An diesem Sonntag hat Papst Benedikt XVI. in einer Messe in Birmingham Kardinal John
Henry Newman selig gesprochen. Viel ist über die theologische Nähe von Joseph Ratzinger
zu dem berühmten Konvertiten-Kardinal geschrieben worden, aber eine Seligsprechung
setzt ja auch eine Verehrung in der eigenen Ortskirche voraus. Was ist es, was Newman
heute interessant macht, zu einem Vorbild im Glauben? Das fragte Pater Bernd Hagenkord
den Theologieprofessor Pater James Hanvey vom Heythrop College in London; Hanvey ist
auch theologischer Berater der katholischen Bischofskonferenz von England und Wales.
„Er ist sowohl als Person als auch in seinem Denken wichtig. Er ist eine Gestalt
des 19. Jahrhunderts, und das auch für heute noch das prägende Jahrhundert, wir leben
von den Ideen und Werten, die damals geschaffen wurden. Das Interessante ist der Weg,
den Newman mit seinem Leben zurückgelegt hat: aus einer etablierten Religion heraus
zum Katholizismus, der zu seiner Zeit vor allem eine Kirche der Immigranten war. Dieser
Weg von einer Figur des Establishments, aus einer wohlhabenden Kirche, die gleichzeitig
auch die Kirche des britischen Imperiums war, in eine kleine, schwache und arme Gemeinschaft
zu wählen, ist sozial und geistlich ein außergewöhnlicher Weg. Dort nahm Newman die
große universelle Kirche wahr. Das ist ein Weg, den wir alle auch zu machen haben.
Und wenn wir das tun und herausfinden wollen, wo die Kirche für uns ist, dass sie
viel größer ist als unsere eigene Ortskirche und viel größer als die Schwierigkeiten
unserer Ortskirche, wenn wir so die große universelle Kirche finden, immer dann werden
wir Newman begegnen.“ Die Suche nach der Authentizität der Gemeinschaft Christi
ist aber nicht das alleinige Moment im Leben des englischen Kardinals, das auch heute
noch leiten kann, so Hanvey. „Auch seine Hingabe an die Wahrheit, wo immer
er sie finden kann, sind wichtig für uns. Und auch, dass er keine Angst hatte, die
eigene Kultur zu konfrontieren. Er ist ein sehr, sehr englischer Heiliger. Auch wenn
er ein wenig englische Schrulligkeit an sich hat - sowohl in seinem Denken als auch
in seiner Persönlichkeit - so gibt ihm das Stärke, weil es sagt, ganz gleich wo jemand
ist, musst er eine Person seiner Kultur sein, um sie zu verstehen und Christus neu
zu ihr zu bringen. Das war Newmans Leidenschaft.“ Berühmt ist Newman aber
vor allem als Theologe, nicht nur bei Papst Benedikt. Aber hier ist er etwas überbewertet,
meint Hanvey: „Was seine Intellektualität angeht: ich habe mich viel mit den
deutschen Denkern beschäftigt. Wenn man Newman neben die großen deutschen Denker stellt
und besonders neben die deutschen Theologen, Leute wie Scheben oder Möhler oder andere,
dann fehlen ihm ein gewisser Funke, eine Originalität und Brillanz, eine Abenteuerlust
in seinem Denken. Trotzdem kann uns Newman heute noch vieles lehren.“ Zu diesen
Dingen, die wir lernen können, gibt es einiges, das vor allem für die moderne Gesellschaft
Großbritanniens, aber darüber hinaus auch für andere säkulare Gesellschaften wichtig
ist. Pater Hanvey betont vor allem die Auseinandersetzung mit der Kultur und die Suche
nach Wahrheit, das ist aber nicht alles. „Drittens glaube ich, dass sein Denken
zu Gewissen und Gewissensfreiheit ein weiteres Gebiet ist. Und das ist nicht nur für
die Kirche wichtig. Es ist auch für die ganze säkulare Kultur wichtig. Denn die legt
einen großen Wert auf Autonomie und Freiheit und so weiter, aber wir verlieren etwas
den Sinn dafür, was wirklich Gewissen bedeutet und was wirklich ein gut gebildetes
Gewissen ist. Newman kann also nicht nur den religiösen, sondern auch den säkularen
Denkern etwas sagen.“ Viel Aufmerksamkeit hat sich auf die Tatsache bezogen,
dass Newman ein konvertierter Anglikaner ist. Aber Hanvey sieht das weniger als Hinderniss
zwischen den Konfessionen, vielmehr bringe der Konvertit etwas in die Religion ein,
wovon alle lernen können. „Konvertiten gleich welcher Konfession können uns,
denke ich, zwei Dinge lehren. Zuerst ist ein Konvertit jemand, der keine Angst hat,
nach der Wahrheit zu suchen und der auch keine Angst hat, den notwendigen Wandel durchzumachen,
um zu dieser Wahrheit zu kommen. Der Konvertit bringt so Freiheit mit und das ist
ein Geschenk, dass er in die Kirche mitbringt. Die zweite Sache ist die Freiheit zum
Wandel, zur Änderung und davor keine Angst zu haben. In diesem Zusammenhang ist Newman
ein großer Mensch und ein großes Vorbild, denn die ganze Kirche, aber besonders die
anglikanische Kirche steckt in einem Kampf um die Frage, was es eigentlich bedeutet,
Anglikaner zu sein, Mitglied der anglican Communion zu sein. Genauso, wie in unserer
eigenen katholischen Konfession darum geht, die Wahrheit zu finden. Wir müssen bereit
sein, uns zu wandeln, wenn die Wahrheit sich ausdrücken will. Einige sehen Newman
als kontroverse Figur, weil man ihn natürlich so interpretieren kann, als ob er den
Anglikanismus als fehlerhaft ansah und so auch anderen den Weg in die katholische
Kirche weist, aber ich denke, dass das eine zu enge Weise wäre, ihn zu verstehen.
Das macht Newman zu einer kontroversen Figur, aber ich denke, dass er viel größer
ist als das.“ Im Augenblick gibt es um Newman so etwas wie einen Hype, es
wird eine Frage sein, wie wir in Zukunft mit ihm umgehen und wie er weiter wirken
wird. Hanvey: „Wie ich schon am Anfang sagte, ist Newman durch und durch englisch
und die englische Naturell arbeitet normalerweise verdeckt, nicht so sehr durch lautes
Auftreten. Wenn wir uns Newman heute ansehen, dann war er ein einflussreicher Denker
durch die Zeit hindurch und war auch einflussreich beim Zweiten Vatikanischen Konzil
lange vor der Entscheidung, ihn selig zu sprechen. Ich hoffe, dass diese Seligsprechung
uns helfen wird, Newman neu zu entdecken. Natürlich wird es auch um ihn dann etwas
stiller werden, aber das wird nicht bedeuten, dass sein Denken und seine Spiritualität
verloren sind. Wie bei jedem anderen großen Denker der Kirche wird er uns bei unserer
eigenen Suche weiter erhalten und lehren und leiten.“ (rv 18.09.2010 ord)