Bischof in Venezuela: Chavez ist nicht die Mehrheit!
Bedeutet der Ausgang
der Parlamentswahlen den Anfang vom Ende der Ära Hugo Chavez? Der streitbare Präsident
hat jedenfalls sein Ziel – die Zweidrittelmehrheit für seine Sozialistische Partei
– am Sonntag nicht erreicht. Von nun an werden seine Projekte also nicht mehr so einfach
„durchgewinkt“ wie im bisherigen Parlament. Dort hatte er fast alle Mandate, weil
die Opposition die letzten Wahlen 2005 boykottiert hatte. Wir fragten den (deutschstämmigen)
Erzbischof von Coro in Venezuela, Roberto Lückert, nach der Stimmung im Land nach
dieser Wahl:
„Eine Explosion der Freude und Genugtuung, denn Venezuela hat
bei diesem Urnengang einmal mehr demokratische Reife vorgeführt. Es kam nur zu wenigen
Zwischenfällen; die Stimmung unter den Wählern war richtig herzlich und optimistisch;
es gab keine Zusammenstöße. Das System hat funktioniert! Der Skandal war erst nachher,
dass es lange dauerte, bis Ergebnisse bekannt wurden, denn eigentlich war doch alles
computergesteuert, und das dürfte dann doch nur einige Minuten dauern, oder?“
Die
Wahlbeteiligung lag bei 66 Prozent; das Regierungslager bekommt etwa 90 der insgesamt
165 Abgeordneten in der Nationalversammlung. Dennoch sagt der Erzbischof:
„Der
große Verlierer ist der Präsident der Republik, der sich doch sehr ins Zeug gelegt
hatte, um seine Kandidaten zu „verkaufen“ und die Wahl zu einem Plebiszit über ihn
zu machen. Hier in meiner Stadt, in Coro, tauchten vor der Wahl über Nacht auf einmal
überall Plakate mit seinem Konterfei auf und der Aufforderung, zur Wahl zu gehen.
Es wirkte ganz so, als ob bei dieser Wahl der Präsident der Republik zur Wahl stünde
und nicht die Abgeordneten! Und auch wenn er etwa neunzig Abgeordnete für seine Partei
in den Kongress brachte, ist doch Chavez der große Verlierer, weil er doch die absolute
Mehrheit angesteuert hatte! Und die hat er nicht bekommen.“
Der Kirche
macht das Hoffnung – schließlich hat sie immer wieder Ärger mit dem eigenwilligen
Chavez. Was dieser als „bolivarische Revolution“ verkauft, sehen viele Kirchenleute
als allmähliches Abgleiten in eine Diktatur.
„Das Wichtigste ist, dass von
jetzt an das Parlament von Venezuela nicht mehr nur eine Farbe aufweist – es ist nicht
ängstlich und unterworfen. Es ist jetzt ein wirkliches demokratisches Parlament, wo
künftig Gesetze zum Wohl aller Venezolaner ausgearbeitet werden und nicht nur zum
Wohl einer politischen Richtung.“
Noch vor kurzem hatte das Parlament auf
Chavez` Geheiß hin den Erzbischof von Caracas, Kardinal Jorge Urosa Savino, einbestellt
– wegen angeblich beleidigender Äußerungen gegen den Staatschef. Ob es damit jetzt
vorbei ist? Schwer zu sagen – denn Chavez hat immer noch ungeheures populistisches
Potential. Doch Erzbischof Lückert ist optimistisch:
„Das Wichtigste ist:
Die Wahl hat gezeigt, dass Chavez entgegen seinen Behauptungen nicht für die Mehrheit
steht. In diesem Moment ist die Mehrheit nicht Chavez! Auch wenn er auf starke dreißig
Prozent gekommen ist – die große Mehrheit ist nicht Chavez! Die Opposition bekam mehr
Stimmen, auch wenn sie wegen einiger Eigenheiten des Wahlgesetzes auf vergleichsweise
weniger Abgeordnete kommt. Zweitens haben die Venezolaner jetzt Vertrauen zum Wahlsystem
schöpfen können, das funktioniert hat (wenn auch langsam), und drittens steigt jetzt
die Spannung angesichts der nächsten Wahlen im Jahr 2012!“
Dann stehen
nämlich wieder einmal Präsidentenwahlen ins Haus. Und der frühere Putschist Chavez,
der das Land seit 1999 vom Miraflores-Palast aus regiert, will dann nochmals antreten.
Allerdings – dass seine Leute vor den Parlamentswahlen die Wahlkreise neu (und für
die Sozialistische Partei günstiger) zugeschnitten haben, könnte ihm dann wie schon
an diesem Sonntag zugute kommen. Die Bischöfe hatten schon jetzt vor der Parlamentswahl
die Stimmberechtigten ermuntert, sich nicht einschüchtern zu lassen:
„Habt
keine Angst! Das war der Appell der Kirche. Denn man machte den Leuten angst – vor
allem den öffentlichen Angestellten. Denen mussten wir also einschärfen, dass ihr
Votum wirklich geheim bleiben würde, dass nur Gott wissen konnte, wie sie abstimmten.
Das war die große Botschaft des Kardinals in den letzten Tagen des Wahlkampfes.“
Die
Opposition gegen Chavez war bisher gewissermaßen auch sein bester Verbündeter – sie
besteht nämlich aus vielen Gruppen mit zum Teil völlig gegensätzlichen Programmen.
Jetzt hat ihr Wahlbündnis „Einheitstisch“ immerhin 52 Prozent der Stimmen eingeheimst
und wird ab Januar, wenn das neue Parlament zusammentritt, Zusammenhalt beweisen müssen.
Erzbischof Lückert:
„Ich bitte und hoffe voller Sorge, dass die Einheit
der Opposition, die jetzt erreicht werden konnte, bis 2012 halten möge! Die politische
Opposition möge begreifen, dass sich das Land verändert hat unter Chavez. Wenn sie
also wirklich die Demokratie und die Verfassung verteidigen wollen, können sie das
nur tun, wenn sie die Einheit des Landes verteidigen!“
Die Kirche wünscht
sich, dass die Opposition nicht nur von der Zeit nach Chavez träumt, sondern etwas
tut, um die schweren Probleme Venezuelas zu meistern: Inflation, Versorgungsengpässe,
schwere Kriminalität. Manche Beobachter sehen das Land auf dem Weg zu einem „gescheiterten
Staat“.