Papst an britische Bischöfe – seine Ansprache im Volltext
Am Sonntag Nachmittag
hat sich Papst Benedikt in Birmingham mit den Bischöfen von England, Wales und Schottland
getroffen. Hier finden Sie seine Rede in vollem Wortlaut. Meine lieben Mitbrüder
im Bischofsamt! Dies war ein Tag großer Freude für die katholische Gemeinschaft
auf diesen Inseln. Der selige John Henry Newman, wie wir ihn nun nennen dürfen,
wurde zur Ehre der Altäre erhoben als Beispiel heldenhafter Treue zum Evangelium
und als Fürsprecher für die Kirche in diesem Land, das er liebte und dem er so
gut diente. Hier, genau in dieser Kapelle, gab er 1852 dem neuen Selbstvertrauen
und der neuen Lebendigkeit der katholischen Gemeinschaft in England und Wales nach
der Wiedererrichtung der Hierarchie Ausdruck, und seine Worte könnten ebenso für
Schottland ein Vierteljahrhundert später angewandt werden. Seine Seligsprechung heute erinnert
uns an die dauernde Tätigkeit des Heiligen Geistes, der Gaben der Heiligkeit unter
den Menschen in Großbritannien hervorruft, so daß von Ost nach West und von Nord
nach Süd zur Ehre des Namens Gottes Lobpreis und Dank dargebracht werden mag. Ich
danke Kardinal O’Brien und Erzbischof Nichols für ihre Worte, und dabei kommt mir in
Erinnerung, wie ich Euch alle vor kurzem in Rom zu den Ad-limina-Besuchen Eurer jeweiligen
Bischofskonferenzen begrüßen konnte. Wir sprachen damals über einige der Herausforderungen,
vor denen Ihr bei der Führung der Menschen im Glauben steht, insbesondere im Hinblick
auf die drängende Notwendigkeit, das Evangelium in einer stark säkularisierten Umgebung
von neuem zu verkünden. Im Laufe meines Besuchs ist deutlich geworden, wie groß hier
unter den Briten der Durst nach der Guten Nachricht Jesu Christi ist. Ihr wurdet von
Gott dazu auserwählt, um ihnen das lebendige Wasser des Evangeliums darzubieten
und sie zu ermutigen, ihre Hoffnungen nicht auf leere Verlockungen dieser Welt
zu setzen, sondern auf die feste Zusicherung der kommenden. Während Ihr das Kommen
des Reiches verkündet, das Hoffnung für die Armen und Bedürftigen, für die Kranken
und Alten, die Ungeborenen und die Vernachlässigten verheißt, seht zu, die lebensspendende
Botschaft des Evangeliums in ihrer Fülle darzulegen, einschließlich jener Elemente,
welche weitverbreitete Annahmen der heutigen Kultur in Frage stellen. Wie Ihr wißt,
wurde kürzlich der Päpstliche Rat für die Neuevangelisierung der Länder alter christlicher
Tradition gegründet, und ich möchte Euch ermutigen, von seinen Diensten Gebrauch
zu machen, wenn Ihr die vor Euch liegenden Aufgaben angeht. Außerdem verfügen viele
der neuen kirchlichen Bewegungen über ein besonderes Charisma zur Evangelisierung,
und ich weiß, daß Ihr weiter nach geeigneten und wirksamen Möglichkeiten sucht,
sie in die Sendung der Kirche einzubinden. Seit Eurem Besuch in Rom haben politische
Veränderungen im Vereinigten Königreich die Aufmerksamkeit auf die Auswirkungen
der Finanzkrise gelenkt, die bei unzähligen Einzelpersonen und Familien so viel
Entbehrung verursacht hat. Das Schreckgespenst der Arbeitslosigkeit breitet seinen
Schatten über das Leben vieler Menschen aus, und die langfristigen Kosten für die unklugen
Investitionspraktiken in jüngster Zeit sind allzu offensichtlich geworden. Unter diesen Umständen
wird die Großzügigkeit, die die britischen Katholiken auszeichnet, zusätzlich gefragt sein,
und ich weiß, daß Ihr beim Aufruf zur Solidarität mit den Bedürftigen eine führende Position
einnehmen werdet. Die prophetische Stimme der Christen spielt eine wichtige Rolle, um
ein Schlaglicht auf die Bedürfnisse der Armen und Benachteiligten zu werfen, die in
der Verteilung der begrenzten Mittel so leicht übersehen werden können. In ihrem
Lehrdokument Choosing the Common Good [Das Gemeinwohl wählen] haben die Bischöfe
von England und Wales unterstrichen, wie wichtig es ist, die Tugenden im öffentlichen
Leben zu üben. Die heutigen Umstände bieten einen guten Anlaß, diese Botschaft
zu bekräftigen, ja die Menschen zu ermuntern, vor dem Hintergrund eines zunehmenden
Zynismus selbst gegenüber der Möglichkeit eines tugendhaften Lebens in jedem Bereich
ihres Lebens nach höheren moralischen Werten zu streben. Ein anderes Thema,
das in den letzten Monaten viel Aufmerksamkeit erregt hat und das die moralische
Glaubwürdigkeit der Kirchenführer ernsthaft untergräbt, ist der beschämende Mißbrauch
von Kindern und Jugendlichen durch Priester und Ordensleute. Bei vielen Gelegenheiten
habe ich über die tiefen Wunden gesprochen, die dieses Verhalten verursacht – vor
allem bei den Opfern, aber auch in der Vertrauensbeziehung, die zwischen Priestern
und Menschen, zwischen den Priestern und ihren Bischöfen und zwischen den kirchlichen Autoritäten
und der Öffentlichkeit herrschen sollte. Ich weiß, Ihr habt ernsthafte Schritte unternommen,
um diese Situation zu beheben, um zu gewährleisten, daß Kinder wirkungsvoll vor
Schaden geschützt werden, und um richtig und transparent mit Beschuldigungen umzugehen, wenn
sie erhoben werden. Ihr habt öffentlich Euer tiefes Bedauern bekannt über das, was vorgefallen
ist, und über die oft unzulänglichen Vorgehensweisen, wie dies in der Vergangenheit angegangen
wurde. Euer wachsendes Bewußtsein für das Ausmaß von Kindesmißbrauch in der Gesellschaft,
seine verheerenden Auswirkungen und die Notwendigkeit, für eine angemessene Unterstützung
der Opfer zu sorgen, sollte als Anstoß dazu dienen, das, was Ihr daraus gelernt habt,
mit der breiten Öffentlichkeit zu teilen. Ja, welchen besseren Weg könnte es zur Wiedergutmachung
dieser Sünden geben, als zu versuchen in demütiger Haltung des Mitgefühls die Kinder
zu erreichen, die anderswo weiter Mißbrauch erleiden? Unsere Pflicht zur Sorge gegenüber
jungen Menschen verlangt nicht weniger. Während wir über die menschliche Schwäche
nachdenken, die diese tragischen Ereignisse so überdeutlich offenbaren, werden
wir daran erinnert, daß wir ein Leben höchster Integrität, Demut und Heiligkeit
leben müssen, wenn wir überzeugende christliche Führungspersonen sein sollen. Der
selige John Henry Newman schrieb einmal: „Ach, daß Gott den Geistlichen gewährte,
ihre Schwäche als sündige Männer zu spüren, und den Menschen, mit ihnen zu fühlen, sie
zu lieben und für ihre Zunahme in allen guten Gnadengaben zu beten“ (Sermon, 22. März 1829).
So bete ich darum, daß unter den Gnaden dieses Besuchs es dazu kommt, daß die christlichen
Führungskräfte sich verstärkt ihrer prophetischen Berufung, die sie empfangen haben,
widmen und die Menschen das große Geschenk des Weihepriestertums neu wertschätzen. Das
Gebet um Berufungen wird dann von selbst aufsteigen, und wir können darauf vertrauen, daß
der Herr antworten wird, indem er Arbeiter sendet, um die reiche Ernte einzubringen,
die er im ganzen Vereinigten Königreich vorbereitet hat (vgl. Mt 9,37-38). In dieser
Hinsicht freue ich mich, daß ich in Kürze die Gelegenheit haben werde, die Seminaristen
von England, Schottland und Wales zu treffen und ihnen meine Gebete zu versichern,
da sie sich darauf vorbereiten, ihre Rolle beim Einbringen dieser Ernte zu spielen. Zum
Schluß möchte ich über zwei bestimmte Themen zu Euch sprechen, die Euren bischöflichen
Dienst in der jetzigen Zeit betreffen. Das eine ist die bevorstehende Veröffentlichung der
neuen Übersetzung des Römischen Meßbuchs. Ich möchte diese Gelegenheit wahrnehmen,
um Euch allen für Euren mit großer Sorgfalt geleisteten Beitrag bei der gemeinsamen
Arbeit zur Revision und Genehmigung der Texte zu danken. Dies erweist den Katholiken
in der ganzen englischsprachigen Welt einen ungeheueren Dienst. Ich ermutige euch nun,
die Gelegenheit zu nutzen, welche die neue Übersetzung für eine gründliche Katechese
über die Eucharistie und eine erneuerte Andacht bei der Art und Weise ihrer Feier
bietet. „Je lebendiger der eucharistische Glaube im Gottesvolk ist, um so tiefer
ist dessen Teilnahme am kirchlichen Leben durch eine überzeugte Unterstützung der
Sendung, die Christus seinen Jüngern aufgetragen hat“ (Sacramentum caritatis, 6).
Das andere Thema habe ich im Februar mit den Bischöfen von England und Wales angesprochen,
als ich Euch bat, bei der Umsetzung der Apostolischen Konstitution Anglicanorum
coetibus großzügig zu sein. Diese sollte als eine prophetische Geste gesehen werden,
die positiv zur Entwicklung der Beziehungen zwischen Anglikanern und Katholiken
beitragen kann. Sie hilft uns, das letzte Ziel jeglicher ökumenischer Aktivität
anzupeilen: die Wiederherstellung der vollen kirchlichen Gemeinschaft im Rahmen des gegenseitigen
Austauschs von Gaben unseres jeweiligen spirituellen Erbes zur Bereicherung für uns
alle. Laßt uns unaufhörlich weiter beten und arbeiten, um den freudigen Tag schneller herbeizuführen,
an dem dieses Ziel verwirklicht werden kann. Mit diesen Betrachtungen danke ich
Euch herzlich für Eure Gastfreundschaft in den vergangenen vier Tagen. Euch alle
und die Menschen, denen Ihr dient, empfehle ich der Fürsprache der heiligen Andreas,
David und Georg und erteile Euch, dem Klerus, den Ordensleuten und den Gläubigen
in England, Schottland und Wales gerne meinen Apostolischen Segen.