war ich wieder gesund wie ein
Fisch! Aber dann in Valdice, unter diesen Umständen...
JK Es war dann
wegen Ihrer starken Asthmaanfälle, dass die Kommunisten Ihnen schließlich eine Kur
erlaubten, stimmt`s? Vor allem wegen der Hartnäckigkeit Ihrer Schwester Bozeny, die
ohne Unterlaß darum bat und bettelte, Ihre Strafe zu suspendieren, stimmt`s? Aber...
wann sind Sie denn genau an Asthma erkrankt?
AZ Oktober 1960. Es war sehr
kalt: Regen, Schnee... In den Zellen zitterten wir. In diesen abgewetzten, schmutzigen
Uniformen, die nur so vollgesogen waren von Schweiß, waren wir alle eine leichte Beute
für die Grippeepidemie. Als ich erkrankte, war die Medikamentenreserve gerade erschöpft,
und so konnte ich ebensowenig behandelt werden wie die, die gleichzeitig mit mir erkrankt
waren. Einige hatten es nach einer Woche überstanden; in mir entwickelte sich dagegen
eine schwere Lungenentzündung. Die Behandlung war eher – sagen wir mal – symbolisch,
und so hatte ich nach ein paar Wochen die ersten Asthma-Anfälle. Ach – ich erinnere
mich, dass ich fast erstickt bin dabei. Als meine Schwester Bozeny mich im Gefängnis
besuchen konnte, war sie erschrocken: Ich konnte nahezu nicht sprechen, weil mir buchstäblich
der Atem ausging. Sie nahm meinen Puls und erkannte gleich, dass ich hohes Fieber
hatte... Sie war bestürzt darüber, dass man mich in so einem Zustand noch gehen
und sogar arbeiten liess. Als sie nach Hause zurückkehrte, begann sie, Bittschriften
in alle Richtungen zu verschicken, und dann fuhr sie persönlich nach Ostravy zum Sitz
des Gerichts. Sie kam auch nach Prag ins Justizministerium und wandte sich sogar an
den Präsidenten der Republik mit der Bitte um meine Freilassung. Unermüdliche, unerschrockene
Bozena... Antwort bekam sie nie. Aber als mein Zustand noch schlimmer wurde
und als diese Attacken anfingen, die überhaupt kein Ende nahmen, da sah sich der Gefängnisdirektor
gezwungen, mich nach Mirov zu verlegen – in ein Gefängnis, wo das herrschende Regime
sehr viel milder war. Aber auch dort besserte sich mein Zustand nicht. Sie hatten
Angst, ich könnte in Haft sterben und zu einem Märtyrer werden. Nur deshalb haben
sie dann doch die Strafe suspendiert, und so konnte ich zu Bozena gehen, nach Popive
in Südmähren. Ihr Mann war der Leiter einer landwirtschaftlichen Kooperative, das
war für sie eine Garantie...
JK Aber wie ist es möglich, lieber Pater, dass
man Sie nach alldem dann doch wieder ins Gefängnis zurückgebracht hat? Und auch noch
so schnell?
AZ Im Haus meiner Schwester Bozena herrschte ein tiefer Frieden... Ich
erinnere mich an die gute Landluft, an die Gerüche in unserem Haus... Die Kartoffelfladen,
der Auflauf, überstreut mit gestampftem und gezuckertem Mohn, das Gulasch mit Vollkornbrot,
die Knoblauch- und Kohlsuppe, Topinka mit Knoblauch.... Dank dieser Ruhe, dieser unglaublichen
Pflege, dank diesen Medikamenten, die sie sich aus Österreich besorgte, hat sich meine
gesundheitliche Lage dort rasch verbessert. Zwar hatte ich immer noch Asthma-Anfälle,
aber nicht mehr ständig – sie wurden seltener, und ich konnte auch einigermaßen gut
atmen, im Garten spazierengehen, den Duft der Blumen riechen... Päonien, Lilien, Veilchen...
Und ich konnte dieses herrliche Panorama rund um die Hügel von Palava genießen, ja
sogar in die Kirche gehen, in die Kirche! Du kannst dir nicht vorstellen, mein Sohn,
wie bewegend das war, nach so langer Zeit wieder eine Kirche von innen zu sehen...
noch einmal den Geruch von Weihrauch einzuatmen... Mir war, als wäre dieser Geruch
eigentlich das beste Heilmittel für meine kranken Lungen. Eine unerwartete Erleichterung
für meinen Körper und für meinen Geist, die so hart geprüft worden waren. Allerdings
mußt du wissen, mein Lieber: Selbst dort, bei der Ewigen Anbetung vor dem Tabernakel,
wurde ich überwacht.
Und das war leider nicht der einzige Hinweis darauf,
dass sie mich weiterhin „freundlich“ im Auge hatten und dass sie mich alles andere
als vergessen hatten. Aus dem Gefängnis kamen ständig Anfragen an Doktor Grossman,
den Distriktsarzt von Hustopece, wie es mir denn ginge. Kaum vorstellbar, wie sehr
denen meine Gesundheit am Herzen lag! Ihm war klar, dass die staatliche Polizei ihn
überwachte; er wurde oft bedroht, auch ganz offen. Vielleicht lautete deswegen auf
die x-te Anfrage hin seine Diagnose im November so: „Unheilbare Krankheit, aber ohne
unmittelbare Lebensgefahr.“ Und das führte dann dazu, dass man mich binnen einer Woche
schnurstracks wieder ins Gefängnis zurückgebracht hat. Von der angenehmen Wärme zuhause
in die kalten Zellen von Mirov – ein fataler Übergang. Und so brachten sie ihr Werk
binnen zweier Monate dann zu einem Ende.
Totenglöckchen
„Unheilbare
Krankheit, aber ohne unmittelbare Lebensgefahr.“ Meine Schwester schickte Doktor Grossman
dann die Nachricht von meinem Tod und von der Beerdigung und schrieb eigenhändig diesen
Satz dazu. Ein Satz zum Einrahmen. Weniger als zwei Monate mit neuen Asthma-Anfällen
hatten gereicht; der Tod kam durch Ersticken. 22. Januar 1965.
Musik
JK Ich
erinnere mich noch sehr gut an einen anderen Satz, Vater. Einen Satz von Ihnen, einen
prophetischen Satz: Sie sagten ihn während der geistlichen Exerzitien für die Studenten
im August 1946. Ich war damals in der sechsten Klasse, erinnern Sie sich? Es war genau
dieser Satz, der über meine religiöse Berufung entschied. In der Kapelle des Exerzitienhauses
in Stojanov sagten Sie: „Meine Lieben, bald wird die Zeit kommen, in der man unsere
Kirche grausam verfolgen wird. Aber trotzdem – es werden sich immer Verrückte für
Christus finden, die ihm trotz allem immer noch folgen.“ (lächelt bitter) Genau
in diesem Moment entschied ich: Einer von diesen Verrückten werde ich sein. Die
Erinnerungen sind übermächtig... Die Aula war von einem gleißenden Licht erfüllt:
Es war August, auf den Feldern begann die Weizenernte, in den Weinbergen reiften unsere
südmährischen Trauben, die Winzer bereiteten die Fässer für den neuen Wein vor...
Ihre Stimme, Vater, war ruhig und tief. „Es werden sich immer Verrückte für Christus
finden, die ihm trotz allem immer noch folgen.“ Aber – woher kam Ihnen diese Zukunftsahnung,
und vor allem diese innere Gelassenheit angesichts einer so dramatischen Zukunft?
AZ Alles
kommt aus dem Gehorsam – auch wenn dir das vielleicht unmöglich scheint. Schon von
den ersten Exerzitien an versucht ein guter Jesuit, den Willen Gottes vollkommen zu
erfüllen. Er vergisst nie den großen Regisseur, der auch noch die verwickelsten Situationen
in der Hand behält. Ein guter Jesuit unterstützt ihn einfach bis zum Letzten, in der
Kraft Seiner Liebe und Seiner Barmherzigkeit... und das alles zur höheren Ehre Gottes.
Denn „Gott läßt sich nicht betrügen“. Das habe ich in den dramatischen Wendungen meines
religiösen Lebens selbst deutlich erfahren. Nach dem Noviziat in Velehrad wurde ich
nach Lublin in Polen geschickt, um Philosophie zu studieren; dann kam ich nach Velehrad
zurück, um Gymnasialpräfekt zu sein. Für die theologischen Studien schickten sie mich
nach Maastricht in Holland, aber nach kaum einem Jahr rief uns der Provinzial alle
in die Heimat zurück, weil der Krieg näherkam. Ich machte in Hostyn die übrigen drei
Jahre Theologie und erlebte dann am 5. Juli 1940 in der Kathedrale von Brno meine
Priesterweihe.
Musik
Während meiner Primiz-Messe war in meinem
Geburtsdorf Jankovice das Echo der dramatischen Kriegsereignisse zu hören, die Gefahr
der Konzentrationslager, die Verhöre durch die Gestapo, der Horror der Repressalien
durch die Nazis nach dem Mord an Heydrich mit Hunderten von Hinrichtungen... und all
die anderen „Nettigkeiten“, auf die die Nazis verfielen. Im Schutz des Marienwallfahrtsortes
Svaty Hostyn, wo ich Assistent des Novizenmeisters war, blieb die Lage der jungen
Ordensleute relativ ruhig, bis dann allerdings die Deportationen zur Arbeit im Dritten
Reich einsetzten.
Musik
1944, als die Niederlage von Hitler-Deutschland
schon in der Luft lag, wurde ich zum Superior an St. Ignatius in Prag ernannt. Trotzdem
wurde ich zusammen mit unseren Theologiestudenten verhaftet und zum Konzentrationslager
Theresienstadt verurteilt. Nur elf Monate vergingen, und schon sahen wir fast dem
Tod ins Gesicht. Doch offenbar brauchte mich die Vorsehung noch für andere Werke,
und so wurde ich nach dem Krieg erneut nach Velherad geschickt, wo ich Rektor des
Kollegs und Novizenmeister wurde...
JK Und da habe ich Sie dann ja auch
kennengelernt, liebster Vater – zum zweiten Mal. 1948 war das. Anfang Juli trat ich
zum Aufnahme-Examen für die Gesellschaft Jesu an, und während drei Prüfer sich vor
allem mit meinen konkreten apostolischen Fähigkeiten beschäftigten, hatten Sie es
eher übernommen, mich zu warnen... Eine Warnung, die mir seit damals in Erinnerung
geblieben ist: „Denk daran, die Kommunisten werden die Kirche verfolgen (da hatte
das Regime noch nicht einmal seit einem Jahr die Macht in unserem Land übernommen!),
und die Jesuiten werden bei dieser Jagd die allererste Zielscheibe sein.“ Wie beim
Tischtennis gab ich Ihnen diesen Ball damals gleich zurück... aber ja, ich habe intensiv
über Ihre Warnung nachgedacht, und ich erinnere mich an Ihr kaum sichtbares Lächeln...
Sahen Sie denn damals schon, was mir bevorstand?
AZ Nein. Aber ich fühlte
doch alles im voraus. Weißt du, mein kleines Lächeln hängt mit einer Erinnerung aus
meiner Novitiatszeit zusammen: Unser Novizenmeister hatte uns intensiv von den Jesuiten
erzählt, die Märtyrer in Japan wurden – vor allem bei dieser Missions-Expedition von
dreißig Novizen, die von Pater Azevada angeführt wurden. Sie wurden am 15. Juli 1570
von französischen Freibeutern gefangengenommen, die Hugenotten waren; diese folterten
sie und warfen sie dann ins Meer. Damals als junger Mann erfüllten mich diese Erzählungen
mit solchem Enthusiasmus, dass auch ich am liebsten meinen Hals den Schwerten und
Lanzen der Schlächter angeboten hätte. Aber dann wurde ich krank (ein leichtes Fieber!),
und mich überkam ein derartiges Unwohlsein, dass ich fast das Noviziat hätte wieder
verlassen wollen. Es war die Erinnerung an diesen Moment, die mich lächeln ließ und
die hinter meinen Worten an dich stand...
Auch wenn ich elf äußerst harte Monate
im KZ in der Festung Theresienstadt verbracht habe: Mich hat damals doch immer die
Hoffnung getröstet, dass unsere Leute zu einer solchen Grausamkeit und Unmenschlichkeit,
wie die Sowjetkommunisten sie an den Tag legten, nicht imstande wären. Aber ich habe
mich getäuscht. Und wie ich mich täuschte! In Zeliv hatten sie ein Prämonstratenserkloster
in ein Konzentrationslager für die Ordensoberen verwandelt, und dort herrschte ein
besonders strenges Regime. Dort sah und erlebte ich an eigenem Leib, dass die Tschechen
leider doch zur gleichen Grausamkeit fähig waren, wie sie auch von den Deutschen gezeigt
worden war, wenn nicht gar zu noch Schlimmerem. Nach der Auflösung dieses Lagers
1956 deportierten sie uns nach Kraliky. Dort hatten die Kommunisten ein KZ für die
Ordensleute eines Marienwallfahrtsortes geschaffen... Was für ein Feingefühl, findest
du nicht auch? Diese stillen Kirchenschiffe, in denen Hymnen auf Maria erklungen waren,
wurden nun Schauplatz für Gewalt und Willkür jeder Art. Diese jahrhundertealten Linden
und Kastanienbäume, um die Wespenschwärme summten, wurden – zu Füßen der Wallfahrtskirche
– zu Zeugen unendlicher Ungerechtigkeiten. Wir Ordensleute mußten hart arbeiten: als
Holzfäller, in den Steinhöhlen, auf vernachlässigten Gutshöfen. Wir hatten nur die
simpelsten Werkzeuge zur Verfügung: Hacken, Schaufeln, Spitzhacken... Und es war hier,
in dieser ländlichen Ruhe des Bauernhofes, dass ich (mit Blasen an den Händen, im
Schweiße meines Angesichts arbeitend) erlebte, wie es ist, wenn man verraten wird.
JK Meinen
Sie damit Vancura?
AZ Mich schaudert, wenn ich daran denke, wie dieser Tunichtgut
eines Tages vor Gott Rechenschaft ablegen wird! Wie er es auf sich nehmen wird, das
Vertrauen anderer Menschen verraten zu haben, und dass er für eine Handvoll Vergünstigungen
durch das Regime dazu bereit war, Dutzende von Mitbrüdern ins Gefängnis zu schicken,
womit er sie in ein Meer des Leidens und der Demütigungen gestoßen hat...
JK Wir
in Brno bekamen nur sehr wenige Nachrichten vom Prozess in Ostrava, Vater – dem Prozess,
bei dem Sie zu nicht weniger als sechzehn Jahren Haft verurteilt wurden. Aus dem Nebel,
aus dieser drückenden Atmosphäre im Herbst 1960, tauchten nur allmählich die Konturen
dieser unermeßlichen Schäden auf, die Vancura anrichtete. Sie hatten ihn doch in Prag
in der Ignatiuskirche kennengelernt, wo er Messdiener war, stimmt`s? Dann wurde er
Novize in Velehrad... Aber, Vater, hatten Sie das vorausgesehen, dass er so tief
fallen würde?
AZ Auch er war in der Theresienfestung von Leopoldov in der
Slowakei interniert gewesen, dem härtesten kommunistischen Gefängnis, in dem Bischöfe,
Provinziale, Äbte und Theologieprofessoren eingesperrt wurden, also die Crème der
katholischen Kirche. Viele bewunderten ihn wegen seiner starken religiösen Berufung,
gegen die seine atheistischen und kommunistischen Eltern heftigen Widerstand geleistet
hatten. Mit seiner Intelligenz, seiner Eloquenz und seinem fast eines Schauspielers
würdigen Genie war er imstande, traurige und entmutigte Priester, die mit ihm zusammen
im Gefängnis waren, moralisch wieder aufzurichten. Aber „Gott läßt sich nicht
betrügen“... Niemals. Nach einem Jahr Haft wurde ihm dann gesagt, man werde ihn
wieder auf freien Fuß setzen. Der Provinzial der tschechischen Jesuiten, Pater
Silhan, wie der der slowakischen Jesuiten, Pater Srna, wollten beide die Gelegenheit
dazu nutzen, über ihn ihre Direktiven und Ernennungen an die Mitbrüder, die nicht
im Gefängnis saßen, zu übermitteln. Er hat auch alles ihren Anweisungen entsprechend
ausgeführt, aber gleichzeitig der Geheimen Staatspolizei ebenfalls alles weitergegen!
Und so wurden wir alle binnen kürzester Zeit verhaftet, eingesperrt und beim Schauprozess
von Ostrava verurteilt. Uns wurden die Strafen genau wie in den fünfziger Jahren
angedroht, als unser Provinzial Pater Shiran 25 Jahre harter Haft bekam und die anderen
ein bißchen weniger. Diese Strafen wurden präventiv von der Partei festgelegt und
gingen von acht bis sechzehn Jahren Haft wegen Hochverrats. Auf diese Art und Weise
erstickte das Regime unsere Versuche, auch in der Diaspora das Ordensleben zu leben,
im Keim...
JK Wirklich eine tragische Erfahrung, Vater. ... Ich mußte
gerade daran denken, dass wir uns nur zweimal persönlich begegnet sind; ansonsten
hat mir der Herr noch nicht einmal erlaubt, Ihnen auf Ihrer letzten Reise ins Grab
nochmals zu begegnen. Als ich als Novize nach Velherad kam, waren Sie schon Rektor
in Brno; als sie uns alle schnappten (verhaftet oder in Arrest gebracht und deportiert
ins KZ Bohosudov), waren Sie in Zeliv und dann in Kraliky unter Überwachung; als ich
als Assistent in Brno arbeitete, pilgerten Sie von einem Gefängnis zum anderen: Ostrava,
Valdice und Mirov. Und dann konnten wir uns schließlich noch nicht einmal mehr auf
dem Friedhof von Velehrad treffen. Ich suche vergeblich nach einem Sinn hinter all
dem...
AZ Siehst du denn nicht, dass trotz allem gerade hier die Hand Gottes
zu spüren ist? Die Hand des großen Regisseurs der Geschichte und der Geschicke der
Menschen. „Gott läßt sich nicht betrügen“, mein Lieber... Vielleicht sind wir
uns ja – mehr, als wir uns das denken können – in Christus begegnet, in den gegenseitigen
Gebeten nämlich und in jeder Messe, die wir gefeiert haben... Durch die Post des
Himmels hatten wir einen Kontakt, den kein Zensor überwachen konnte. War es nicht
so?
Musik im Hintergrund
.. und bei allem Schmerz, bei aller
Diskriminierung und Demütigung dieser Epoche ist doch Wirklichkeit geworden, was wir
den Herrn bei unseren Geistlichen Exerzitien gebeten hatten: dass wir nämlich arm
würden mit dem armen Christus, beleidigt mit dem beleidigten Christus, für verrückt
gehalten um Christi willen, denn er zuallererst hat ja als Verrückter gegolten. Wir
haben die Meditation über die drei Stufen der Demut nach St. Ignatius aktuell werden
lassen, indem wir zur Zielscheibe der Menschen wurden. Sie haben uns Verräter genannt,
Kriegstreiber, Spione des Vatikans, Käuflinge des amerikanischen Kapitalismus...
Und
dann dürfen wir auch nicht das Eingreifen des Heiligen Geistes vergessen, der unsere
Priester über die kommunistischen Kerker der fünfziger Jahre verstreut hat. Jeden
Abend um 21 Uhr beteten wir füreinander: die Inhaftierten für die, die draußen waren,
und umgekehrt; und gleichzeitig erteilten die Priester allen um diese Zeit ihren Segen. Als
Pater Fert von der tschechischen und Pater Polcin von der slowakischen Abteilung von
Radio Vatikan davon erfuhren, haben sie der Leitung des Senders vorgeschlagen, ein
Gleiches zu tun, und das wurde sofort angenommen und in die Tat umgesetzt. Für
uns in den Gefängnissen (aber auch, wenn wir dann freikamen) war es immer ein großer
Trost, zu wissen, dass das Radio des Papstes diese Praxis übernommen hatte. Um 20.45
Uhr begann der Rosenkranz, und um 21 Uhr gab der Priester über alle Frequenzen den
Häftlingen und den Mitbrüdern, die man zum Schweigen gebracht hatte, seinen Segen. Wenn
du wüßtest, mit welcher Erwartung ich auf diesen Moment wartete: Ich war gut ausgebildet,
ich hatte studiert, und mein Beruf, meine Aufgabe innerhalb der Gesellschaft Jesu
war das Predigen, aber jetzt – jetzt konnte ich leider nur noch segnen. (Was aber
gar nicht wenig ist...) Ja, auch heute bin ich bereit, jeden von euch vom Himmel
aus zu segnen...
JK Das Te Deum, das eine Menge von mehr als tausend Menschen
während Ihrer Beerdigung in Jankovice sang, war für uns ein Zeichen der Zeit: eine
Botschaft, dass der Herr begonnen hatte, seinen treuen Diener zu ehren...
AZ Der
zwecklose, lächerliche Versuch der so genannten „Kirchensekretäre“ (in Wirklichkeit
waren es Parteifunktionäre, allmächtige Liquidatoren des kirchlichen Lebens!) ...
ihr Versuch, mein Begräbnis aller Ehrerbietungen zu entkleiden und es in eine einfache
Bestattungszeremonie zu verwandeln, erwies sich als ein wahrer Bumerang... Eigentlich
war mein Begräbnis genehmigt und für den 26. Januar in Velherad festgesetzt worden,
aber dann sind sie erschrocken über die Resonanz, die die Nachricht hatte, und vor
allem über die Vielzahl von Menschen, die sich auf den Weg machten. Darum wurde es
dann den Bestattern verboten, die sterblichen Überreste an die Familie zu übergeben,
und die Genehmigung für das Requiem wurde wieder zurückgezogen. Am Morgen des 29.
Januar erfuhr dann die Familie meines Schwagers dank ihrer guten Verbindungen im Eisenbahnbereich,
dass meine sterblichen Überreste in einem Waggon auf dem Gelände des Bahnhofs von
Stare Mesto abgestellt waren und dass sie dann per LKW weiter nach Jankovice gebracht
werden sollten; die Kommunisten hatten nämlich angeordnet, dass die Beerdigung noch
am selben Tag stattzufinden habe. An der Spitze des Trauerzugs durfte nur ein Priester
ohne Chormantel gehen, mit einer Stola angetan – ohne Messdiener, ohne Weihwasser,
ohne Weihrauchfass, ohne Kerzen, ohne Musik, ohne Gesänge und Psalmen, ja sogar ohne
Vortragskreuz. Aber nicht ohne Gott... Denn wie könnte man Gott verbieten? Trotz
all ihrer Einschränkungen gab es eine Rede... Die Nachricht verbreitete sich doch
über alle Dörfer und die benachbarten Kleinstädte, und wer konnte, der kam, ob zu
Fuß oder im Auto. Und obwohl es Freitag war, also ein Arbeitstag, kamen doch mehr
als tausend Männer zusammen, ohne Frauen und Kinder zu zählen. Und kaum setzte sich
die Prozession von der Kirche zum Friedhof hin in Bewegung, begann die ganze Menge
spontan das Te Deum auf tschechisch zu singen... Ich konnte es hören, mein Lieber,
glaubst du mir das? Nein, keiner hatte das organisiert oder irgendwelche Absprachen
getroffen. Alles wuchs spontan heraus – wie diese Päonien und diese Veilchen im Garten
meiner Schwester Bozena. Und während diese vier Strophen erklangen, wurde der Gesang
immer stärker und kräftiger, so dass man ihn bis nach Velehrad im nächsten Tal hören
konnte! Die Trauer, die Angst, die Entmutigung und das Misstrauen lösten sich auf;
unter den Leuten begann sich ein Stolz breitzumachen und an Kraft zu gewinnen, das
Bewußtsein, Zeugen des Begräbnisses eines Märtyrers zu sein, der in ihrem Dorf geboren
worden war, in dieser süßen Erde Mährens... Denn „Gott läßt sich nicht betrügen“... Auch
wenn ich nicht den Segen spenden konnte wie bei meiner ersten Messe, fühlte ich doch,
dass bei jedem Schritt, der meine Bahre dem Grab näherbrachte, in ihnen stärker –
und wie im Rausch – die Gewißheit aufging, dass ich mit meinem Leben und mit meinem
Tod wahrhaftig Zeugnis abgelegt hatte für die Verkündigung des Evangeliums.
(1
Kor 2-9 „Was kein Auge je gesehen und kein Ohr je gehört hat“)