Ökumenische Vesper in „Westminster Abbey“: Die Rede des Papstes
Es waren vielleicht die eindringlichsten Bilder dieser Großbritannien-Reise Benedikts
XVI.: Als erster Papst hat er am Freitag Abend am anglikanischen „Evening prayer“,
der Vesper in der Londoner Westminster Abbey teilgenommen. Seite an Seite betete er
mit dem anglikanischen Primas Rowan Williams, dem Erzbischof von Canterbury, am Schrein
des heiligen Königs Edward the Confessor. Williams würdigte in seiner Predigt die
Enzykliken des Papstes, verwies aber auch darauf, dass in der Christenheit noch kein
Konsens über das Papstamt besteht. Der Titel des römischen Bischofs „Diener der Diener
Gottes“ sei der, der ihm dem Evangelium am gemäßesten scheine, so der Primas. Hier
finden Sie die Predigt von Papst Benedikt XVI. in vollem Wortlaut:
„Liebe Freunde
in Christus! Ich danke dem Herrn für die Gelegenheit, Ihnen, den Vertretern der in
Großbritannien ansässigen christlichen Konfessionen, in dieser großartigen, dem heiligen
Petrus geweihten Abteikirche, zu begegnen. Ihre Architektur und Geschichte geben ein
beredtes Zeugnis von unserem gemeinsamen Glaubenserbe. Hier werden wir wie von selbst
daran erinnert, wie sehr der christliche Glaube die Einheit und die Kultur Europas
und das Herz und den Geist des englischen Volkes geprägt hat. Hier wird uns zudem
unausweichlich in Erinnerung gerufen, daß das, was wir in Christus miteinander teilen,
größer ist, als das, was uns noch voneinander trennt. Ich danke Seiner Gnaden
dem Erzbischof von Canterbury für seine freundliche Begrüßung und dem Dekan und dem
Kapitel dieser ehrwürdigen Abtei für die herzliche Aufnahme. Ich bin dem Herrn dankbar,
daß er mir erlaubt, als Nachfolger des heiligen Petrus auf dem Bischofsstuhl von Rom
diese Wallfahrt zum Grab des heiligen Eduard des Bekenners zu machen. König Eduard
von England bleibt ein Modell christlichen Zeugnisses und ein Beispiel der wahren
Größe, zu der der Herr seine Jünger aufruft, wie wir in den Schriftlesungen gerade
gehört haben: die Größe der Demut und des Gehorsams, die auf Christi eigenem Beispiel
gründen (vgl. Phil 2,6-8), die Größe der Treue, die nicht zögert, aus nicht endender
Liebe zum göttlichen Meister und unverbrüchlicher Hoffnung auf seine Verheißungen
das Geheimnis des Kreuzes auf sich zu nehmen (vgl. Mk 10,43-44). Dieses Jahr begehen
wir, wie allgemein bekannt, den hundersten Jahrestag der modernen ökumenischen Bewegung,
an deren Anfang der Aufruf der Konferenz von Edinburgh zur christlichen Einheit als
Vorbedingung für ein glaubwürdiges und überzeugendes Zeugnis für das Evangelium in
unserer Zeit stand. Anläßlich dieses Jubiläums müssen wir Dank sagen für den bemerkenswerten
Fortschritt auf dieses hohe Ziel hin, welcher durch den Einsatz engagierter Christen
aller Konfessionen erreicht wurde. Zugleich sind wir uns jedoch bewußt, wieviel hier
noch zu tun bleibt. In einer von zunehmender Wechselwirkung und Solidarität geprägten
Welt sind wir herausgefordert, mit neuer Überzeugung unsere reale Versöhnung und Befreiung
in Christus zu verkünden und die Wahrheit des Evangeliums als den Schlüssel zu einer
authentischen und umfassenden menschlichen Entwicklung anzubieten. In einer Gesellschaft,
die der christlichen Botschaft zunehmend gleichgültig oder sogar feindlich gegenübersteht,
sind wir um so mehr in der Pflicht, freudig und überzeugend von der Hoffnung zu sprechen,
die uns erfüllt (vgl. 1 Petr 3,15), und zu zeigen, daß der auferstandene Herr die
Antwort auf die tiefsten Fragen und die geistigen Sehnsüchte der Menschen unserer
Zeit ist. Während der Prozession zum Altarraum zu Beginn dieses Gottesdienstes
sang der Chor, daß Christus unser „sicheres Fundament“ ist. Er ist der Ewige Sohn
Gottes, eines Wesens mit dem Vater, der – wie es im Glaubensbekenntnis heißt – „für
uns Menschen und zu unserem Heil“ Fleisch angenommen hat. Er allein hat Worte ewigen
Lebens. „In ihm hat“ – wie der Apostel lehrt – „alles Bestand. [...] Denn Gott wollte
mit seiner ganzen Fülle in ihm wohnen“ (Kol 1,17.19). Unser Einsatz für die Einheit
der Christen hat keinen geringeren Ursprung als unseren Glauben an Christus, an diesen
Christus, der von den Toten auferstanden ist und zur Rechten des Vaters sitzt, der
wiederkommen wird in Herrlichkeit, zu richten die Lebenden und die Toten. Die Realität
der Person Christi, sein Erlösungswerk und vor allem die historische Tatsache seiner
Auferstehung sind der Inhalt des apostolischen Kerygmas und der Glaubensbekenntnisse,
die vom Neuen Testament selbst an seine vollständige Weitergabe garantiert haben.
Die Einheit der Kirche kann, in einem Wort, nie etwas anderes sein als Einheit im
apostolischen Glauben, in dem Glauben, der jedem neuen Glied am Leib Christi im Taufritus
anvertraut wird. Dieser Glaube vereint uns mit dem Herrn, gibt uns Anteil am Heiligen
Geist und macht uns auch jetzt zu Teilhabern am Leben der heiligen Dreifaltigkeit,
dem Modell der koinonia der Kirche hier auf Erden. Liebe Freunde, wir sind uns
alle der Herausforderungen, der Gnadengeschenke, der Enttäuschungen und der Zeichen
der Hoffnung bewußt, die unseren ökumenischen Weg kennzeichnen. Heute abend legen
wir all das im Vertrauen auf seine Vorsehung und die Kraft seiner Gnade in Gottes
Hände. Wir wissen, daß die unter uns geschlossenen Freundschaften, der begonnene Dialog
und die uns leitende Hoffnung uns auf unserem weiteren gemeinsamen Weg Kraft und Orientierung
spenden werden. Zugleich müssen wir mit einem im Evangelium begründeten Realismus
die Herausforderungen anerkennen, die uns erwarten, nicht nur auf dem Weg zur Einheit
der Christen, sondern auch bei unserer Aufgabe, Christus in unserer Zeit zu verkünden.
Die Treue zum Wort Gottes – denn dieses ist ja das wahre Wort – verlangt von uns einen
Gehorsam, der uns gemeinsam zu einem tieferen Verständnis des Willens des Herrn führt,
einen Gehorsam, der frei sein muß von intellektuellem Konformismus und bequemer Anpassung
an den Zeitgeist. Dieses Wort der Ermutigung möchte ich Ihnen heute abend mitgeben,
und ich tue das getreu meines Amtes als Bischof von Rom und Nachfolger des heiligen
Petrus, der den Auftrag hat, in besonderer Weise für die Einheit der Herde Christi
zu sorgen. In dieser altehrwürdigen Klosterkirche versammelt, können wir uns das
Beispiel eines großen Engländers und Kirchenmannes ins Gedächtnis rufen, den wir gemeinsam
verehren: den heiligen Beda Venerabilis. Beim Anbruch eines neuen Zeitalters im gesellschaftlichen
und kirchlichen Leben verstand Beda sowohl die Bedeutung der Treue zum Wort Gottes,
wie es in der apostolischen Tradition überliefert wurde, als auch die Notwendigkeit
einer kreativen Offenheit für neue Entwicklungen und die Erfordernisse, das Evangelium
in der jeweiligen Sprache und Kultur gut einzupflanzen. Diese Nation und das Europa,
zu deren Aufbau Beda und seine Zeitgenossen beigetragen haben, stehen wiederum an
der Schwelle eines neuen Zeitalters. Das Beispiel des heiligen Beda sporne die Christen
dieser Länder an, ihr gemeinsames Erbe wiederzuentdecken, zu festigen, was sie miteinander
teilen, und sich weiter um ein Wachstum in ihrer Freundschaft zu bemühen. Der auferstandene
Herr begleite unseren Einsatz, die Spaltungen der Vergangenheit zu überwinden und
den gegenwärtigen Herausforderungen mit Hoffnung auf die Zukunft zu begegnen, die
er in seiner Vorsehung für uns und unsere Welt bereithält. Amen.“