2010-10-06 14:56:02

Leeres Grab in Velehrad - ein Hörstück


RealAudioMP3 Unglaubliche Begegnungen bei Radio Vatikan - so heißt ein Text, der uns in diesen Tagen in die Hände geriet. Geschrieben hat ihn der Leiter der tschechischen Abteilung von Radio Vatikan, der Jesuitenpater Josef Kolacek: Er führt ein fiktives (und an einigen Stellen recht bitteres) Gespräch mit seinem Provinzial Antonin Zgarbik, der zu kommunistischer Zeit in der Haft starb. Der Text erlaubt einen Blick in eine fremde Zeit - die aber noch gar nicht so lange her ist... Außerdem finden Sie hier in unserem Audio-Angebot eine Hörfassung des Textes; Sprecher sind Aldo Parmeggiani und Stefan v. Kempis.

Unglaubliche Begegnungen bei Radio Vatikan:

Pater Josef Kolacek trifft Pater Antonìn Zgarbik SJ

Totenglöckchen in der Ferne

JK
„Ich bin schon seit vierzig Jahren Totengräber hier in Velehrad, Südmähren, aber sowas ist mir noch nie passiert: ein leeres Grab mit Erde bedecken, in dem kein Toter liegt...“
Es war ein vielleicht Siebzigjähriger, der das sagte, melancholisch auf seine Schaufel gestützt. Am Rand eines Loches, das in die Erde und ins Eis gehauen war.
Januar war`s...
Und so, liebster Vater, hatten die Kommunisten also Ihren letzten Willen mit Füßen getreten, den Sie im Kerker von Valdice geäußert hatten: in Velehrad begraben zu werden, unter den Mitbrüdern...

AZ
Das war ja nur der letzte Streich ihres verbissenen, blinden Hasses auf einen Jesuiten, der u.a. „Untergrund“-Provinzial gewesen war. Hass, der aus der Aversion gegen Gott kam, gegen Christus, gegen die ganze Kirche.
Auch nach dem Tode noch stellte ich eine Gefahr für sie dar – als würden sie von der schweigenden Mehrheit im Volk offen als das bezeichnet, was sie wirklich waren: meine Mörder. Ja, Mörder. Natürlich hat niemals jemand diese Anklage laut ausgesprochen, aber die stummen Blicke der Menschen stempelten sie als Kaine ab.
Schon das Begräbnis in der Basilika von Velehrad, das ursprünglich erlaubt worden war, wurde de facto verhindert.
Und mein Körper wurde nicht herausgegeben.
Sie selbst wußten gleich sehr gene, wie sich die Nachricht von meinem Tod in Haft blitzartig in der ganzen Republik verbreitete... Sie hatten ja überall Späher und IMs, das weißt du – die trugen ihnen zu, wieviele Menschen zu meiner Beerdigung kommen wollten und welche Demonstration gegen das Regime sich dabei ergeben hätte.
Für sie war jeder, der glaubte, ein Feind des Kommunismus.
Darum sahst du an diesem Tag im Januar 1965 am Tor der Basilika von Velehrad den Aushang: Die Beerdigung findet nicht statt.

Ein paar Takte aus „Revolution“ von den Beatles

JK
Neunzehnhundertfünfundsechzig...
Nur ein paar Kilometer von unseren Landesgrenzen entfernt begannen Generationen von jungen Leuten, Lieder auf die Freiheit zu singen... Wir, Seminaristen und junge Priester in der Tschecheslowakischen Republik, standen derweil mitten auf diesem verschneiten Friedhof um ein leeres Grab herum.
Stumm.
Das war unsere einzige Revolution: die Kirche des Schweigens... (lacht ironisch) zum Schweigen gebracht! Wir waren alle 25 mit dem ersten Bus von Brno gekommen, um Ihnen, lieber Vater, auf der letzten Reise das Geleit zu geben. Und wir fühlten hinter unseren Rücken die Blicke der Späher, fühlten die Präsenz ihrer Teleobjektive, ihrer Ferngläser.
Wir wußten aber auch: Das würde der letzte Gewaltakt sein, den sie sich mit Ihnen erlauben konnten...
Sagen Sie mir – waren Sie nicht überrascht von solcher Verbissenheit auch über Ihren Tod hinaus?

AZ
Naja – ich war mir seltsam sicher, dass ich doch noch nach Velehrad zurückkommen würde.
Nach Hause.
Denn aus dieser herrlichen Gegend hat mich der Herr gerufen, ihm zu folgen.
Nicht weit von hier liegt, hinterm Hügel in den Wäldern von Chriby, das Dorf Jankovice; dort bin ich geboren und zur Schule gegangen, dort habe ich als Junge alle möglichen Streiche verübt.
(lacht)
Ja, ich hab damals einiges angestellt – glaubst du mir das nicht?
Und hier habe ich, als mein Vater im Ersten Weltkrieg an der Front gefallen war, den Geschmack entdeckt, den Brot im Mund eines Waisenkindes hat...
Ja, ich wußte irgendwie: Ich würde hierhin zurückkommen, meine zwei Schwestern wiedersehen, meine Mutter Anna, die schon lange tot ist...
Meinen Vater nicht... Den habe ich auch kaum gekannt. Er ist in Österreich begraben, in St. Pölten.
Ich wußte, ich würde auch meine ältere Schwester Maria wiedertreffen – und auch mein liebes kleines Schwesterchen, das mir vieles abgeschaut hat.
Und ich wußte vor allem, dass mein Grab die Erde fruchtbar machen würde.
Wie das Grab des Pfarrers Cyril Batà, der uns half, wie er konnte, denn er wußte ja, dass wir keinen Vater mehr hatten, und der schließlich, obwohl wir so bettelarm waren, doch beschloss, dass ich aufs Jesuitengymnasium in Velehrad gehen sollte.
Doch, mir war klar: Ich würde zurückkommen.
Ich wußte es – auch als man mich vom Haus meiner Schwester in Popice von neuem in die Anstalt von Valdice deportierte. Auch als die Lage aus menschlicher Sicht hoffnungslos schien: Ich wußte, ich würde zurückkommen nach Hause.

JK
Aber warum wurden Sie denn schon wieder inhaftiert?
Waren die fünfzehn Jahre, die Sie schon abgesessen hatten, denn noch nicht genug? Und Ihre Gesundheit war doch auch schon ziemlich angeschlagen... Glauben Sie, die wollten Sie beiseiteschaffen?

AZ
Was soll ich dazu sagen, mein Lieber?
Ich erinnere mich noch an diese fürchterlichen Verhöre.
Schon die ersten dauerten sieben, acht, ja zehn Stunden – und immer nachts. Die Agenten der Geheimpolizei wechselten sich ab, um mir keine Pause zu lassen. Damit sie immer frisch und ausgeruht waren.
Und immer waren sie zu zweit: ein Vernünftiger, Geduldiger, geradezu Höflicher.
Und ein Gewalttätiger, der brüllte, beleidigte, mit der Faust auf den Tisch schlug und der mich schließlich auf den Kopf schlug, in die Rippen... um mich physisch und seelisch fertigzumachen. Dabei gingen sie immer mit satanischer Schläue zu Werke – sie demütigten mich auf fürchterliche Weise, sie schüttelten mich.
Aber selbst in diesen Momenten, mein Liebster, wußte ich, dass Gott mit mir war... und dass er alles sah.
Der gab mir einen Faustschlag nach dem anderen und schrie dazu: Gib deine Schuld zu, oder du kommst hier nur mit den Füßen voran wieder raus!
Also tot, in ihrem Jargon.
Und wenn dann die Strafe kam, nämlich die Isolationszelle, dann hörte ich in mir wieder und wieder zwanghaft denselben Satz. Denselben Satz: Gib deine Schuld zu, oder du kommst hier nur mit den Füßen voran wieder raus.
Dann hörte ich in mir die Worte meiner Mutter Anna, als ich noch klein war: Gott läßt sich nicht betrügen.

JK
Die Isolationshaft – das ist eine der strengsten Strafen, Pater. Aber... was hatten Sie denn so Schlimmes getan, um sich diese Strafe einzuhandeln?

AZ
Während all ihrer Verhöre (und glaub mir, es waren wirklich viele) ist es ihnen nicht einmal durch Schütteln gelungen, irgendwelche Informationen aus mir herauszuholen, die jemandem hätten schaden können.
Das ist der Grund, warum ich als unbelehrbarer Feind des Sozialismus angesehen wurde.
Diese Kategorie von Häftlingen hatte nur auf diese außerordentlichen Diziplinrmaßnahmen Anrecht... ohne die ständigen Quälereien durch das Kerkerpersonal oder durch die Anführer der Häftlinge zu zählen: Das waren grausam ausgeklügelte Bosheiten, kleine und auch große, aber die gebräuchlichste war, wie gesagt, die Isolationszelle.
Mein Einsitzen in dieser Hölle dauerte eine Woche. Die Zelle war aus Zement, und der Gefangene konnte dort noch nicht einmal aufrecht auf seinen Füßen stehen, er bekam nur eine Decke, und das Essen rationiert...
Das bedeutete Hunger, mein Liebster, großen Hunger: verzehrenden Hunger.
Und die Kälte drang einem bis auf die Knochen durch; alles war vollkommen dunkel, es gab noch nicht mal einen Ritz, durch den ein wenig Licht gefallen wäre...
Weißt Du, was eine solche Tortur bedeutet, mein Liebster? Sie bedeutet, die Grenzen des eigenen Menschseins zu verlieren. Zu riskieren, dass man vergisst, eine Person zu sein. Dass man vergisst, wie Sonnenlicht ist, was Raumgefühl ist, was Luft ist in deinen Lungen, welche Umrisse dein Körper hat, welche Dimensionen... die Fähigkeit, sich an eine Geste zu erinnern, ein Wort auszusprechen...
In diesen Momenten kam mir nur Unser Herr am Kreuz nahe. Ich sah seine ausgespannten Arme am Kreuz. Und dachte an meine Arme, verkrampft auf diesem engen Raum, an mein erbärmliches Kreuz, so drückend und doch so klein im Vergleich zu dem seinen...
Nur dadurch gelang es mir, zu überleben...

Musik

Ja, ich war schon im KZ Theresienstadt gewesen: Ich kannte sehr genau die Erfahrung der Folter. Aus Theresienstadt war ich furchtbar unterernährt zurückgekommen, aber ich hatte dann wieder zu meiner normalen Kondition zurückgefunden.
Als ich 1950 während der Bartholomäusnacht, vom 13. auf den 14. April, in Brno verhaftet wurde, war ich wieder gesund wie ein Fisch!
Aber dann in Valdice, unter diesen Umständen...

JK
Es war dann wegen Ihrer starken Asthmaanfälle, dass die Kommunisten Ihnen schließlich eine Kur erlaubten, stimmt`s? Vor allem wegen der Hartnäckigkeit Ihrer Schwester Bozeny, die ohne Unterlaß darum bat und bettelte, Ihre Strafe zu suspendieren, stimmt`s? Aber... wann sind Sie denn genau an Asthma erkrankt?

AZ
Oktober 1960. Es war sehr kalt: Regen, Schnee...
In den Zellen zitterten wir. In diesen abgewetzten, schmutzigen Uniformen, die nur so vollgesogen waren von Schweiß, waren wir alle eine leichte Beute für die Grippeepidemie.
Als ich erkrankte, war die Medikamentenreserve gerade erschöpft, und so konnte ich ebensowenig behandelt werden wie die, die gleichzeitig mit mir erkrankt waren.
Einige hatten es nach einer Woche überstanden; in mir entwickelte sich dagegen eine schwere Lungenentzündung. Die Behandlung war eher – sagen wir mal – symbolisch, und so hatte ich nach ein paar Wochen die ersten Asthma-Anfälle.
Ach – ich erinnere mich, dass ich fast erstickt bin dabei.
Als meine Schwester Bozeny mich im Gefängnis besuchen konnte, war sie erschrocken: Ich konnte nahezu nicht sprechen, weil mir buchstäblich der Atem ausging. Sie nahm meinen Puls und erkannte gleich, dass ich hohes Fieber hatte...
Sie war bestürzt darüber, dass man mich in so einem Zustand noch gehen und sogar arbeiten liess.
Als sie nach Hause zurückkehrte, begann sie, Bittschriften in alle Richtungen zu verschicken, und dann fuhr sie persönlich nach Ostravy zum Sitz des Gerichts. Sie kam auch nach Prag ins Justizministerium und wandte sich sogar an den Präsidenten der Republik mit der Bitte um meine Freilassung. Unermüdliche, unerschrockene Bozena...
Antwort bekam sie nie.
Aber als mein Zustand noch schlimmer wurde und als diese Attacken anfingen, die überhaupt kein Ende nahmen, da sah sich der Gefängnisdirektor gezwungen, mich nach Mirov zu verlegen – in ein Gefängnis, wo das herrschende Regime sehr viel milder war.
Aber auch dort besserte sich mein Zustand nicht.
Sie hatten Angst, ich könnte in Haft sterben und zu einem Märtyrer werden. Nur deshalb haben sie dann doch die Strafe suspendiert, und so konnte ich zu Bozena gehen, nach Popive in Südmähren.
Ihr Mann war der Leiter einer landwirtschaftlichen Kooperative, das war für sie eine Garantie...

JK
Aber wie ist es möglich, lieber Pater, dass man Sie nach alldem dann doch wieder ins Gefängnis zurückgebracht hat? Und auch noch so schnell?

AZ
Im Haus meiner Schwester Bozena herrschte ein tiefer Frieden...
Ich erinnere mich an die gute Landluft, an die Gerüche in unserem Haus... Die Kartoffelfladen, der Auflauf, überstreut mit gestampftem und gezuckertem Mohn, das Gulasch mit Vollkornbrot, die Knoblauch- und Kohlsuppe, Topinka mit Knoblauch.... Dank dieser Ruhe, dieser unglaublichen Pflege, dank diesen Medikamenten, die sie sich aus Österreich besorgte, hat sich meine gesundheitliche Lage dort rasch verbessert. Zwar hatte ich immer noch Asthma-Anfälle, aber nicht mehr ständig – sie wurden seltener, und ich konnte auch einigermaßen gut atmen, im Garten spazierengehen, den Duft der Blumen riechen... Päonien, Lilien, Veilchen... Und ich konnte dieses herrliche Panorama rund um die Hügel von Palava genießen, ja sogar in die Kirche gehen, in die Kirche! Du kannst dir nicht vorstellen, mein Sohn, wie bewegend das war, nach so langer Zeit wieder eine Kirche von innen zu sehen... noch einmal den Geruch von Weihrauch einzuatmen... Mir war, als wäre dieser Geruch eigentlich das beste Heilmittel für meine kranken Lungen. Eine unerwartete Erleichterung für meinen Körper und für meinen Geist, die so hart geprüft worden waren. Allerdings mußt du wissen, mein Lieber: Selbst dort, bei der Ewigen Anbetung vor dem Tabernakel, wurde ich überwacht.

Und das war leider nicht der einzige Hinweis darauf, dass sie mich weiterhin „freundlich“ im Auge hatten und dass sie mich alles andere als vergessen hatten. Aus dem Gefängnis kamen ständig Anfragen an Doktor Grossman, den Distriktsarzt von Hustopece, wie es mir denn ginge. Kaum vorstellbar, wie sehr denen meine Gesundheit am Herzen lag! Ihm war klar, dass die staatliche Polizei ihn überwachte; er wurde oft bedroht, auch ganz offen. Vielleicht lautete deswegen auf die x-te Anfrage hin seine Diagnose im November so: „Unheilbare Krankheit, aber ohne unmittelbare Lebensgefahr.“ Und das führte dann dazu, dass man mich binnen einer Woche schnurstracks wieder ins Gefängnis zurückgebracht hat. Von der angenehmen Wärme zuhause in die kalten Zellen von Mirov – ein fataler Übergang. Und so brachten sie ihr Werk binnen zweier Monate dann zu einem Ende.

Totenglöckchen

„Unheilbare Krankheit, aber ohne unmittelbare Lebensgefahr.“ Meine Schwester schickte Doktor Grossman dann die Nachricht von meinem Tod und von der Beerdigung und schrieb eigenhändig diesen Satz dazu. Ein Satz zum Einrahmen. Weniger als zwei Monate mit neuen Asthma-Anfällen hatten gereicht; der Tod kam durch Ersticken. 22. Januar 1965.

Musik

JK
Ich erinnere mich noch sehr gut an einen anderen Satz, Vater. Einen Satz von Ihnen, einen prophetischen Satz: Sie sagten ihn während der geistlichen Exerzitien für die Studenten im August 1946. Ich war damals in der sechsten Klasse, erinnern Sie sich? Es war genau dieser Satz, der über meine religiöse Berufung entschied. In der Kapelle des Exerzitienhauses in Stojanov sagten Sie: „Meine Lieben, bald wird die Zeit kommen, in der man unsere Kirche grausam verfolgen wird. Aber trotzdem – es werden sich immer Verrückte für Christus finden, die ihm trotz allem immer noch folgen.“
(lächelt bitter)
Genau in diesem Moment entschied ich: Einer von diesen Verrückten werde ich sein.
Die Erinnerungen sind übermächtig... Die Aula war von einem gleißenden Licht erfüllt: Es war August, auf den Feldern begann die Weizenernte, in den Weinbergen reiften unsere südmährischen Trauben, die Winzer bereiteten die Fässer für den neuen Wein vor... Ihre Stimme, Vater, war ruhig und tief. „Es werden sich immer Verrückte für Christus finden, die ihm trotz allem immer noch folgen.“ Aber – woher kam Ihnen diese Zukunftsahnung, und vor allem diese innere Gelassenheit angesichts einer so dramatischen Zukunft?

AZ
Alles kommt aus dem Gehorsam – auch wenn dir das vielleicht unmöglich scheint. Schon von den ersten Exerzitien an versucht ein guter Jesuit, den Willen Gottes vollkommen zu erfüllen. Er vergisst nie den großen Regisseur, der auch noch die verwickelsten Situationen in der Hand behält. Ein guter Jesuit unterstützt ihn einfach bis zum Letzten, in der Kraft Seiner Liebe und Seiner Barmherzigkeit... und das alles zur höheren Ehre Gottes. Denn „Gott läßt sich nicht betrügen“. Das habe ich in den dramatischen Wendungen meines religiösen Lebens selbst deutlich erfahren. Nach dem Noviziat in Velehrad wurde ich nach Lublin in Polen geschickt, um Philosophie zu studieren; dann kam ich nach Velehrad zurück, um Gymnasialpräfekt zu sein. Für die theologischen Studien schickten sie mich nach Maastricht in Holland, aber nach kaum einem Jahr rief uns der Provinzial alle in die Heimat zurück, weil der Krieg näherkam. Ich machte in Hostyn die übrigen drei Jahre Theologie und erlebte dann am 5. Juli 1940 in der Kathedrale von Brno meine Priesterweihe.

Musik

Während meiner Primiz-Messe war in meinem Geburtsdorf Jankovice das Echo der dramatischen Kriegsereignisse zu hören, die Gefahr der Konzentrationslager, die Verhöre durch die Gestapo, der Horror der Repressalien durch die Nazis nach dem Mord an Heydrich mit Hunderten von Hinrichtungen... und all die anderen „Nettigkeiten“, auf die die Nazis verfielen. Im Schutz des Marienwallfahrtsortes Svaty Hostyn, wo ich Assistent des Novizenmeisters war, blieb die Lage der jungen Ordensleute relativ ruhig, bis dann allerdings die Deportationen zur Arbeit im Dritten Reich einsetzten.

Musik

1944, als die Niederlage von Hitler-Deutschland schon in der Luft lag, wurde ich zum Superior an St. Ignatius in Prag ernannt. Trotzdem wurde ich zusammen mit unseren Theologiestudenten verhaftet und zum Konzentrationslager Theresienstadt verurteilt. Nur elf Monate vergingen, und schon sahen wir fast dem Tod ins Gesicht. Doch offenbar brauchte mich die Vorsehung noch für andere Werke, und so wurde ich nach dem Krieg erneut nach Velherad geschickt, wo ich Rektor des Kollegs und Novizenmeister wurde...

JK
Und da habe ich Sie dann ja auch kennengelernt, liebster Vater – zum zweiten Mal. 1948 war das. Anfang Juli trat ich zum Aufnahme-Examen für die Gesellschaft Jesu an, und während drei Prüfer sich vor allem mit meinen konkreten apostolischen Fähigkeiten beschäftigten, hatten Sie es eher übernommen, mich zu warnen... Eine Warnung, die mir seit damals in Erinnerung geblieben ist: „Denk daran, die Kommunisten werden die Kirche verfolgen (da hatte das Regime noch nicht einmal seit einem Jahr die Macht in unserem Land übernommen!), und die Jesuiten werden bei dieser Jagd die allererste Zielscheibe sein.“ Wie beim Tischtennis gab ich Ihnen diesen Ball damals gleich zurück... aber ja, ich habe intensiv über Ihre Warnung nachgedacht, und ich erinnere mich an Ihr kaum sichtbares Lächeln... Sahen Sie denn damals schon, was mir bevorstand?

AZ
Nein. Aber ich fühlte doch alles im voraus. Weißt du, mein kleines Lächeln hängt mit einer Erinnerung aus meiner Novitiatszeit zusammen: Unser Novizenmeister hatte uns intensiv von den Jesuiten erzählt, die Märtyrer in Japan wurden – vor allem bei dieser Missions-Expedition von dreißig Novizen, die von Pater Azevada angeführt wurden. Sie wurden am 15. Juli 1570 von französischen Freibeutern gefangengenommen, die Hugenotten waren; diese folterten sie und warfen sie dann ins Meer. Damals als junger Mann erfüllten mich diese Erzählungen mit solchem Enthusiasmus, dass auch ich am liebsten meinen Hals den Schwerten und Lanzen der Schlächter angeboten hätte. Aber dann wurde ich krank (ein leichtes Fieber!), und mich überkam ein derartiges Unwohlsein, dass ich fast das Noviziat hätte wieder verlassen wollen. Es war die Erinnerung an diesen Moment, die mich lächeln ließ und die hinter meinen Worten an dich stand...

Auch wenn ich elf äußerst harte Monate im KZ in der Festung Theresienstadt verbracht habe: Mich hat damals doch immer die Hoffnung getröstet, dass unsere Leute zu einer solchen Grausamkeit und Unmenschlichkeit, wie die Sowjetkommunisten sie an den Tag legten, nicht imstande wären. Aber ich habe mich getäuscht. Und wie ich mich täuschte! In Zeliv hatten sie ein Prämonstratenserkloster in ein Konzentrationslager für die Ordensoberen verwandelt, und dort herrschte ein besonders strenges Regime. Dort sah und erlebte ich an eigenem Leib, dass die Tschechen leider doch zur gleichen Grausamkeit fähig waren, wie sie auch von den Deutschen gezeigt worden war, wenn nicht gar zu noch Schlimmerem.
Nach der Auflösung dieses Lagers 1956 deportierten sie uns nach Kraliky. Dort hatten die Kommunisten ein KZ für die Ordensleute eines Marienwallfahrtsortes geschaffen... Was für ein Feingefühl, findest du nicht auch? Diese stillen Kirchenschiffe, in denen Hymnen auf Maria erklungen waren, wurden nun Schauplatz für Gewalt und Willkür jeder Art. Diese jahrhundertealten Linden und Kastanienbäume, um die Wespenschwärme summten, wurden – zu Füßen der Wallfahrtskirche – zu Zeugen unendlicher Ungerechtigkeiten. Wir Ordensleute mußten hart arbeiten: als Holzfäller, in den Steinhöhlen, auf vernachlässigten Gutshöfen. Wir hatten nur die simpelsten Werkzeuge zur Verfügung: Hacken, Schaufeln, Spitzhacken... Und es war hier, in dieser ländlichen Ruhe des Bauernhofes, dass ich (mit Blasen an den Händen, im Schweiße meines Angesichts arbeitend) erlebte, wie es ist, wenn man verraten wird.

JK
Meinen Sie damit Vancura?

AZ
Mich schaudert, wenn ich daran denke, wie dieser Tunichtgut eines Tages vor Gott Rechenschaft ablegen wird! Wie er es auf sich nehmen wird, das Vertrauen anderer Menschen verraten zu haben, und dass er für eine Handvoll Vergünstigungen durch das Regime dazu bereit war, Dutzende von Mitbrüdern ins Gefängnis zu schicken, womit er sie in ein Meer des Leidens und der Demütigungen gestoßen hat...

JK
Wir in Brno bekamen nur sehr wenige Nachrichten vom Prozess in Ostrava, Vater – dem Prozess, bei dem Sie zu nicht weniger als sechzehn Jahren Haft verurteilt wurden. Aus dem Nebel, aus dieser drückenden Atmosphäre im Herbst 1960, tauchten nur allmählich die Konturen dieser unermeßlichen Schäden auf, die Vancura anrichtete. Sie hatten ihn doch in Prag in der Ignatiuskirche kennengelernt, wo er Messdiener war, stimmt`s? Dann wurde er Novize in Velehrad...
Aber, Vater, hatten Sie das vorausgesehen, dass er so tief fallen würde?

AZ
Auch er war in der Theresienfestung von Leopoldov in der Slowakei interniert gewesen, dem härtesten kommunistischen Gefängnis, in dem Bischöfe, Provinziale, Äbte und Theologieprofessoren eingesperrt wurden, also die Crème der katholischen Kirche.
Viele bewunderten ihn wegen seiner starken religiösen Berufung, gegen die seine atheistischen und kommunistischen Eltern heftigen Widerstand geleistet hatten. Mit seiner Intelligenz, seiner Eloquenz und seinem fast eines Schauspielers würdigen Genie war er imstande, traurige und entmutigte Priester, die mit ihm zusammen im Gefängnis waren, moralisch wieder aufzurichten.
Aber „Gott läßt sich nicht betrügen“... Niemals.
Nach einem Jahr Haft wurde ihm dann gesagt, man werde ihn wieder auf freien Fuß setzen.
Der Provinzial der tschechischen Jesuiten, Pater Silhan, wie der der slowakischen Jesuiten, Pater Srna, wollten beide die Gelegenheit dazu nutzen, über ihn ihre Direktiven und Ernennungen an die Mitbrüder, die nicht im Gefängnis saßen, zu übermitteln.
Er hat auch alles ihren Anweisungen entsprechend ausgeführt, aber gleichzeitig der Geheimen Staatspolizei ebenfalls alles weitergegen! Und so wurden wir alle binnen kürzester Zeit verhaftet, eingesperrt und beim Schauprozess von Ostrava verurteilt.
Uns wurden die Strafen genau wie in den fünfziger Jahren angedroht, als unser Provinzial Pater Shiran 25 Jahre harter Haft bekam und die anderen ein bißchen weniger. Diese Strafen wurden präventiv von der Partei festgelegt und gingen von acht bis sechzehn Jahren Haft wegen Hochverrats. Auf diese Art und Weise erstickte das Regime unsere Versuche, auch in der Diaspora das Ordensleben zu leben, im Keim...

JK
Wirklich eine tragische Erfahrung, Vater.
... Ich mußte gerade daran denken, dass wir uns nur zweimal persönlich begegnet sind; ansonsten hat mir der Herr noch nicht einmal erlaubt, Ihnen auf Ihrer letzten Reise ins Grab nochmals zu begegnen.
Als ich als Novize nach Velherad kam, waren Sie schon Rektor in Brno; als sie uns alle schnappten (verhaftet oder in Arrest gebracht und deportiert ins KZ Bohosudov), waren Sie in Zeliv und dann in Kraliky unter Überwachung; als ich als Assistent in Brno arbeitete, pilgerten Sie von einem Gefängnis zum anderen: Ostrava, Valdice und Mirov. Und dann konnten wir uns schließlich noch nicht einmal mehr auf dem Friedhof von Velehrad treffen. Ich suche vergeblich nach einem Sinn hinter all dem...

AZ
Siehst du denn nicht, dass trotz allem gerade hier die Hand Gottes zu spüren ist? Die Hand des großen Regisseurs der Geschichte und der Geschicke der Menschen.
„Gott läßt sich nicht betrügen“, mein Lieber...
Vielleicht sind wir uns ja – mehr, als wir uns das denken können – in Christus begegnet, in den gegenseitigen Gebeten nämlich und in jeder Messe, die wir gefeiert haben...
Durch die Post des Himmels hatten wir einen Kontakt, den kein Zensor überwachen konnte. War es nicht so?

Musik im Hintergrund

.. und bei allem Schmerz, bei aller Diskriminierung und Demütigung dieser Epoche ist doch Wirklichkeit geworden, was wir den Herrn bei unseren Geistlichen Exerzitien gebeten hatten: dass wir nämlich arm würden mit dem armen Christus, beleidigt mit dem beleidigten Christus, für verrückt gehalten um Christi willen, denn er zuallererst hat ja als Verrückter gegolten. Wir haben die Meditation über die drei Stufen der Demut nach St. Ignatius aktuell werden lassen, indem wir zur Zielscheibe der Menschen wurden. Sie haben uns Verräter genannt, Kriegstreiber, Spione des Vatikans, Käuflinge des amerikanischen Kapitalismus...

Und dann dürfen wir auch nicht das Eingreifen des Heiligen Geistes vergessen, der unsere Priester über die kommunistischen Kerker der fünfziger Jahre verstreut hat. Jeden Abend um 21 Uhr beteten wir füreinander: die Inhaftierten für die, die draußen waren, und umgekehrt; und gleichzeitig erteilten die Priester allen um diese Zeit ihren Segen.
Als Pater Fert von der tschechischen und Pater Polcin von der slowakischen Abteilung von Radio Vatikan davon erfuhren, haben sie der Leitung des Senders vorgeschlagen, ein Gleiches zu tun, und das wurde sofort angenommen und in die Tat umgesetzt.
Für uns in den Gefängnissen (aber auch, wenn wir dann freikamen) war es immer ein großer Trost, zu wissen, dass das Radio des Papstes diese Praxis übernommen hatte. Um 20.45 Uhr begann der Rosenkranz, und um 21 Uhr gab der Priester über alle Frequenzen den Häftlingen und den Mitbrüdern, die man zum Schweigen gebracht hatte, seinen Segen.
Wenn du wüßtest, mit welcher Erwartung ich auf diesen Moment wartete: Ich war gut ausgebildet, ich hatte studiert, und mein Beruf, meine Aufgabe innerhalb der Gesellschaft Jesu war das Predigen, aber jetzt – jetzt konnte ich leider nur noch segnen. (Was aber gar nicht wenig ist...)
Ja, auch heute bin ich bereit, jeden von euch vom Himmel aus zu segnen...

JK
Das Te Deum, das eine Menge von mehr als tausend Menschen während Ihrer Beerdigung in Jankovice sang, war für uns ein Zeichen der Zeit: eine Botschaft, dass der Herr begonnen hatte, seinen treuen Diener zu ehren...

AZ
Der zwecklose, lächerliche Versuch der so genannten „Kirchensekretäre“ (in Wirklichkeit waren es Parteifunktionäre, allmächtige Liquidatoren des kirchlichen Lebens!) ... ihr Versuch, mein Begräbnis aller Ehrerbietungen zu entkleiden und es in eine einfache Bestattungszeremonie zu verwandeln, erwies sich als ein wahrer Bumerang...
Eigentlich war mein Begräbnis genehmigt und für den 26. Januar in Velherad festgesetzt worden, aber dann sind sie erschrocken über die Resonanz, die die Nachricht hatte, und vor allem über die Vielzahl von Menschen, die sich auf den Weg machten. Darum wurde es dann den Bestattern verboten, die sterblichen Überreste an die Familie zu übergeben, und die Genehmigung für das Requiem wurde wieder zurückgezogen.
Am Morgen des 29. Januar erfuhr dann die Familie meines Schwagers dank ihrer guten Verbindungen im Eisenbahnbereich, dass meine sterblichen Überreste in einem Waggon auf dem Gelände des Bahnhofs von Stare Mesto abgestellt waren und dass sie dann per LKW weiter nach Jankovice gebracht werden sollten; die Kommunisten hatten nämlich angeordnet, dass die Beerdigung noch am selben Tag stattzufinden habe.
An der Spitze des Trauerzugs durfte nur ein Priester ohne Chormantel gehen, mit einer Stola angetan – ohne Messdiener, ohne Weihwasser, ohne Weihrauchfass, ohne Kerzen, ohne Musik, ohne Gesänge und Psalmen, ja sogar ohne Vortragskreuz.
Aber nicht ohne Gott...
Denn wie könnte man Gott verbieten?
Trotz all ihrer Einschränkungen gab es eine Rede...
Die Nachricht verbreitete sich doch über alle Dörfer und die benachbarten Kleinstädte, und wer konnte, der kam, ob zu Fuß oder im Auto.
Und obwohl es Freitag war, also ein Arbeitstag, kamen doch mehr als tausend Männer zusammen, ohne Frauen und Kinder zu zählen. Und kaum setzte sich die Prozession von der Kirche zum Friedhof hin in Bewegung, begann die ganze Menge spontan das Te Deum auf tschechisch zu singen...
Ich konnte es hören, mein Lieber, glaubst du mir das?
Nein, keiner hatte das organisiert oder irgendwelche Absprachen getroffen. Alles wuchs spontan heraus – wie diese Päonien und diese Veilchen im Garten meiner Schwester Bozena.
Und während diese vier Strophen erklangen, wurde der Gesang immer stärker und kräftiger, so dass man ihn bis nach Velehrad im nächsten Tal hören konnte!
Die Trauer, die Angst, die Entmutigung und das Misstrauen lösten sich auf; unter den Leuten begann sich ein Stolz breitzumachen und an Kraft zu gewinnen, das Bewußtsein, Zeugen des Begräbnisses eines Märtyrers zu sein, der in ihrem Dorf geboren worden war, in dieser süßen Erde Mährens...
Denn „Gott läßt sich nicht betrügen“...
Auch wenn ich nicht den Segen spenden konnte wie bei meiner ersten Messe, fühlte ich doch, dass bei jedem Schritt, der meine Bahre dem Grab näherbrachte, in ihnen stärker – und wie im Rausch – die Gewißheit aufging, dass ich mit meinem Leben und mit meinem Tod wahrhaftig Zeugnis abgelegt hatte für die Verkündigung des Evangeliums.

(1 Kor 2-9 „Was kein Auge je gesehen und kein Ohr je gehört hat“)










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