Dass in zwei Wochen
in Rom eine große Bischofs-Sondersynode zum Nahen Osten beginnt, werden sie nicht
wissen: die Fischer von Tyrus. Die etwa 650 Männer aus diesem Städtchen im Süden des
Libanon haben andere Sorgen – vor allem finanzielle, denn die Fische werden immer
seltener in ihren Gewässern. Etwa die Hälfte der Fischer, also gute dreihundert, sind
Moslems, die andere Hälfte sind Christen: Maroniten, griechische Katholiken, Griechisch-Orthodoxe.
Um Menschen wie sie geht es im Oktober bei den Bischofsberatungen im Vatikan. Doch
obwohl selbst die Fischer von Tyrus verschiedenen christlichen Konfessionen angehören:
Das Kreuzfest bringt sie zusammen, einmal im Jahr. Vor ein paar Tagen war es wieder
soweit. Ein Bericht von Laure Stephan.
Halbmond und Sternenhimmel über Tyr,
der Stadt mit großer phönizisch-hellenistischer Vergangenheit. Bischof El-Haj, der
maronitische Oberhirte von Tyr, spricht Gebete im Viertel der Fischer; dann dreht
er sich zum Mittelmeer um und taucht dort das Kreuz ein, das er zuvor bei der Prozession
durch die Straßen des Viertels getragen hat, von der Kirche „Unsere Liebe Frau der
Märtyrer“ aus. Die Gläubigen um ihn herum halten kleine Kreuze, die er gesegnet hat
– auch diese Kreuze werden gleich ins Wasser getaucht.
„Wir erinnern uns
bei diesem Fest natürlich an unsere Taufe: Durch das Kreuz hat Christus uns gerettet,
er selbst hatte seine Taufe sozusagen am Kreuz. Unser Kreuz ist ein Kreuz der Versöhnung
und Vergebung – so erleben wir es Tag für Tag im Zusammenleben mit unseren islamischen
Mitbrüdern.“
Das sagt Pfarrer Charbel, der Pfarrer der Kirche „Unsere Liebe
Frau der Märtyrer“. Die Tradition dieser Kreuz-Prozession ist nach seiner Darstellung
eine sehr alte:
„Diese Tradition wurde schon in der Urkirche vom vierten
Jahrhundert an praktiziert. Ihr Ausgangspunkt ist die Kirche von Jerusalem. Die Gläubigen
gingen mit ihrem Bischof ans Meer, um das Kreuz zu taufen – das wurde meistens am
Epiphanie-Fest gemacht. Später wurde das aber auf das Fest Kreuzerhöhung verschoben.
Wir haben hier in unserer Stadt eine besondere Kreuzverehrung.“
Eine gemeinsame
christliche Tradition – ein paar Stunden zuvor haben schon die Griechisch-Orthodoxen
ihre Prozession gehalten, von der Thomas-Kathedrale aus. Am Abend treffen sich dann
aber alle Christen zu einem gemeinsamen Moment des Feierns: mit Kuchen, Feuerwerk,
Baden im Mittelmeer. Und auch die Moslems machen mit: Für sie ist heute eine Art Fischerfest,
sagt der 30-jährige Schiit Haidar.
„Ich mache jedes Jahr beim Kreuzfest
mit! Das ist ein Moment der Freude für uns alle. Siehst du meinen Freund Beschar hier?
Wir arbeiten zusammen, und ich kenne auch seine ganze Familie…“
„Unsere
Fischer sind sehr einfache Leute“, sagt Pfarrer Charbel, „spontan im Glauben, aber
durchaus mit tiefem Glauben. Es stimmt allerdings, dass sie ansonsten nicht oft in
die Kirche gehen… aber sie sind solidarisch untereinander und zeigen dadurch auch
ihren Glauben. Bei den großen Festen kommen sie natürlich alle in die Kirche; ich
bewundere wirklich ihren Lebensstil und ihren Mut.“
200 Euro ungefähr verdienen
die Fischer im Monat – dafür fahren sie vor allem nachts raus. Seit den neunziger
Jahren wird ihre Lage immer schwieriger, sagt Antoun, 60 Jahre alt und sein ganzes
Leben lang Fischer gewesen:
„Ich habe mein Leben auf dem Meer verbracht,
und dort werde ich auch sterben. Aber zum Glück hat keines meiner Kinder es mir nachgemacht
– sie sind alle emigriert. Ich konnte mit der Schule nicht soviel anfangen, darum
war ich immer Fischer… Aber wenn ein junger Mann mich heute um Rat fragt, dann sag
ich ihm: Mach was anderes! Wenn ich heute meinen Vater sehe – der hat siebzig Jahre
auf dem Meer verbracht. Und was hat er verdient dabei? Nichts! Darum sag ich jungen
Leuten: Geh lieber zur Armee, da verdienst du was! Auf dem Meer weißt du nie, was
passiert. An einem Tag hast du was zu essen, am nächsten nicht…“
Viele
der Fischer trinken über den Durst, viele haben kaputte Ehen. Pfarrer Charbel versucht
zu helfen, wo er kann: Ihm ist vor allem ein Anliegen, dass die Kinder der Fischer
in die Schule gehen. Aber eigentlich müsste der Staat mehr tun, findet der maronitische
Geistliche:
„Die Lage der Fischer ist eigentlich eine Herausforderung für
die Behörden: Die müssten ihre finanzielle Lage verbessern, und damit auch ihre soziale
und familiäre!“
Wir treffen Charah auf seinem Boot: Er ist 75 Jahre alt,
davon hat er fünfzig auf dem Meer verbracht.
„Vor zwanzig Jahren gab es
hier richtig reiche Fischzüge, aber mittlerweile hat sich das geändert. Vor allem,
weil viele mit Dynamit fischen – das ist zwar verboten, aber wer kontrolliert das
hier schon… Und dann hört man immer wieder im Fernsehen, dass die Fischer Probleme
mit den Israelis bekommen – weißt du warum? Weil die Israelis uns verbieten, weit
im Süden zu fischen! Dabei sind das noch libanesische Gewässer. Wenn sie dich sehen,
gibt das Scherereien…“
Sie werden weiter hier ausfahren, wie der Fischer
Petrus im nahegelegenen Galiläa. Wenn sich die Bischöfe des Nahen Ostens im Oktober
in Rom treffen, wird es um Menschen wie sie gehen – die Fischer aus Tyr im Südlibanon.