Hier die Predigt Papst Benedikts bei der Messe in der Kathedrale von Westminster von
diesem Samstag. Liebe Freunde in Christus! Ich grüße ich euch alle mit Freude
im Herrn und danke euch für euren herzlichen Empfang. Erzbischof Nichols sage ich
Dank für seine Worte, mit denen er mich in euer aller Namen willkommen geheißen hat.
Wirklich, in dieser Begegnung des Nachfolgers Petri mit den Gläubigen Britanniens
„spricht Herz zu Herz“, da wir uns der Liebe Christi und unseres gemeinsamen Bekenntnisses
des katholischen Glaubens erfreuen, der von den Aposteln her zu uns gekommen ist.
Ich bin besonders glücklich, daß unser Treffen in dieser Kathedrale stattfindet, die
dem Kostbaren Blut geweiht ist, dem Zeichen der Erlösergnade Gottes, die durch die
Passion, den Tod und die Auferstehung seines Sohnes, unseres Herrn Jesus Christus,
über die Welt ausgegossen ist. In besonderer Weise grüße ich den Erzbischof von Canterbury,
der uns mit seiner Anwesenheit beehrt. Der Besucher dieser Kathedrale kann gar
nicht unbeeindruckt bleiben von dem großen, das Kirchenschiff beherrschenden Kruzifix,
das Christi vom Leiden ausgemergelt und vom Kummer überwältigten Leib darstellt –
das unschuldige Opfer, das uns mit dem Vater versöhnt hat und uns teilhaben läßt am
Leben Gottes selbst. Die ausgestreckten Arme des Herrn scheinen diese ganze Kirche
zu umspannen und alle Ränge der Gläubigen, die sich um den Altar des eucharistischen
Opfers versammeln und an seinen Früchten Anteil erhalten, zum Vater emporzuheben.
Der gekreuzigte Herr steht über und vor uns als die Quelle unseres Lebens und unseres
Heils, „der Hohepriester der künftigen Güter“, wie der Autor des Hebräerbriefes ihn
in der heutigen ersten Lesung nennt (Hebr 9,11). So möchte ich, sozusagen
im Schatten dieses eindrucksvollen Bildes, das Wort Gottes betrachten, das in unserer
Mitte vorgetragen wurde, und über das Geheimnis des Kostbaren Blutes nachdenken. Denn
dieses Geheimnis führt uns dazu, die Einheit zwischen Christi Kreuzesopfer, dem eucharistischen
Opfer, das er der Kirche geschenkt hat, und seinem ewigen Priestertum zu sehen, durch
das er zur Rechten des Vaters unaufhörlich für uns, die Glieder seines mystischen
Leibes, als Fürsprecher eintritt. Beginnen wir mit dem Kreuzesopfer. Christi Blutvergießen
ist die Quelle des Lebens der Kirche. Der heilige Johannes sieht, wie wir wissen,
in dem Wasser und dem Blut, die aus der Seite des Herrn hervorströmten, den Urquell
jenes göttlichen Lebens, das vom Heiligen Geist geschenkt und uns in den Sakramenten
vermittelt wird (Joh 19,34; vgl. 1 Joh 1,7; 5,6-7). Der Hebräerbrief
legt sozusagen die liturgischen Implikationen dieses Geheimnisses dar. Jesus ist durch
sein Leiden und Sterben, durch seine Selbsthingabe kraft ewigen Geistes, unser Hohepriester
und „der Mittler eines neuen Bundes“ geworden (Hebr 9,15). Diese Worte lassen
die Worte unseres Herrn selbst anklingen, die er beim Letzten Abendmahl sprach, als
er die Eucharistie einsetzte als das Sakrament seines Leibes, der für uns hingegeben
wird, und seines Blutes, des Blutes des neuen und ewigen Bundes, das vergossen wird
zur Vergebung der Sünden (vgl. Mt 26,28; Mk 14,24; Lk 22,20). Getreu
dem Befehl Christi: „Tut dies zu meinem Gedächtnis“ (Lk 22,19), feiert die
Kirche in allen Zeiten und an allen Orten die Eucharistie bis zur Wiederkunft des
Herrn in Herrlichkeit, erfreut sich an seiner sakramentalen Gegenwart und zehrt von
der Kraft seines rettenden Opfers für die Erlösung der Welt. Die Realität des eucharistischen
Opfers hat immer im Herzen des katholischen Glaubens gestanden; im sechzehnten Jahrhundert
in Frage gestellt, wurde sie auf dem Konzil von Trient vor dem Hintergrund unserer
Rechtfertigung in Christus erneut bekräftigt. Hier in England gab es, wie wir wissen,
viele, die die Messe standhaft und oft zu hohem Preis verteidigten und so jene Verehrung
der Heiligsten Eucharistie ins Leben gerufen haben, die für die katholische Kirche
in diesen Ländern kennzeichnend geworden ist. Das eucharistische Opfer des Leibes
und Blutes Christi schließt wiederum das Geheimnis der fortwährenden Passion unseres
Herrn in den Gliedern seines mystischen Leibes, der Kirche aller Zeiten, ein. Hier
dient uns das große Kruzifix, das hoch über uns aufragt, als Erinnerung daran, daß
Christus, unser ewiger Hohepriester, täglich unsere eigenen Opfer, unsere persönlichen
Leiden, unsere Nöte, Hoffnungen und Wünsche mit den unendlichen Verdiensten seines
Opfers vereint. Durch ihn, mit ihm und in ihm erheben wir unseren eigenen Leib als
ein heiliges Opfer, das Gott gefällt (vgl. Röm 12,1). Auf diese Weise werden
wir in sein ewiges Opfer einbezogen und ergänzen, wie der heilige Paulus sagt, in
unserem irdischen Leben das, was an den Leiden Christi für das Heil seines Leibes,
der Kirche, noch fehlt (vgl. Kol 1,24). Im Leben der Kirche, in ihren Problemen
und Sorgen, ist Christus weiterhin – um die starke Formulierung Pascals zu gebrauchen
– in Agonie bis zum Ende der Welt (Pensées, 553, Ed. Brunschvicg). Dieser
Aspekt des Geheimnisses des Kostbaren Blutes Christi steht uns am deutlichsten vor
Augen in den Märtyrern aller Zeiten, die den Kelch tranken, den Christus selbst getrunken
hat, und deren Blut in Einheit mit seinem Opfer der Kirche neues Leben verleiht. Er
spiegelt sich auch wider in unseren Brüdern und Schwestern in aller Welt, die gerade
jetzt um ihres christlichen Glaubens willen Diskriminierung und Verfolgung erleiden.
Aber er ist ebenfalls gegenwärtig, wenn auch oft verborgen, im Leiden all jener einzelnen
Christen, die täglich ihre Opfer mit dem des Herrn verbinden für die Heiligung der
Kirche und die Erlösung der Welt. In besonderer Weise gehen meine Gedanken zu all
jenen, die geistig mit dieser Eucharistiefeier verbunden sind, speziell die Kranken,
die älteren Menschen, die Behinderten und alle, die geistig und geistlich leiden. Ich
denke hier auch an das ungeheure Leiden, das durch den Mißbrauch von Kindern verursacht
wurde, besonders wenn es in der Kirche und durch ihre Diener geschah. Vor allem möchte
ich gegenüber den unschuldigen Opfern dieser unbeschreiblichen Verbrechen mein tiefes
Bedauern zum Ausdruck bringen, gemeinsam mit meiner Hoffnung, daß die Kraft der Gnade
Christi, sein Versöhnungsopfer, ihrem Leben eine tiefgreifende Heilung und Frieden
bringen möge. Gemeinsam mit euch gestehe ich auch die Beschämung und die Demütigung
ein, unter der wir alle wegen der Sünden einer geringen Anzahl von Priestern gelitten
haben; und ich lade euch ein, dies dem Herrn aufzuopfern in dem Vertrauen, daß diese
Strafe zur Heilung der Opfer, zur Läuterung der Kirche und zur Erneuerung ihres uralten
Engagements in der Erziehung und Pflege junger Menschen beitragen wird. Ich sage Dank
für die Anstrengungen, die unternommen worden sind, dieses Problem verantwortungsvoll
in Angriff zu nehmen, und ich bitte euch alle, den Opfern eure Anteilnahme zu zeigen
und euren Priestern Solidarität entgegenzubringen. Liebe Freunde, kehren wir zur
Betrachtung des großen Kruzifixes zurück, das über uns aufragt. Die am Kreuz ausgestreckten
Hände unseres Herrn laden uns auch ein, unsere Teilhabe an seinem ewigen Priestertum
zu betrachten und von da her unsere Verantwortung zu sehen, als Glieder seines Leibes
die versöhnende Kraft seines Opfers in die Welt zu tragen, in der wir leben. Das Zweite
Vatikanische Konzil hat in beredter Weise von der unverzichtbaren Rolle der Laien
gesprochen, die Sendung der Kirche voranzutreiben, indem sie sich bemühen, als Sauerteig
des Evangeliums in der Gesellschaft zu wirken und für das Kommen des Reiches Gottes
in der Welt zu arbeiten (vgl. Lumen gentium, 31; Apostolicam actuositatem,
7). Der Appell des Konzils an die gläubigen Laien, ihre in der Taufe begründete Teilhabe
an der Sendung Christi aufzugreifen, war ein Widerhall der Einsichten und Lehren von
John Henry Newman. Mögen die tiefen Gedanken dieses großen Engländers weiterhin alle,
die in diesem Land Christus nachfolgen, dazu inspirieren, ihr ganzes Denken, Reden
und Tun Christus anzugleichen. Das bedeutet auch, sich mit aller Kraft für die Verteidigung
jener unveränderlichen moralischen Wahrheiten einzusetzen, die vom Evangelium aufgegriffen,
erleuchtet und bestätigt werden und als Grundsätze an der Basis einer wirklich menschlichen,
gerechten und freien Gesellschaft stehen. Wie sehr braucht die aktuelle Gesellschaft
dieses Zeugnis! Wie sehr brauchen wir in der Kirche und in der Gesellschaft Zeugnisse
für die Schönheit der Heiligkeit, Zeugnisse für den Glanz der Wahrheit, Zeugnisse
für die aus einer lebendigen Beziehung zu Christus entspringende Freude und Freiheit!
Eine der größten Herausforderungen, die heute vor uns stehen, ist die Frage, wie man
überzeugend von der Weisheit und der befreienden Kraft des Wortes Gottes sprechen
kann zu einer Welt, die allzu häufig das Evangelium als eine Einschränkung der menschlichen
Freiheit ansieht und nicht als die Wahrheit, die unseren Geist befreit und unsere
Bemühungen erhellt, sowohl als einzelne wie auch als Glieder der Gesellschaft weise
und gut zu leben. Beten wir also darum, daß die Katholiken in diesem Land sich
immer mehr ihrer Würde als priesterliches Volk bewußt werden, dazu berufen, durch
ihr Leben im Glauben und in Heiligkeit die Welt Gott zu weihen. Und möge dieser Anstieg
des apostolischen Eifers von einem Strom des Gebetes für Berufungen zum geweihten
Priestertum begleitet sein. Je stärker das Laienapostolat wächst, um so dringender
wird der Bedarf an Priestern empfunden, und je mehr der Sinn der Laien für ihre eigene
Berufung vertieft wird, um so deutlicher tritt hervor, was das Eigentliche des Priesters
ist. Mögen viele junge Männer in diesem Land die Kraft finden, dem Ruf des Meisters
zum Amtspriestertum zu folgen, indem sie ihr Leben, ihre Energien und ihre Begabungen
Gott weihen und so sein Volk in Einheit und in der Treue zum Evangelium aufbauen,
besonders durch die Feier des eucharistischen Opfers. Liebe Freunde, in dieser
Kathedrale des Kostbaren Blutes lade ich euch noch einmal ein, auf Christus zu schauen,
der uns in unserem Glauben leitet und ihn zur Vollendung führt (vgl. Hebr 12,2).
Ich bitte euch, euch selbst immer fester mit dem Herrn zu verbinden, indem ihr euch
an seinem Kreuzesopfer beteiligt und ihm jenen „geistigen Gottesdienst“ (Röm
12,1)erweist, der alle Aspekte unseres Lebens einschließt und seinen Ausdruck
findet in unseren Bemühungen, zum Kommen des Gottesreiches beizutragen. Ich bete,
daß ihr euch durch solches Handeln unter die treuen Gläubigen in der langen christlichen
Geschichte dieses Landes einreiht und eine wirklich menschenwürdige Gesellschaft aufbaut,
eine Gesellschaft, die den besten Traditionen eurer Nation entspricht. (rv 18.09.2010
gs)