Benedikt XVI. hat den Besuch in einem Londoner Seniorenheim zu einem Plädoyer für
mehr Respekt vor dem Alter genutzt. Die wachsende Zahl alter Menschen sei „ein Segen
für die Gesellschaft“, sagte der Papst am Samstagabend bei dem Treffen mit Bewohnern
der St. Peter's Residence im Stadtteil Vauxhall. Die Fürsorge für Betagte solle „nicht
so sehr als Akt der Großzügigkeit als vielmehr als Rückgabe einer Dankesschuld“ betrachtet
werden. (rv)
Lesen Sie hier die Rede im Wortlaut
Liebe Brüder
und Schwestern!
Ich freue mich sehr, unter euch, den Bewohnern von St. Peter’s,
zu sein. Ich danke Sr. Marie Claire und Mrs. Fasky für ihren lieben Willkommensgruß
in eurem Namen. Ich freue mich, auch Erzbischof Smith von Southwark begrüßen zu können
sowie die Kleinen Schwestern der Armen, das Personal und die freiwilligen Helfer,
die um euch Sorge tragen.
Die Fortschritte in der Medizin und andere Faktoren
haben zu einer höheren Lebenserwartung geführt. Daher ist es wichtig, die wachsende
Zahl von älteren Menschen als einen Segen für die Gesellschaft zu erkennen. Jede Generation
kann von der Erfahrung und der Weisheit der vorausgegangenen Generation lernen. In
der Tat sollte die Fürsorge für die alten Menschen nicht so sehr als Akt der Großzügigkeit
als vielmehr als Rückgabe einer Dankesschuld betrachtet werden.
Die Kirche
brachte den älteren Menschen immer eine große Achtung entgegen. Das vierte Gebot:
„Ehre deinen Vater und deine Mutter, wie es dir der Herr, dein Gott, zur Pflicht gemacht
hat“ (Deut 5,16), ist verbunden mit der Verheißung: „damit du lange lebst und
es dir gut geht in dem Land, das der Herr, dein Gott, dir gibt“ (Deut 5,16).
Dieses Werk der Kirche an den Alten und Kranken sieht nicht nur Liebe und Fürsorge
für diese vor, sondern wird von Gott auch mit dem Segen belohnt, den er dem Land verheißt,
wo dieses Gebot beachtet wird. Gott will eine wirkliche Achtung vor der Würde und
dem Wert, der Gesundheit und dem Wohlergehen der alten Menschen; und durch ihre karitativen
Institutionen in Großbritannien und darüber hinaus strebt die Kirche danach, das Gebot
des Herrn, das Leben zu achten, unabhängig von Alter oder von den Begleitumständen
zu erfüllen.
Gleich zu Beginn meines Pontifikats sagte ich: „Jeder ist gewollt,
jeder ist geliebt, jeder ist gebraucht“ (Predigt bei der Messe zu Beginn des Petrusamtes
des Bischofs von Rom, 24. April 2005). Das Leben ist ein einzigartiges Geschenk,
und zwar in jedem Stadium von der Empfängnis bis zum natürlichen Tod; und es steht
Gott allein zu, es zu geben oder zu nehmen. Mancher mag sich noch im Alter einer guten
Gesundheit erfreuen; aber wir Christen sollten uns ebenso nicht davor fürchten, am
Leiden Christi Anteil zu haben, wenn Gott verlangt, daß wir mit einem Gebrechen ringen.
Mein Vorgänger Papst Johannes Paul II. litt in den letzten Jahren seines Lebens vor
aller Öffentlichkeit. Es war uns allen bewußt, daß er dies in Vereinigung mit dem
Leiden unseres Erlösers tat. Seine Gelassenheit und Geduld im Angesicht seiner letzten
Tage waren ein außerordentliches und bewegendes Beispiel für uns alle, die wir die
Last des fortgeschrittenen Alters zu tragen haben.
In diesem Sinne komme ich
zu euch nicht nur als Vater, sondern auch als Bruder, der die Freuden und die Mühen
gut kennt, die mit dem Alter verbunden sind. Unsere hohen Lebensjahre bieten uns die
Möglichkeit, beides zu schätzen: die Schönheit des größten Geschenks, das Gott uns
gegeben hat, das Geschenk des Lebens, genauso wie die Gebrechlichkeit des menschlichen
Seins. Diejenigen unter uns, die bereits viele Lebensjahre zählen, haben die wunderbare
Chance, das Bewusstsein des Geheimnisses Christi zu vertiefen, der sich selbst erniedrigte,
um an unserer Menschennatur Anteil zu nehmen. Während die gewöhnliche Lebensspanne
heute zunimmt, verringern sich oft die physischen Kräfte, und doch könnten diese Zeiten
wohl die geistlich fruchtbarsten Jahre unseres Lebens werden. Diese Jahre sind eine
Möglichkeit, im innigen Gebet all derer zu gedenken, die wir in diesem Leben geliebt
haben, und all das, was wir persönlich gewesen sind und getan haben, der Barmherzigkeit
und Güte Gottes anzuempfehlen. Dies wird für uns gewiß ein großer geistlicher Trost
sein und uns befähigen, immer wieder neu seine Liebe und sein Erbarmen durch alle
Tage unseres Lebens zu erkennen.
Mit diesen Gedanken, liebe Brüder und Schwestern,
versichere ich allen gerne mein Gebet, und ich bitte auch euch um euer Beten für mich.
Die selige Jungfrau Maria und ihr Bräutigam, der heilige Josef, mögen uns Glück in
diesem Leben erflehen und uns die Gnade eines guten Übergangs in die kommende Welt
erwirken.